Prolog

757 25 26
                                    

Tief atmete ich durch. Ich schaff das, ich kann sie anlügen, ich habe es schon so oft getan, also kann ich das jetzt auch. Ich drückte den grünen Hörer, um meine Mutter anzurufen. Viel zu schnell hob sie ab: „Ja?“
„Hi Mama“, ich sprach sehr nasal und versuchte mich krank anzuhören, „Ich kann dieses Wochenende nicht zu dir kommen. Ich bin krank.“ Kurz hustete ich, damit sie mir mehr glauben schenkte.
„Oh, das ist ja schade. Dann kommst du einfach nächstes Wochenende, Ruh dich aus.“ Erleichtert atmete ich aus und biss mir auf die Lippe.
„Ich ruf dich im laufe der Woche noch mal an. Hab dich lieb.“ So schnell ich konnte beendete ich das Gespräch und ließ mich auf mein Bett fallen. Das wäre geschafft. Grinsend öffnete ich den Chat mit Verena. ‚Anna: Mama denkt ich bin krank. Können also weg.‘ Prompt kam auch schon die Antwort ‚Verena: Komm zu Marc, am besten so, dass dich keiner sieht ;)‘ Schnell zog ich mir ein anderes T-Shirt und eine frische Hose an und schminkte mich. Meine Augen waren so schwarz wie die Nacht, genau so mochte ich es. Das Blau meiner Augen kam dadurch mehr zur Geltung und meine unschönen Pickel verschwanden unter der Schicht Make-up. Ich suchte in meinem Kleiderschrank noch nach meinen Zigaretten und verstaute sie in einer kleinen schwarzen Handtasche. Ich war eigentlich nicht der Mensch für so was, aber dafür waren die Teile doch sehr praktisch. Ein Glück fand mein Vater nie meine verstecke für Zigaretten, sonst hätte er mir bestimmt die Ohren lang gezogen. Eilig verschloss ich die Haustür und rannte regelrecht die fünf Etagen nach unten. Wie leid ich es war, jeden Tag hier hoch und runter zu gehen. Die Hauptstraße entlang zu gehen war nicht die beste Idee die ich hatte, aber die einzige. Ich zog meine Kapuze tief in mein Gesicht, damit mich niemand erkannte und ging den steilen Berg hoch. Außer Atem stand ich vor Marcs Haustür und klingelte ungeduldig. Endlich ertönte das Summen und ich konnte die Tür aufdrücken. Langsam stieg ich die Treppen hoch, wieder bis nach ganz oben. Schnaufend stoß ich die Tür von Marcs Wohnung auf und ließ sie laut wieder ins Schloss fallen.
„Hey Anna!“ freudestrahlend nahm Verena mich in ihre Arme. Ihre langen braunen Haare kitzelten mich und ich drückte sie von mir weg.
„Hey.“ Ich ging durch den kleinen Flur an der Küche vorbei ins Wohnzimmer. Marc stand auf und kam auf mich zu. Wie immer, zur Begrüßung, gab er mir einen kleinen Kuss auf den Mund, welchen ich zaghaft erwiderte.
„Hat dich auch niemand gesehen?“, fragte er und ich bemerkte einen leichten hauch von Alkohol, aus seinem Mund.
„Nicht das ich wüsste.“ Schulterzuckend ging ich zur Couch und zog dabei meine Jacke aus. Achtlos warf ich sie auf einen Stuhl und kramte in meiner Handtasche nach den Zigaretten. Verena und Marc sahen mich beide mit einem Dackelblick an, woraufhin ich augenverdrehend zwei weitere Zigaretten aus der Schachtel nahm. Es war schon längst dunkel geworden und Marc trank bestimmt schon sein zehntes Bier.
„Wollt ihr auch was trinken? Natürlich kein Bier. Ihr seid ja erst vierzehn“, lachte er, „Ich hätte Krümmeltee und Wasser zur Auswahl.“ Verena und ich waren beide keine Wassertrinker, somit nahmen wir den Eistee.

Wir lagen schon eine ganze Weile auf der ausgeklappten Couch, während Marc sich durch das Internet tippte. Leise schnarchte Verena vor sich hin und ich drehte mich zu Marc um, da der Computer direkt neben der Couch stand. Langsam ertönte ein Lied, welches ich nicht mehr hören wollte nach dem tot meiner Uroma, und sofort schossen mir Tränen in die Augen.
„Kannst du das bitte ausmachen?“, flüsterte ich und wischte die Tränen weg. Er lächelte mich an und schaltete den Computer ganz aus. Vorsichtig kletterte er über Verena und legte sich neben mich.
„Du musst nicht weinen“, flüsterte auch er und Strich mir eine Träne weg. Ich lächelte bei der kleinen Geste und zog mir die Decke über die Schulter. Marc sah mich die ganze Zeit an und ich fühlte mich unfassbar wohl in seiner Nähe. Niemand verstand warum ich den Stadtbekannten Alkoholiker mochte, niemand verstand warum ich mich mit ihm einließ. Um ehrlich zu sein verstand ich es selber nicht, er war nett zu mir, hat immer aufgepasst, dass mir nichts passierte und genau das brauchte ich. Grinsend piekte ich ihm in die Wange. Er rutschte näher zu mir schaute zwischen meinen Lippen und Augen hin und her und drückte seine auf die Meine. Ich verstand nicht was passierte und drückte ihn von mir weg.
„Nicht“, flüsterte ich und rückte näher an Verena.
„Ach komm, hab dich nicht so. Du willst es doch auch. Vere… Anna, ich will dich. Ich brauch dich.“ Er griff unter mein T-Shirt und berührte meine Brüste. Panik stieg in mir auf, mein Herz raste augenblicklich und ich wollte nur noch weg.
„Marc, lass das!“ Ich wurde lauter und schlug seine Hände von mir weg, er zerrte an mir und ich wurde immer panischer. Verzweifelt trat ich nach Verena, um sie zu wecken, doch sie rührte sich nicht. Wollte sie mich nicht hören oder konnte sie nicht? Ich sprang auf, trat ihr auf die Beine, doch noch immer kam keine Reaktion von ihr. Hilf mir doch. Flehte ich stumm und rannte gerade aus ins Schlafzimmer, dicht gefolgt von Marc. Schnell schlug ich die Tür zu und stemmte mich dagegen. Warum hilfst du mir nicht? Panisch schmiss ich eine Glasplatte um, damit Verena endlich wach wird. Aber es half nichts, ich war gefangen und allein. Marc stoß die Tür auf und lächelte mich mit einem so bösen Blick an, mir gefror das Blut in den Adern und ich wusste, ich konnte nichts gegen ihn unternehmen. Ich ging immer weiter zurück, bis ich die Wand an meinem Rücken spürte. Nun gab es endgültig kein entkommen mehr, langsam und bedrohlich kam Marc immer näher und zog mich in seine Arme. Er riss mir die Hose und meinen Slip herunter. Ich stand da wie versteinert, konnte mich nicht bewegen, nichts sagen. Tränen liefen mir die Wange hinab. Ruckartig drückte er mich auf eine Matratze, welche am Boden lag. Für ein Bett hatte er wohl kein Geld.
„Warum tust du das?“, fragte ich schließlich unter Tränen und versuchte ihn weiterhin von mir weg zu drücken.
„Stell dich nicht so an, den anderen hat es auch gefallen!“ Er drückte mir seine ekelig, schmierige Hand auf den Mund und drang unbarmherzig in mich ein. Der Schmerz war mit nichts zu vergleichen. Es fühlte sich an, als würde ich innerlich zerrissen werden. Stumm weinte ich vor mich hin und hoffte nur noch, dass es schnell vorbei wäre. Nach gefühlten Stunden ließ er endlich von mir ab, obwohl es nur ein paar Minuten ging. Mein kleines unschuldiges Herz zersprang in tausend kleine Teile. In dieser Nacht hatte er mir nicht nur meine Jungfräulichkeit genommen, er hat mir mein ganzes Leben genommen!

„So schlimm war es doch nicht.“ Er zog sich das Kondom ab und schmiss es in eine Ecke des Zimmers.
Schnell rannte ins Badezimmer, versuchte den schmutz von mir zu waschen, doch es gelang mir nicht. Ich fühlte mich so dreckig und benutzt. Ich kann jetzt nicht nach Hause, mein Papa tötet mich, wenn er weiß wo ich war. Ich schaute in den Spiegel, die Schminke war in meinem ganzen Gesicht verteilt, meine Augen blutrot unterlaufen. Schnell wusch ich mein Gesicht und stützte mich am Waschbeckenrand ab. Tief durchatmen Anna. Ganz tief durchatmen. Leise schlich ich ins Wohnzimmer und da lag er. Seelenruhig schlief er neben Verena, als hätte er mir nicht gerade alles genommen. Fest biss ich mir auf die Lippe und nahm mir eine Zigarette und ein Bier, das brauchte ich jetzt.

Die ganze Nacht konnte ich nicht mehr schlafen, bis früh morgens an die Tür gehämmert wurde.
„Mach die scheiß Tür auf Marc! Ich weiß das ihr da drin seid.“ Die Stimme von meinem Vater hallte durch das ganze Treppenhaus. Woher weiß er wo ich bin? Panisch sprang Marc von der Couch auf und rannte ins Schlafzimmer, Verena versteckte sich unter einer Decke und ich? Ich ging einfach zur Tür. Vorsichtig drückte ich die Klinke herunter. Mein Herz drohte zu zerspringen, so schnell und stark schlug es gegen meine Brust. Sofort wurde mir die Tür gegen den Arm geschlagen und mein Vater stand vor mir, mit so viel Zorn in seinem Blick, dass ich am liebsten im Erdboden versunken wäre. Hinter ihm versteckt stand Silvia, eigentlich meine beste Freundin, doch in dem Moment hasste ich sie und ich hoffte mein Blick würde ihr das zeigen. Entschuldigend zuckte sie mit ihren Schultern, während mein Vater die ganze Wohnung nach Marc absuchte.
„Elender Feigling, du kannst nicht ewig auf dem Dach bleiben!“, schrie er und kam wieder zurück zur Haustür, „Zieh dich an wir gehen! Sei froh das ich deine Mutter angerufen habe, um zu wissen ob du gut angekommen bist. Darüber reden wir noch.“ Innerlich schlug ich mir vor die Stirn, hätte ich ihn nur angerufen.
„Verena, du brauchst dich nicht unter der Decke verstecken, ich weiß das du auch hier bist. Dich bring ich jetzt zu deiner Mutter.“

Wann hört es auf? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt