Die Kalkmaschine

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Nichts, das irgendetwas Wert ist, entsteht ohne Schmerz. Ein Kunstwerk ist nur gut, wenn es einer Notwendigkeit entspringt, einem Bedürfnis. Das kann ein politisches Bedürfnis sein oder ein persönliches Bedürfnis. Oder Idealerweise beides. Kunst sollte Konfrontation sein. Sie sollte dich erschrecken und beängstigen. Und Hannah? Sie war eine Künstlerin in Bedrängnis. Und ich glaube, genau das ist passiert. Sie hat Leute wahnsinnig gemacht. Eine Seele in Bedrängnis muss sich irgendwie ausdrücken. Schweigen ist niemals die Lösung, wenn in deinem Inneren so viel los ist. Die Gesellschaft erwartet von uns, dass wir schweigen. Und es ist eine gefährliche Sache, wenn in deinem Inneren so viel los ist und du es keinem mitteilen kannst. Hannah musste ihre Kraft zurückgewinnen.

“Wirst du ihn wegen des Polaroids fragen?“, fragt mich Hannah. Sie will einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden und langsam habe ich es aufgegeben dagegen anzukämpfen. Justin liegt zusammengerollt auf dem Sofa und schläft. Er sieht sogar ganz friedlich aus, wenn man bedenkt, dass er auf Entzug ist. “Ich weiß nicht, ob ich ihm trauen kann.“, antworte ich während ich ihn beobachte.
“Wie kannst du diesem kleinen schlafenden Engel nicht vertrauen?“, fragt Hannah belustigt. Justin öffnet langsam die Augen und sieht mich direkt an. Jetzt weiß er, dass ich ihn beobachtet habe.
“Scheiße, man. Was glotzt du so?“, fragt er irritiert.
“Justin, meinst du, du bist in der Lage dich zusammenzureißen bis nachher jemand vorbeikommt und nachsieht, wie es dir geht?“, frage ich und stehe von meinem Bett auf. “Ich bin spät dran, ich muss in die Schule.“, füge ich hinzu.
“Mir geht's gut. Ich brauch keinen Babysitter.“, sagt Justin, jedoch friert er und allgemein sieht er weniger gut aus. “Es ist nur so scheiße kalt hier drin.“ Justin zieht die Decke hoch bis zum Kinn und schließt die Augen. “Das ist Schüttelfrost. Du hast Fieber.“, erkläre ich ihm. Ich schnappe mir eine Decke und lege sie über ihn. Dabei fällt mir ein ekliger Geruch auf. “Vielleicht solltest du dich mal duschen.“, sage ich angewidert. “So schlimm ist es nicht.“, widerspricht Justin.
“Du stinkst erbärmlich. Geh einfach duschen, bitte.“, sage ich bittend.
“Ich habe Hunger.“
Verwirrt sehe ich ihn an. “Wie kannst du Hunger haben? Du hast alles ausgekotzt.“ Justin zuckt mit den Achseln.
“Vielleicht hab ich deshalb Hunger.“ Genervt verdrehe ich die Augen.
“Geh jetzt duschen.“

Während Justin duschen ist, mache ich ihm ein paar Toasts und eine Tasse warmen Kakao, damit er etwas in seinen Magen kriegt. Diesmal bete ich, dass er es in seinem Magen drin behält, denn meinem Dad ist aufgefallen, dass meine Bettwäsche vollgekotzt war. Jetzt denkt er, ich werde krank. Als ich die Treppe nach oben gehe,höre ich die Dusche und bin dankbar,dass er sehr lange duscht. “Hey.“, höre ich meinen Vater hinter mir und drehe mich erschrocken um. “Deine Tante denkt, du gehst uns aus dem Weg.“, meint er. “Ich geh euch aus dem Weg? Nein. Ich geh nur Tante Polly aus dem Weg.“, antworte ich und gehe auf ihn zu. “Deine Tante macht sich Sorgen um dich.“ Seufzend sehe ich ihn an.
“Ich weiß, Dad.“ Mein Vater mustert mich kurz. Sein Blick bleibt an den Toasts hängen.
“Du kannst doch nicht immer allein in deinem Zimmer essen.“ Er schnappt sich ein Toast und beißt genüsslich hinein.
“Ich ehm ich hab nur so viel Arbeit.“, stammel ich nervös vor mich hin. “Wie wärs mit einer Pause heute Abend? Im Crestmont läuft Vertigo. Gehen wir hin?“, schlägt mein Vater vor.
“Wow, ich ehm... “, beginne ich, doch mein Vater hat schon ein anderes Thema gefunden.
“Läuft da die Dusche?“, fragt er verwirrt.
“Ja, ja das ist mein... Ich hol nur schnell was zu Essen während es heiß wird.“, lüge ich.
“Ja, der neue Durchlauferhitzer braucht eine Weile zum erhitzen, aber doch nicht so lang.“ Mein Vater will die Tür öffnen, aber ich stelle mich davor. “Ach ist schon okay.“, sage ich.
“Naja, manchmal ist der Hahn auf kalt gestellt.“, erklärt er.
“Ist schon okay. Willst du meinen Kakao? Nimm ihn. Ich hol mir einen Neuen. Also Kino heute? Ich freue mich drauf. Danke.“ Ich reiche ihm die Tasse und öffne dann mit meiner Hand die Tür ehe ich rückwärts hineingehe und die Tür wieder schließe. Mit geschlossenen Augen öffne ich kurz den Duschvorhang und schließe ihn dann wieder. Justin beginnt was zu sagen, also unterbreche ich ihn. “Ja, Dad. Es ist richtig heiß! Der Durchlauferhitzer funktioniert super!“, rufe ich und lehne mich dann seufzend gegen die Tür.
“Scheiße, sorry.“, entschuldigt Justin sich.
“Sei einfach still!“, zische ich.
“Okay.“, gibt er von sich und schweigt. Ein paar Sekunden später schaut sein Kopf aus der Dusche heraus. “Kannst du jetzt rausgehen?“, fragt er und ich sehe ihn fassungslos an.
“Nein, es muss so aussehen, als wäre ich in der Dusche, du Idiot.“, sage ich leise. Justin nickt verständlich. “Na gut.“, sagt er. “Kannst du mir noch Shampoo geben?“ Genervt reiche ich ihm die Shampooflasche. Ich hoffe er bleibt nicht ewig in diesem Haus.

13 Reasons WhyWhere stories live. Discover now