Wer atmet, ist ein Lügner

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Schweißgebadet setze ich mich kerzengerade auf. Mein Atem geht flach und in meinem Kopf dreht sich alles. Sobald ich realisiere, dass ich in meinem Bett bin, atme ich erleichtert aus. Es ist alles nur ein Traum gewesen. "Du hast geschrien.", sagt Justin, was mich zusammenzucken lässt. Ich habe völlig vergessen, dass er nur ein paar Meter weiter in seinem Bett ist und alles mitbekommt. "Ich dachte, die Albträume wären weg.", spricht er weiter und mustert mich besorgt. Ich greife nach der Wasserflasche neben meinem Bett und trinke einen großen Schluck daraus, ehe ich ihm antworte. "Leider nicht."
"Schon wieder Tyler?", hakt Justin nach. Doch dieses Mal hab ich nicht von Tyler geträumt, sondern von Bryce. Doch ich entscheide mich Justin anzulügen. "Keine Ahnung. Kann mich nicht erinnern." Ich steige vorsichtig aus meinem Bett und gehe Richtung Bad, ohne Justin weiter anzusehen. Jeder lügt manchmal. Schon, wenn man atmet lügt man. Ich lüge auch, gar keine Frage. Wahrheiten können gefährlich sein. Lügen sind leichter. Bis sie es nicht mehr sind. Zach Dempsey hat über das gelogen, was beim Homecoming passiert ist. Und ich muss einfach wissen, warum.

"Abby, hey. Hast du heute vielleicht kurz Zeit? Ich muss mit dir reden. Über einige Sachen.", meint Tyler, als er in der Schule auf mich zukommt. Sofort schaue ich von meinem Handy auf und schaue ihn besorgt an. "Klar. Vielleicht nachher?", frage ich ihn. "Bist du heute noch bei Dr Singh? Vielleicht sprichst du auch mit ihr."
"Na klar doch. Ich hatte nur... Ich hatte gehofft, dass wir reden könnten.", sagt Tyler. Doch mein Blick richtet sich schon längst wieder auf mein Handy. "Es ist nur irgendwie wichtig."
"Ja, total. Vielleicht beim Essen?", frage ich Tyler nervös.
"Klar.", gibt Tyler von sich und entfernt sich von mir, während ich weiter mein Handy anstarre. Normalerweise hab ich mich immer mehr um meine Freunde gesorgt, doch diesmal sorge ich mich um mich selbst.

Nervös wartete ich auf dem Schflur auf Tyler. Als dieser durch die Tür spazierte, setzte ich ein breites Lächeln auf. "Hast du gut geschlafen?", fragte ich ihn fröhlich und lief neben ihm her.
"Besser. Schätz ich.", antwortete Tyler.
"Hat Alex bei dir geschlafen? Und hat Tony euch gefahren?"
"Mhm.", murmelte Tyler trocken.
"Super. Also... Wie wärs wenn du ähm nen Termin bei Dr Singh vereinbarst?", fragte ich und schaute Tyler von der Seite aus abwartend an. Ich hatte mir tagelang Gedanken darüber gemacht, ob Zach nicht recht hatte. Und vielleicht bräuchte Tyler wirklich professionelle Hilfe. Hilfe, die wir ihm als Freunde nicht unbedingt geben konnten. "Wieso?", fragte Tyler mich und blieb stehen. In seinen Augen konnte ich sehen, dass er... Angst hatte? "Naja, nur damit du mit jemandem reden kannst, der dir helfen kann.", meinte ich vorsichtig.
"Aber ich hab doch euch.", sagte Tyler.
"Ja, klar natürlich. Sicher doch. Vielleicht kann sie dir ja besser helfen als wir.", erklärte ich und berührte Tylers Arm, doch er zog ihn sofort wieder weg. Seufzend schaute ich ihn an. Mit ihm hatten wir noch eine Menge Arbeit vor uns. Und genau deswegen schmiedete ich einen Plan und trommelte meine Freunde zusammen. "Ich hab 'nen Plan gemacht. Wer ihn morgens abholt, ihn zu welchen Stunden und nach der Schule begleitet und wer sich abends bei ihm meldet. Wenn wir es unter uns aufteilen, ist es gar nicht so heftig.", teilte ich den anderen in der Bibliothek mit. Alle waren da. Außer Zach. In diesem Moment hätte ich mir gewünscht, dass er mich unterstützt. Jessica nahm mein Tablet und warf einen Blick auf den Plan. "Ich schick euch den Link. Ist alles Passwortgeschützt."
"Es ist schon Wahnsinn, dass wir das hier alle tun und ich fass es nicht, du hast auch noch 'ne Website dazu gebaut.", meinte Jessica beeindruckt. Justin lachte neben mir etwas.
"Ich... Nein, ich hab die gar nicht wirklich gebaut....", stammelte ich.
"Das ist mega viel Orgakram. Mein Kopf platzt gleich.", warf Alex ein.
"Und wie lange geht das hier jetzt?", fragte Cyrus an uns gewandt.
"Bis es ihm wieder besser geht.", antwortete Justin.
"Also, für immer.", entgegnete Jessica.
"Menschen werden gesund. Gibt's echt.", meinte Justin zuversichtlich. Und ich war überrascht, dass er positiv dachte.
"Wir machen's bis Sommer und schauen wie es ihm geht. Und vielleicht ist im Abschlussjahr alles wieder gut.", teilte ich den anderen mit. Ich glaubte daran, dass wir es irgendwie schaffen würden. Wir mussten Tyler nur Zeit geben.

13 Reasons WhyWhere stories live. Discover now