Wütend, jung und männlich

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Wir haben uns alle echt große Sorgen um Tyler gemacht. Und das schon seit einer ganzen Weile. Alle hatten nach dem Frühlingstanz versucht Tyler zu helfen. Wir haben uns um ihn gekümmert. Vor allem ich. Aber was wenn das alles nichts gebracht hat? Könnte Tyler jemanden umbringen? Hat er Bryce getötet? Während ich Justin und die Frau vom Jugendamt beobachte, vibriert mein Handy. Ani schreibt mir. Wo bist du? Seufzend lasse ich das Handy in meiner Jackentasche verschwinden. Es dauert ungefähr noch zehn Minuten bis Justin fertig ist. "Lass uns auf dem Weg beim Geldautomaten halten.", sagt er, als wir in unserem Zimmer sind.
"Was? Nein, wieso?", frage ich entgeistert und nehme meinen Rucksack.
"Wegen Jessica. Nach allem verdient sie ein anständiges Date. Was ist denn mit dir los? Wir haben jetzt nen Freifahrtschein.", meint Justin mit vollem Mund. Wie kann er in so einem Moment nur essen?
"Tyler braucht unsere Hilfe, um ne Waffe loszuwerden. Er meint, er wär jetzt mit der Sache durch. Ich glaub, er versteckt sie in der Schule.", erkläre ich und stopfe meine Bücher gewaltsam in den Rucksack.
"Fuck, du denkst doch nicht, dass er..."
"Ich hab keine Ahnung.", unterbreche ich Justin. "Gut, Jessica passt ne Weile auf ihn auf, aber wir müssen uns beeilen."
Ehrlich gesagt ist es nicht schwer das alles über Tyler zu denken. Tyler ist echt schräg. Man hört doch über Killer immer dasselbe. Sie sind Einzelgänger, stehen auf alles, was mit Tod zutun hat und haben so eine Wut auf die Welt. Tyler ist genau so. Man sieht es ihm nicht an, aber tief im Inneren ist er bereit zu töten. Er ist jung. Und verdammt wütend. Tyler ist unberechenbar. Es war nur eine Frage der Zeit bis wieder was passieren würde. Ich weiß nicht warum, aber wir haben es alle geahnt. An dem Tag, als wir hören, dass Bryce erschossen wurde, sind wir uns sicher, es wäre unsere Schuld. Aber der, der sich am meisten Sorgen um Tyler macht, bin ich.

"Ich bin eben erst gekommen. Ich konnt noch nicht mit ihm sprechen.", erkläre ich Ani im Unterricht, als sie mich anspricht. Hätte ich nicht zu Hause festgesessen, hätte ich das Problem beheben können. Auch wenn ich noch nicht genau weiß wie.
"Glaubst du denn wirklich, er hätte Bryce umgebracht?", fragt Ani mich skeptisch.
"Ich weiß es nicht. Ich mein, keine Ahnung, ich dachte echt, es geht ihm besser."
"Aber denkst du, dass er dazu fähig wäre, jemanden zu töten?", hakt Ani nach. Ungläubig sehe ich sie an.
"Du etwa nicht? Gestern hast du das noch gesagt."
"Ja,aber ich dachte auch, Jessica hat was damit zu tun. Und ich lag falsch."
Unentschlossen schaue ich rüber zu Tyler. "Beim Frühlingstanz wäre er dazu auf jeden Fall fähig gewesen. Das konnte ich ihm ansehen.", sage ich seufzend. Diesen Blick, den er hatte werde ich wohl nie vergessen.
"Aber danach gings ihm doch besser. Oder etwa nicht? Es wirkte so."
Ich will daran glauben, dass unsere Hilfe nicht umsonst war. Ich kann Tyler nicht im Stich lassen. Niemals.

Seufzend stieß ich die Tür vom Kinosaal auf. "Im ernst. Es ging nur um nen Kerl, der rumsitzt und Leute beobachtet. Also wo soll der Film bitte spannend sein?", fragte ich lachend.
"Aber genau das macht ihn doch zum Helden, weißt du? Er sitzt im Rollstuhl, nur mit nem Fernglas und rettet trotzdem jemandem das Leben.", erklärte Ani mir.
"Seh ich auch so.", warf Tyler ein, der immer noch sein Popcorn aß.
"Dankeschön, Tyler.", bedankte sich Ani und blickte mich triumphierend an.
"Ich glaube, wir haben zwei völlig unterschiedliche Filme gesehen. Aber wenigstens war seine Kamera ganz cool.", sagte ich und griff in die Popcorntüte, die Tyler in der Hand hielt.
"Exakta VX. Ein Klassiker.", meinte Tyler mit vollem Mund.
"Es geht nicht um Action, Abby. Es geht...", begann Ani, konnte jedoch den Satz nicht selbst beenden. Belustigt zog ich eine Augenbraue nach oben und sah sie abwartend an. "Hilf mir mal Tyler." Hilfesuchend wandte sie sich an den immer noch essenden Jungen.
"Schlimme Dinge passieren fast täglich. Aber sie fallen uns nicht mal mehr auf, verstehst du? Wenn wir etwas mehr Zeit damit verbringen würden mal hinzusehen und zuzuhören, naja, unseren nächsten Nachbarn, was da so abgeht, dann würden schlimme Dinge nicht so oft passieren.", erklärte Tyler. Automatisch bildete sich ein Kloß in meinem Hals. Denn hätten wir damals mehr auf Tyler geachtet oder auf Hannah, wäre alles vielleicht anders gekommen. Ani und ich schwiegen. "Oder ist das nicht das, was du meinst?", wandte sich Tyler fragend an Ani.
"Das ist exakt das, was ich meinte. Du bist brillant.", meinte Ani lächelnd und küsste seine Wange. Ich verkniff mir ein Lachen und sah Tyler belustigt an.
"Ich hol dann mal noch ne zweite Portion Popcorn. Die ist für zu Hause, also...", stotterte Tyler und ging an uns vorbei. Lachend schüttelte ich den Kopf.

13 Reasons WhyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt