33. Hektor

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Corvin saß an seinem Schreibtisch und schaute schon über zehn Minuten auf ein und dasselbe Dokument. Immer noch machte er nicht den Eindruck, als würde er es wirklich lesen. Schweigend sah ich ihm dabei zu, machte aber keine Anstalten, ihn aus seinen Gedanken zu reißen. Das wäre reiner Selbstmord, bei der Stimmung die er seit genau einer Woche hatte. Wenn ich raten dürfte: die kleine Hexe hatte ihn sitzen gelassen und das vertrug sein Ego nicht, denn man ließ ja nicht einfach so ein Höllenfürst sitzen. Das ging ja gar nicht. Theatralisch verdrehte ich die Augen. Der dunkle Dämon sollte sich mal wieder einkriegen, besonders wenn er seine bescheuerten Pläne morgen wirklich umsetzten wollte. Kein Idiot der Welt würde freiwillig an einem Vollmond - wo wir am schwächsten waren - mit Hexen eine Übergabe vollziehen. Sorry, ich muss mich korrelieren: fast kein Idiot. Denn Corvin war fest entschlossen, das Morgen knallhart durchzuziehen, egal wie sehr man auch auf ihn einredete. Zum Glück musste ich nur bei der Planung helfen. In den letzten Tagen hatte ich daher an meinem Computer gesessen und auf viele Verschiedenen Landkarten der Umgebung nach dem perfekten Ort für dieses Unterfangen gesucht. Letztendlich habe ich Corvin drei Orte vorgelegt und er hatte einfach auf irgendeinen gedeutet. Warum hatte ich mir bitteschön die Mühe gemacht? Ich hätte ihm auch einfach nur einen dieser Orte zeigen können, ohne die entsprechenden wichtigen Fakten dazu auszuarbeiten und miteinander zu vergleichen. Dieser Höllenfürst brachte mich in letzter Zeit an die Grenzen meiner Selbstbeherrschung. Es wurde langsam Zeit ernsthaft darüber nachzudenken, den Herrn zu wechseln.

Meine Aufmerksamkeit richtete sich augenblicklich auf Corvin, der plötzlich aufgestanden war und unruhig im Raum herumtigerte. Sein Gesicht war vollkommen Ausdruckslos, nur in seinen Augen lag eine Ungewöhnliche leere. Innerlich wartete ich schon darauf, dass er gleich wieder das Arbeitszimmer verwüsten würde, wie er es in den letzten Tagen öfter getan hatte. Seine Stimmungsausbrüche waren unvorhersehbar geworden. Doch er überraschte mich. Mit dem Rücken zu mir stellte er sich ans Fenster und schaute in die Abenddämmerung hinaus. Ich schwieg weiterhin, ließ ihn jedoch keine Sekunde aus den Augen - man wusste ja nie.

„Die kleine Hexe hat das Buch fertig abgeschrieben."

Erstaunt hob ich die Augenbrauen. Mit diesem Thema hätte ich als allerletztes gerechnet.

„Heute Morgen," fuhr Corvin fort. „hab ich die letzten Seiten gelesen."

Jetzt war meine Neugier geweckt. „Und?" hakte ich vorsichtig nach.

Er wand sich zu mir um und seine schwarzen, leeren Augen musterten mich einige Sekunden lang.

Er zuckte die Schultern und wand sich schweigend wieder dem Fenster zu.

„Corvin, stand etwas in dem Buch, wie wir uns von dem Boss lösen können?" Ich lechzte geradezu nach der Antwort. Viel zu lange musste ich darauf warten und nun spannte er mich auf die Folter. Verflucht noch mal, konnte er es nicht einfach hinter sich bringen und es ausspucken. Er schwieg immer noch und langsam wurde ich echt ungehalten.

Als ich schon kurz davorstand, ihm an die Kehle zu springen, sprach er endlich: „Ja und nein."

Verständnislos starte ich ihn an. „Was?"

„Ja, es steht etwas darüber in dem Buch, aber das Zeug ist kompletter Unsinn!"

„Was steht da drin?"

„Du kennst dich unserer Entstehungsgeschichte aus? Wie der Boss aus dem Himmel verstoßen wurde, der Big Boss die Menschen erschaffen hatte und so weiter?" Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr Corvin fort. „Der Boss hatte ja den Verrat von Adam und Evas gefördert, weil er seinem Vater beweisen wollte, dass seiner Geschöpfe schwach waren und er sie nicht kontrollieren konnte. Daraufhin hat er uns erschaffen: die Dämonen. Er wollte zeigen, dass er es besser konnte. Er schuf uns als selbstsüchtige und machtbesessene Wesen, all das was der Big Boss nicht leiden konnte, und ließ alles weg, was uns schwer kontrollierbar machte, darunter die Liebe."

„Jaja, ich hab's verstanden." Unterbrach ich Corvin ungeduldig. „Komm einfach zum Punkt."

Der dunkle Dämon warf mir nur einen undefinierbaren Blick über seine Schulter zu und machte einfach da weiter, wo ich ihn unterbrochen hatte. „Da der Boss aber selbst ein Geschöpf seines Vaters war, übertrug er die Liebe ungewollt auf uns. Doch unsere Eigenschaften unterdrückten sie, hinterließen ein Loch in unserem Herzen und der Boss sah daher kein Problem in ihr. Im Buch heißt es, dass nur ein nicht dämonisches Wesen, das uns, so wie wir sind, wahrlich liebt, diesen Teil in unserem Herzen füllen kann und uns so vom Boss lösen kann."

Das war alles? Ich konnte echt nicht sehen, wo da das Problem sein sollte. Irgendein Mädchen würde schon meinem Charm verfallen und sich in mich verlieben. Das war ja echt nicht gerade Schwierig.

Corvin schien mein Unverständnis gegenüber seiner Einschätzung, dass das unmöglich war, zu spüren, denn er drehte sich um und kam zu mir herüber. Nur wenige Zentimeter vor mir blieb er stehen. Eindeutig zu nahe, nach meinem Geschmack, aber das schien ihn nicht zu stören.

„Du hast es nicht verstanden, oder?" fragte er kalt und stieß mir einen Finger vor die Brust. „''Uns lieben, so wie wir sind'' bezieht sich nicht nur auf diese Hülle von einem menschlichen Körper, sondern auch auf unser wirkliches aussehen. Erst dann baut sich eine Verbindung zu unserem Herzen auf."

Meine Augen weiteten sich, als ich verstand worauf er hinauswollte. Eine Frau musste uns in beiden Formen lieben, damit wir vom Boss wegkamen. Verfluchte Scheiße!

„Ich sehe, jetzt wir verstehen uns, mein Freund."

***

Aufgewühlt durchquerte ich den Flur. Es war jetzt schon mindestens zwei Stunden her, dass mir Corvin dieses Geheimnis offenbart hatte. Zudem hatte er mir von den fehlenden zwei Seiten erzählt. Danach war er wieder an seinem Schreibtisch zurückgekehrt und wir hatten noch einmal den morgigen Tag besprochen. Zufrieden hatte er sich danach wieder an seine Arbeit gemacht, während ich schweigend an meinem Regal gelehnt und mir Gedanken über dieses verfluchte Buch und seinen Inhalt gemacht hatte. Zwei Sachen waren mir dabei klar geworden. Erstens: Corvin hatte keinen blassen Schimmer davon, dass seine Rettung die kleine Hexe war. Und Zweitens: Ich würde es nicht zulassen, dass Corvin sich vom Boss löste und ich nicht. Wieso sollte er als erstes sein Glück finden? Ich musste die Hexe jetzt wirklich loswerden. Und zwar dringend! Heute Nacht würde ich zuschlagen. Die Zeit war gekommen.

„Hey?! Wo willst du hin? Wir haben einen Auftrag von Corvin und das mach ich nicht alleine! Denk ja nicht, dass du dich einfach davor drücken kannst."

Diese Kuh tauchte auch immer zur falschen Zeit auf! Wütend drehte ich mich zu Caro um. Ungeduldig wippte sie auf ihren Füßen, während ihr Blick gnadenlos auf mir lag. Hätte sie nicht ein paar Minuten später kommen können? Das hätte mir schon ausgereicht, um mich um die Hexe zu kümmern.

„Kommst du nun, oder starrst du die ganze Nacht nur doof in der Gegend rum?" Noch mehr Wut peitschte das Blut in meinen Adern auf. Ihr spöttischer Tonfall ging mir sowas gegen den Strich. „Wir sollen das komplette Gelände für das Treffen morgen, absuchen und sichern. Und da ich gerne die Sonne meiden möchte, sollten wir jetzt aufbrechen. Sofort!"

Wie ich dieses verfluchte Weib hasste! Doch der Befehl kam von Corvin und dem sollte ich mich jetzt wirklich nicht wiedersetzten. Nicht, bevor diese Hexe verschwunden war und hier alles wieder normal lief. Innerlich Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal. Jedoch würde die Hexe nicht so einfach davonkommen. Morgen Nacht, wenn sie schlief, würde ich mich um sie kümmern.

Dämon - Höllisch VerhextWo Geschichten leben. Entdecke jetzt