Wütend, jung und männlich

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Ich mein, wie sieht so ein Killer überhaupt aus? Also mal ganz im ernst. Wir haben absolut keine Ahnung. Jessica hat sicher genug Gründe, um Bryce den Tod zu wünschen. Aber es dann echt durchzuziehen? Das ist was völlig anderes. Schon den ganzen Morgen versuche ich Tyler zu erreichen, doch es geht immer nur die Mailbox ran. Dass er eine Waffe besitzt macht mir unfassbar große Sorgen. Seufzend lasse ich den Arm sinken, um Tyler ein weiteres Mal auf die Mailbox zu sprechen. "Tyler, hey hier ist Abby. Hör mal, kein Plan, ob du gestern meine Nachrichten gekriegt hast, also ich werd gleich vorbeikommen. Dann regeln wir das. Du musst dir keine Sorgen machen. Alles wird gut." Leider weiß ich nur nicht, ob ich das sage, um Tyler zu beruhigen oder vielleicht um mich selbst aufzubauen. Denn mein Herz schlägt mindestens genauso schnell wie damals beim Frühlingsball. "Na dann, bis gleich." Was für ein Mensch muss man sein, dass man zu sowas fähig ist?

Als ich nach Hause komme duftet es irgendwie nach Blumen und frischer Wäsche. Mein Vater trägt einen Anzug, was mich verwirrt die Stirn runzeln lässt. Tante Polly trägt ein Kleid und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie beim Friseur war. Die Küche glänzt, als würden wir nie hier essen. "Hey, Abby. Bist du bereit?", fragt mein Vater mich und richtet den Kragen seines Hemdes.
"Wofür denn?", frage ich und schaue verwundert zu dem Blumenstrauß auf dem Küchentisch.
"Für den Besuch für Justin. Die Frau vom Jugendamt müsste jeden Moment hier sein.", erklärt Tante Polly fröhlich. Sie nimmt ein paar Teller und stellt sie auf den Tisch. Der Besuch, der über die Adoption entscheidet... Den habe ich völlig vergessen. Ich schließe kurz die Augen und zwicke mir in die Nasenwurzel. Das darf doch nicht wahr sein. Ausgerechnet heute. "Oh das. Ja, ganz toll. Muss ich denn echt dabei sein?", frage ich nach.
"Abby, das Jugendamt soll doch sehen, dass Justin hier eine Familie und ein schönes Zuhause gefunden hat."
"Bist du... Du findest das immernoch alles gut oder?", hakt mein Vater nach. Seit den Ereignissen kümmert er sich mehr denn je darum, dass es mir gut geht. Er bindet mich immer in seine Entscheidungen mit ein.
"Oh ja, klar alles cool. Ich... Ich hab nur was, was ich noch erledigen muss, aber ich überleg mir was.", sage ich nachdenklich. "Ich habs kapiert. Ne große, glückliche Familie.", füge ich hinzu, als mein Vater mich unsicher ansieht. Lächelnd verlasse ich die Küche, um nach oben zu gehen. Gerade kommt mir Justin, frisch geduscht entgegen. Er trägt einen Bademantel und über seiner Schulter hängt ein Handtuch. "Mein Dad und Tante Polly sind heute echt schräg drauf.", teile ich ihm kopfschüttelnd mit.
"Bryce wurde erschossen.", kommt es wie aus der Pistole geschossen. Mir gefriert sämtliches Blut in den Adern, als Justin diese Worte ausspricht.
"Was?", frage ich entsetzt.
"Ja, der Evergreen County Register hat es heute morgen gemeldet." Und ganz plötzlich kommt nur noch ein Mensch in Frage. "Erschossen, oh Gott...", murmel ich leise vor mich hin.
"Ist schon abgefuckt, oder?", fragt Justin mich.
"Justin, bitte erzähl es noch nicht meiner Familie.", bitte ich ihn.
"Klar, vertrau mir."
"Danke.", sage ich und bewege mich Richtung Hintertür. "Ich muss kurz jemanden anrufen."

Es gibt einen Schüler auf der Liberty High, den es von uns allen vielleicht am schlimmsten getroffen hat. Der, der am meisten durchmachen musste. Und das ist Tyler Down. Ich hab Tony zu Tyler geschickt, in der Hoffnung er würde sich um die Sache kümmern. Wenn Tyler wirklich was damit zu tun hat, steckt er in großen Schwierigkeiten. "Sie und Justin teilen sich ein Zimmer, richtig? Kommt es da mal zu Problemen?", fragt mich die Frau vom Jugendamt. Wir sitzen im Esszimmer unseres Hauses. Allein, denn sie will auch mit jedem Einzelgespräche führen.
"Nein, ich hab gern einen Mitbewohner. Bruder und Mitbewohner. Ja, beides ist echt super.", erzähle ich und beobachte wie die Frau alles mitschreibt.
"Haben Sie und Justin auch gemeinsame Hobbys?"
Gemeinsame Hobbys? Wohl kaum. Doch das kann ich der Frau gar nicht so sagen, wenn ich möchte, dass Justin weiterhin bei uns wohnen darf. "Oh ja, jede Menge sogar." Sie blickt mich ungläubig an, wartete jedoch, dass ich weiter spreche. "Sport..." Und das ist auch das einzige, das über meine Lippen kommt. Dieses Gespräch wird schwerer als ich dachte.

13 Reasons WhyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt