11. Corvin

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Die Tür knallte direkt vor meiner Nase zu. Verdutzt schaute ich sie an. Die kleine Hexe, hatte es tatsächlich gewagt, die Tür direkt vor mir mit Nachdruck zu zuschlagen. Alles Bitten und Flehen - das mich viel Überwindung gekostet hatte - wurde ignoriert. Verdammte, sture Hexe! Wütend ballte ich die Fäuste. Ich war kurz davor, die Tür einfach aufzubrechen und die kleine Hexe zur Rede zu stellen. Bisher hatte es noch niemand gewagt - geschweige denn überlebt - mir die Tür vor der Nase zuzuknallen, mir eine saftige Ohrfeige zu geben und zu allem Überfluss noch, das alles durchzuziehen, ohne ein einziges Wort der Erklärung abzugeben.

Verwirrung, mein gekränkter Stolz und Wut rangen in meinem Inneren um die Vorherrschaft. Wenn ich wenigstens den Grund für das Verhalten der kleinen Hexe gekannt hätte, dann... Ja, was dann? Verzweifelt fuhr ich mit beiden Händen durch die Haare. Na Super, jetzt mischte sich auch noch Verzweiflung in meinen Gefühlscocktail hinein. Mit der rechten Faust schlug ich wütend gegen die Wand neben der Tür. Der weiße Putz bröckelte ab und im Mauerwerk dahinter, blieb ein paar Zentimeter tiefes Loch zurück. Meine Fingerknöchel waren rot und pochten vor Schmerz. Ich schüttelte kurz die Hand aus und verdrängte dann den Schmerz. Die Verletzung würde sowieso in der nächsten halben Stunde verheilt sein - eine sehr positive Eigenschaft von uns Dämonen.

Aus den Gemächern kam keine Reaktion, weder von der kleinen Hexe noch von ihrem dämlichen Köter. Die Mauern dieses Anwesens waren zwar dick, aber den kurzen Lärm hätte die kleine Hexe mitbekommen müssen. Also was trieb die kleine Hexe in ihren Gemächern? Haute sie etwa ab? Wenn sie es wagte, über den Balkon abzuhauen, dann Gnade ihr wer auch immer!

Kurz vor der Tür zu den Gemächern der kleinen Hexe bremste ich mich ab, knapp davor, sie einzutreten und schaltete mein Gehirn wieder an. Falls die kleine Hexe unschuldig wäre, würde dann die kaputte Tür mehr schaden machen, als sie nutzten würde. Daher schloss ich jetzt meine Augen und folgte einem unsichtbaren Fad in meinem Geist, der mich direkt in die momentanen Gedanken von der kleinen Hexe brachte.

Schmerz, Trauer, Verwirrung, Verzweiflung, Schuld, Wut... Ich taumelte unter dem Ansturm dieser Massen an Emotionen zurück, bis ich an eine Wand in meinem Rücken stieß, die mir halt gab. Verdammt, was war mit der kleinen Hexe los?! Ich fasste mir an die Schläfen und konzentriere mich stärker auf ihre Gedanken. Nachdem ich es geschafft hatte, die Gefühle beiseite zu schieben sowie das Bild eines gutaussehenden Mannes Mitte Zwanzig, konnte ich ihre aktuelle Umgebung erfassen. Die kleine Hexe saß gerade im warmen Wasser ihrer Badewanne und hatte scheinbar einen Nervenzusammenbruch. Sie heulte, wurde von lautlosen Schluchzern geschüttelt und schniefte laut. Der verdammte Köter lag neben der Wanne und schaute sie treuherzig an.

Abrupt unterbrach ich den Kontakt zu den Gedanken der kleinen Hexe und unterdrückte den starken Drang, sofort zu ihr zu eilen, um sie... ja, was eigentlich? Ich hatte doch, was ich wollte. Die kleine Hexe haute momentan nicht ab. Also gab es auch keinen weiteren Grund für mich, mich noch weiter ihrem verdammten Gefühlschaos auszusetzen. Mir reichten eindeutig schon diese wenigen Sekunden in ihrem Kopf, da brauchte ich nicht noch Rotze, die an meinem Hemd klebte. Ich wand mich ab und ging. Was ich brauchte, war Ruhe und zwar ganz dringend.

***

Den Kopf an die Sessellehne zurückgelehnt saß ich jetzt schon mindestens zwei Stunden in der Bibliothek. Ruhe, endlich Ruhe. Seit dem aufwühlenden Vorfall gestern Abend mit der kleinen Hexe hatte ich keine Ruhe mehr gehabt. Egal wo ich mich verkrochen hatte, immer war irgendwer aufgetaucht und wollte etwas von mir. Die Raben, der Hauptmann und Hektor schafften es, mir meine ersehnte Pause zu vermiesen. War es daher ein Wunder, dass ich Hektor an die Kehle gesprungen war? Wäre mir vorhin auf dem Weg von dem Quartier derkleinen Hexe hierher in die Bibliothek irgendjemand über den Weg gelaufen, ich hätte ihn wahrscheinlich ebenfalls an die Wand genagelt. Das Gefühlschaos der kleinen Hexe plus mein Eigenes waren zu viel für meine Selbstbeherrschung gewesen. Ich hatte mich kaum noch unter Kontrolle gehabt. Die zweistündige Ruhepause war dringend nötig gewesen, um wieder runterzufahren. Doch jetzt war Schluss damit, denn ich musste zwei wichtige Dinge klären. Erstens: Wie konnte ich gestern Abend so leicht in einen Energierausch verfall und wie konnte ich das in Zukunft verhindern? Und Zweitens: Wie konnte ich die kleine Hexe so schnell wie möglich zu einem Pakt überreden, damit ich sie endlich die Geheimnisse des Buches offenbarte?

Seufzend stand ich auf. Ohne es zu bemerken, begann ich durch die große, runde Bibliothek zu tigern. Meine Füße fanden selbstständig ohne Schwierigkeiten den Weg durch die Reihen der Regale, während ich über die Fragen nachdachte.

An der Vitrine in der Mitte des Raumes blieb ich stehen und starte auf das Buch mit den leeren Seiten. Doch ich sah nicht diese Vitrine vor meinem geistigen Auge. Nein, ich sah die Vitrine in meinem Arbeitszimmer, die mit dem Schwert. Ein Lächeln spielte um meine Lippen, als sich ein Plan in meinen Kopf zusammensetzte. Wenn alles funktionierte, hatte ich wenigstens für Frage zwei, eine Lösung gefunden.

Mit einem Finger strich ich über die staubfreie Oberfläche des Glases der Vitrine. Mit schräggelegtem Kopf sah ich zu, wie der Abdruck meines Fingers kurz aufschimmerte und dann verschwand. Drachenglas - selbstreinigen, unzerstörbar, sehr selten und verdammt teuer. Was gab es besseres, um ein so kostbares Buch zu schützen, wenn noch nicht einmal Dämonenstärke diesem Glas einen Kratzer zufügen konnte?

Ich wand mich von der Vitrine ab und ging zurück zu meinem Sessel. Auf dem Beistelltisch daneben erschien ein Blatt Papier und ein Stift. Immer noch spielte mir ein Lächeln um die Lippen, als ich mich in den Sessel fallen ließ und nach dem Papier griff. Schnell waren die wenigen Worte auf das Blatt gebannt, der Zettel zusammengefaltete und in einen Umschlag gesteckt. Mit ruhiger Hand, schrieb ich den Namen der Empfängerin darauf: Nelly Gronau.



Rekord: 989 Wörter - mit Abstand mein bisher kürzestes Kapitel!

Dämon - Höllisch VerhextWhere stories live. Discover now