4. Corvin

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Nelly. Der Name passte zu der kleinen Hexe, dachte ich und lehnte mich auf meinem Schreibtischstuhl im Arbeitszimmer zurück. Meine Gedanken wanderten, wie schon so oft in den letzten fünf Stunden, zu der Hexe mit den hellen, silberfarbenen Augen, die unten in einer Zelle in meinem Kerker saß. Sie war schlau und sie bot mir Konter. Beides Eigenschaften, die ich sehr schätzte. Es würde auf jeden Fall interessant werden, sie zu zähmen.

Nachdenklich tippte ich mit dem Kuli auf den papierübersäten Schreibtisch. Die Rillen, welche ich vorhin mit meinen Krallen hinterlassen hatte, waren von Massen an Unterlagen verborgen. Mein Alter konnte man nicht nur durch meine Stärke erkennen, sondern auch an dem ganzen Papierkram, den ich für meine ganzen Unternehmen erledigen musste. Und es waren eine ganze Menge an Unternehmen! So wie sich bei den Menschen in der Zeit immer mehr unnützes Zeug in den Schränken ansammelte, war es bei uns Dämonen Unternehmen und Aktien. Naja, dagegen konnte man halt nichts tun, wenn die Geschäftswelt so viel Profit versprach. Dämonen waren zwar faul, aber nicht gerade sparsam.

Schluss jetzt mit dem Papierkram, der muss bis später warten. Ich schob die Unterlagen beiseite auf der Suche nach meinem Tablet. Warum mussten die Dinger heutzutage nur durchsichtig sein? Ah, da war es ja. Ich zog das dünne, gläserne, mit hauchzarten Metalladern durchzogene, Tablet unter einem Einnahmebescheid einer meiner Computersoftwarefirmen hervor. Es hatte den Sturz auf dem Boden heute Mittag ohne einen Kratzer überstanden. Vor circa fünfzig Jahren, wo die Tablets in Mode kamen, war das so gut wie unmöglich gewesen. Ein Fall auf den Boden und die Displays hatten einen Riss. Wie rasant sich doch die Technik weiterentwickelte. Doch ich blieb lieber beim altmodischen Papier. Mit diesen modernen Dingern hatte ich mich noch nie so wirklich anfreunden können, besonders das Unterschreiben war darauf so schwierig.

Ich machte mein Tablet an. Es wurde undurchsichtig und das Hauptmenü erschien. Ein kurzes antippen der Suchmaschine und sie öffnete sich. Nelly, gab ich ein. Gleich der erste Vorschlag, gab die Bedeutung des Namens preis. Nelly kam scheinbar aus dem alt Englischen und bedeutete so viel wie „die Strahlende".

Passend, dachte ich und sah ihre silberfarbenen Augen vor mir aufblitzen. Auch ihre karamellfarbene Haut schien zu leuchten und mich wie magisch anzuziehen. Schade, dass sie nur eine Hexe war und keine Dämonin. Sie hätte garantiert keine Probleme gehabt, männliche Energiespender zu finden, denn sie sah perfekt aus. Groß, schlank, Rundungen an den richtigen Stellen und sportlich. Alles Ideale, die für Frauen heutzutage jede männliche Tür offenhielten.

Was die kleine Hexe jetzt wohl in ihrer Zelle machte? Schnell hatte ich ein anderes Programm auf meinem Tablet geöffnet. Jetzt wurde mir, über eine von mehreren kleine Hightechkameras, die ich an der Höhlendecke angebracht hatte, der Kerker angezeigt. Ich Zoomte auf die Zelle von Nelly. Sie lag zusammen gekullert auf dem Boden und schlief. Der Pakt schien sie sehr erschöpft zu haben. Strähnen des dunklen rotbraunen Haars fielen ihr ins Gesicht, doch konnten sie nicht die leicht bläulichen Lippen verbergen. Verdammt sie friert. Ich hatte vergessen ihr die Jacke wieder anzuziehen, nachdem ich mich um ihren Arm gekümmert hatte.

Da ich Larr oder einen der Wachen nicht in ihre Nähe lassen wollte und Hektor gerade beim Freizeitpark unterwegs war, um Energiespendernachschub zu holen, musste ich wohl selber laufen und um der kleinen Hexe eine Decke sowie etwas Essen und Trinken zu bringen. Ach ja, der verdammte Köter brauchte ja auch noch etwas zu futtern. Den durfte ich auf keinen Fall vergessen! Sonst würde Nelly mir garantiert die Hölle heiß machen.

Seufzend erhob ich mich aus meinem Stuhl und machte mich zur Küche auf. Sie lag im Erdgeschoss des rechten Teils des Hauses. Wir Dämonen mussten keine feste Nahrung zu uns nehmen, doch das zählte nicht für unsere menschlichen Energiespendern.

In der Küche, die sich mit der eines guten Restaurant messen konnte, befand sich niemand. Im riesigen Kühlschrank fand ich Eier und Schinken. Ein paar Scheiben Brot waren auch noch aus einem der Schränke aufzutreiben. Schnell war ein einfaches Mahl aus Rührei und Schinken mit einer getoasteten Schnitte entstanden. Wir Dämonen brauchten zwar kein Essen, aber trotzdem hatte ich im Laufe der Zeit - also im Laufe mehrere Jahrhunderte - das Kochen bis zur Perfektion gebracht. Es half dabei, den Anschein von Normalität gegenüber den Menschen zu wahren und unsere Identität geheim zu halten.

Dämon - Höllisch VerhextWhere stories live. Discover now