Positiver Einfluss

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"Das ist eine Woche her. Seitdem liegt er im Krankenhaus. Auf der Intensivstation.", erkläre ich Dr Ellmann.

"Ihr Dad hat mich angerufen, um den Dienstagtermin abzusagen. Er erzählte mir von Justins Zustand."

"Ja, es sieht nicht gut aus.", gestehe ich bedrückt.

"Und wie fühlen Sie sich dabei?", fragt Dr Ellmann mich.

"Was spielt das für eine Rolle, wie ich mich fühle?" Perplex schaue ich hoch und blicke der Therapeutin verständnislos in die Augen.

"Ich denke, es spielt eine große Rolle. Das wissen Sie."

"Nein, ich weiß es nicht.", keife ich sie an. "Ich weiß gar nichts. Wir reden und reden und nichts wird besser. Und ich hab immer noch das Gefühl komplett durchzudrehen. Und trotzdem reden wir nur, ohne was zu erreichen."

"Sie glauben, wir haben keine Fortschritte gemacht in den letzten Monaten?"

"Nein, ich finde, das ist alles nur total egoistisch. Ich rede hier darüber, wie ich mich fühle, während es Justin echt..." Abrupt breche ich ab. "Schlecht geht.", beende ich dann den Satz, nachdem ich durchgeatmet habe.

"Weil Justins Situation so ernst ist? Und weil Ihre Situation dadurch unwichtiger erscheint? Weil sein Leben auf dem Spiel steht?"

"Ja!", antworte ich laut.

"Aber wir arbeiten doch hier daran, dass es Ihnen irgendwann mal besser geht. Steht Ihr Leben dabei nicht auf dem Spiel?"

"Doch, schon."

"Dann lassen Sie uns daran weiter arbeiten. Wollen Sie mir erzählen, wie es im Krankenhaus war?"

~

"Justin hat mir die Erlaubnis gegeben, mit Ihnen über die Behandlung und seine Diagnose zu sprechen.", teilt uns Justins Ärztin mit, als wir im Wartebereich des Krankenhauses sitzen. Mir ist unwohl dabei, zu erfahren, wie es jetzt mit ihm weiter geht. Denn ich fürchte, so wie diese Ärztin das sagt, hat sie keine besonders guten Nachrichten für uns. Das schlimmste an der ganzen Sache ist, dass ich mich machtlos fühle. Weil ich nicht weiß, wie ich Justin helfen kann. In letzter Zeit war ich keine besonders gute Schwester gewesen. "Ich fürchte, ich muss Ihnen etwas Unerfreuliches mitteilen." Mein Verdacht bestätigt sich und ich werde hellhörig. "Justin wurde positiv auf HIV eins getestet. Und aufgrund seiner Symptome glauben wir, dass es sich weiter entwickelt hat zu Aids."

"Das ist... Aber wie ist das möglich? Er hatte eine Grippe. Er war nur müde.", meint mein Vater und ist genauso geschockt wie ich es bin.

"HIV hat nach der Infektion eine lange Inkubationszeit. Es ist durchaus möglich, dass Justin eine Weile überhaupt keine Symptome gezeigt hat. Sein intravinöser Drogenkonsum und seine zwischenzeitliche Obdachlosigkeit dürften ihn noch anfälliger gemacht haben für einen schnellen Verlauf. Und den Unterlagen zu Folge hat man ihn nie getestet.", erklärt die Ärztin, doch ich höre nur noch ein Rauschen in meinen Ohren. In meinen Augen sammeln sich langsam Tränen, gegen die ich mit aller Mühe ankämpfe.
"Wie kann das sein, dass man ihn nie getestet hat?", wirft Tante Polly fragend ein. "Wir haben ihm den besten Arzt besorgt und der hat ihn gründlich durchgecheckt."

"Der Patient muss dem Test zustimmen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein junger Mann, der mit Drogenmissbrauch und Sexarbeit zu tun hatte, einen Test ablehnt."

"Sexarbeit?", frage ich überrascht und sehe die Ärztin geschockt an.

"Hat Justin nie über seine Zeit als Obdachloser gesprochen?"

13 Reasons WhyWhere stories live. Discover now