13 Reasons Why

Kassette 7, Seite A

“Eine letzte Chance. Ich gebe dem Leben eine letzte Chance. Ich habe zwölf Kassetten aufgenommen. Mit Justin habe ich angefangen und dann kam Jessica. Beide haben mein Herz gebrochen. Alex, Tyler, Courtney, Marcus, jeder einzelne von euch hat meinen Namen in den Dreck gezogen. Bis hin zu Zach und Ryan, die meinen Mut gebrochen haben. Bis Kassette Nummer 12. Bryce Walker, der meine Seele gebrochen hat. Nachdem ich mit Nummer 12 fertig war, ist etwas Eigenartiges passiert. Ich habe eine Veränderung gespürt. Ich hatte mein Herz ausgeschüttet. Und für eine Sekunde dachte ich, ich könnte vielleicht drüber hinweg kommen. Ich beschloss dem Leben noch eine Chance zu geben, aber diesmal hab ich nach Hilfe gesucht. Denn ich weiß, dass ich das alleine nicht schaffen kann. Das weiß ich jetzt. Natürlich, wenn ihr das hört, dann habe ich versagt oder er hat versagt und mein Schicksal ist besiegelt.“

Ich schaufel mir eine Ladung Müsli nach der anderen ein beim Frühstück. Obwohl ich gestern bei Bryce war, geht es mir tatsächlich gut und ich habe hunger. Es gibt nur noch eine letzte Kassette, die ich gestern hören musste und dann war alles vorbei. “Willst du mich jetzt mit Schweigen bestrafen? Oder ist es anders herum?“, fragt mich mein Vater. Ich schaue auf und sehe in sein nachdenkliches Gesicht. “Sollte ich nicht wütend sein?“ Verwirrt sehe ich ihn an.
“Ich esse bloß mein Frühstück.“, sage ich dann.
“Du bist wieder abgehauen. Du weißt, das hat Konsequenzen, wenn du abhaust.“, sagt mein Vater streng.
“Ich bin nicht abgehauen, ich war bei einem Freund Zuhause.“, lüge ich. “Guckt mal, wen ich mitgebracht habe.“, ruft meine Tante Polly fröhlich und betritt die Küche. Hinter ihr ist Tony.
“Tony, guten Morgen.“, begrüßt ihn mein Vater.
“Guten Morgen.“, sagt Tony.
“Ich dachte Tony möchte vielleicht gern mit uns frühstücken. Wir können uns alle mal unterhalten. Vielleicht über die Vernehmungen morgen.“, erklärt Tante Polly.
“Tony hat keine Zeit.“, sage ich schnell und stehe auf. “Los, hoch.“, deute ich auf die Treppen.
“Abby.“, sagt Tante Polly warnend. “Tante Polly, bald. Versprochen.“, sage ich ruhig und gehe mit Tony in mein Zimmer. Ich gehe zu meinem Rucksack und krame herum.
“Und das ging nicht nach der Schule?“, fragt Tony etwas genervt. “Ich brauche eine Kopie von dieser Kassette.“ Vorsichtig hole ich sie aus dem Aufnahmegerät. “Kann ich sie mir nachher bei dir abholen?“
“Ich hab sie dir schon kopiert.“, antwortet Tony.
“Nein. Weißt du noch? Seite B war leer.“, erkläre ich.
“Ja?“ Fragend sieht Tony mich an. Ich drehe die Kassette um, wo nun eine 14 mit blauem Nagellack geschrieben ist.
“Jetzt ist sie nicht mehr leer.“ Ich packe sie in den Recorder und drücke auf Play. Das Gespräch zwischen Bryce und mir habe ich vollständig aufgezeichnet. Deswegen hatte ich so lange in meinem Rucksack gekramt. Tony sieht mich völlig entsetzt an.
“Er hat es gestanden?“, fragt er dann. Ich nicke. Tony setzt sich auf mein Bett. “Du hast ihm die Kassetten nicht gegeben, nicht wahr?“, fragt er.
“Ich habe ihm von seiner erzählt. Ich vermute, du willst 'ne Kopie davon machen, dann hast du alles komplett.“ Schnell reiche ich ihm die Kassette und lehne mich an meinen Schminktisch.
“Und dann was?“, fragt Tony.
“Ich habe letzte Nacht 'ne SMS von Sheri bekommen. Sie hat sich der Polizei gestellt.“, erzähle ich.
“Was war dann?“
“Ich weiß es nicht, aber wenn sie sich all dem stellt und wir haben Bryce' Geständnis.“
“Was ist mit dem Weiterreichen, wie es Hannah gewollt hat?“
“Ich denke, es wird Zeit, dass wir nicht mehr überlegen, was Hannah gewollt hat und endlich nachdenken was sie braucht. Und Jessica. Und alle anderen Mädchen, die Bryce angebettelt haben sollen sie zu... du weißt schon.“, meine ich.
“Ganz ehrlich, Abby. Ich bin nicht sicher, ob wir überhaupt das Richtige tun und selbst, wenn ich sicher wäre, ich weiß nicht wo wir stehen. Wir können uns das nicht erlauben. Wir haben die Beweise wochenlang zurückgehalten.“, sagt Tony nervös. “Also entweder wir unternehmen jetzt was oder wir legen die Kassetten in der Vernehmung vor. Ein halbes dutzend Leute wird heute verhört und wer weiß, was mit denen passiert.“, sage ich selbstsicher.
“Diese Kassette, diese Kassette verändert die Welt.“, wirft Tony ein. Ich sehe ihn an.
“Genau, das sollte sie tun, nicht?“