19. Corvin

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Die Sonnenstrahlen, die durch südliches Fenster meines Schlafzimmers im Turm vielen, weckten mich. Ich lag quer auf meinem Bett. Die Tagesdecke hatte ich noch nicht mal entfernt. Wie war ich hier hingekommen? Hätte ich eigentlich nicht noch in der Hölle beim Boss sein sollen? Stopp! Nein, der hatte mich nach einer gefühlten Ewigkeit entlassen und zurückgeschickt. Was war danach passiert? Wie lange hatte ich geschlafen? Wie lange war ich weggewesen? Wie ging es der kleinen Hexe? Stopp! Erinnerungen flackerten auf. Die kleine Hexe, wie sie unter mir lag und ausdruckslos zu mir hochschaute. Das musst gewesen sein, kurz nach meiner Wiederkehr. Weitere Bilder tauchten in meinem Kopf auf. Wie ich sie auf meine Arme hob und hier hinauftrug.

Verwundert schaute ich mich um. Die kleine Hexe war hier nirgends zu sehen. Sie war nicht hier bei mir im Bett. Ein knurren stieg in meiner Kehle auf. Schnell unterdrückte ich es. Stattdessen setzte ich mich auf und schaute mich nochmal genauer im Zimmer um. Es war Rund und hatte in regelmäßigen Abständen deckenhohe Fenster. Zwischen denen befanden sich ebenfalls decken hohe Spiegel an den weiß verputzten Wänden. Dank denen konnte sich nichts meinem Blick entziehen, was sich in diesem Raum befand. Sie war also wirklich nicht hier. Ich ließ mich zurück aufs Bett fallen und starrte frustriert zum Dachgebälk hoch. Der Raum hatte keine Decke, sondern öffnete sich bis zur Spitze des Turms. Die Stützbalken lagen dadurch offen und verliehen dem Raum einen gemütlichen Tatsch.

Nach noch nicht mal zehn Sekunden stand ich jedoch schon wieder auf den Beinen. Ich konnte einfach nicht ruhig liegen bleiben. Ich musste unbedingt zu der kleinen Hexe. War sie vielleicht noch in einer der Etagen des Turmes? Schnell lief ich die Wendeltreppe hinab. Doch auch in der nächsten Etage war sie nicht. Das Wohnzimmer, das Bad und mein Ankleideraum waren verlassen. Ebenso der Salon und Barbereich im Stockwerk darunter. In der untersten Etage mit dem Speiseraum mit angrenzender offener Küche gab ich die Hoffnung auf, dass sie noch hier war. Ich hatte alles abgesucht.

Wo konnte sie also noch sein? In ihren Gemächern?! Schnell lief ich zur Eingangstür, riss sie auf und stürmte den Flur hinunter zu den Räumen der kleinen Hexe. Ohne zu klopfen trat ich ein. Das erste, was mir auffiel, war, dass der dämliche Köter nicht da war. Ich hätte nie gedacht, dass mir sein Kläffen einmal fehlen würde. Das zweite war, das die Tür zum Schlafzimmer offenstand. Neugierig ging ich hinüber und schaute hinein. Niemand war da, aber aus dem Bad erklang das Geräusch vom fließenden Wasser der Dusche. Ohne darüber nachzudenken setzte ich mich mit verschränkten Armen auf das große, weiße und hellblaue Himmelbett und wartete.

***

Das Geräusch des fließenden Wassers verstummte und etwas Später kam die kleine Hexe aus dem Badezimmer heraus. Sie hielt ein großes Badetuch vor ihrer Brust zusammen und hatte ihre mahagonifarbenen Haare in ein kleineres Handtuch gewickelt. Ihre Haut war von dem warmen Wasser der Dusche gerötet und einige Wassertropfen liefen vereinzelt noch über ihren Körper. Ich musste den starken drang unterdrücken, sie mit meiner Zunge abzulecken und dabei den Konturen ihres verführerischen Körpers zu folgen.

„Was machst du hier?" fragte sie mich emotionslos. Emotionslos? Überrascht schaute ich in ihr Gesicht. In der Hoffnung, irgendeine Regung dort zu sehen. Die Emotionslosigkeit passte nicht zu der kleinen, temperamentvollen Hexe. Jedoch fand ich nur Ausdruckslosigkeit. Kein einziges Anzeichen von einem Gefühl war zu sehen. Was war mit der kleinen Hexe passiert? Das Tier in mir regte sich und wollte den Verantwortlichen für dieses Verhalten finden und in klitzekleine Stücke reißen. Mit Vergnügen würde ich seinem Wunsch Folge leisten.

„Was machst du hier?" wiederholte die kleine Hexe ihre Frage. Es gab kein Anzeichen von Ungeduld oder Gereiztheit.

Langsam stand ich vom Bett auf. „Ich wollte nur nach dir sehen."

Ausdruckslos musterte sie mich, während ich mich ihr nährte. „Aha, und das war so eilig, dass du noch nicht mal die Zeit dazu hattest, dich anzuziehen und deine menschliche Form wieder anzunehmen?"

Erstaunt sah ich an mir hinab. Sie hatte recht. Ich stand splitterfasernackt vor ihr und das noch in meiner ursprünglichen Form. Verdammt! Was ging in meinem Kopf vor, dass ich so was Banales gar nicht bemerkt hatte? Die Antwort war simpel und stand, nur mit einem Handtuch begleitet, vor mir.

Doch ihre Emotionslosigkeit störte mich an ihr. Gerade ihre Gefühle, die sie deutlich zeigte, waren so reizend an ihr. Das Arschloch, das ihr das angetan hatte, würde dafür leiden! Die kleine Hexe gehörte mir! Und ich würde sie beschützen!

„Bekomme ich heute noch eine Antwort?"

Na toll, ich hatte es wieder geschafft in meinen Gedanken zu versinken. Ohne über meine Worte nachzudenken, antwortete ich ihr. „Nur, wenn du mir sagst, was mit dir passiert ist?"

„Mit mir passiert ist?" Etwas regte sich kurz in ihren Augen, verschwand aber sogleich wieder. „Was genau meinst du?"

„Du bist so ..." ich stockte kurz. „...so Gefühlslos."

„Ach, das meinst du." Schultern zuckend wand sie sich ab und ging Richtung begehbaren Kleiderschrank davon. „Das geht dich nichts an." Die zufallende Tür unterstrich ihre Worte.

Ich starrte die Tür an. Wut erhitzte mein Blut und Kampfeslust machte sich in mir breit. Wie konnte sie es wagen? Sie schloss mich einfach aus? Dabei gehörte sie mir! Ich würde schon noch rausfinden was passiert war und wer dafür verantwortlich war. Darauf konnte sich die kleine Hexe verlassen. Denn die Reise in die Hölle hatte mir eins gezeigt: selbst der Boss und das Höllenfeuer konnten das Tier in mir nicht beruhigen oder gar vertreiben. Die einzige Person, die das vermochte, war Nelly Gronau. Daher würde mich die kleine Hexe jetzt nicht mehr so schnell losbekommen. Sie gehörte mir!

Dämon - Höllisch VerhextWhere stories live. Discover now