Kapitel 32

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Noch immer verstört von meinem Training mit Fergus stocherte ich am Abend nur lustlos in meinen Kartoffeln und dem Stück Schweinefleisch herum. Ich konnte noch immer nicht ganz glauben, dass ich Fähigkeiten von Aziz in mir trug. Wundern sollte es mich eigentlich nicht. Hatte Acacia nicht selbst diesen Verdacht geäußert, als wir uns das erste Mal sahen? Es dann aber bestätigt zu wissen, war allerdings noch einmal ein ganz anderes Kaliber. Ich wünschte, jemand würde die Zeit anhalten, damit dieser Kampf niemals stattfinden würde und ich mich Aziz damit niemals stellen würde müssen. Aber das war ein dämlicher Wunschgedanke und Träumereien brachten mir in meiner augenblicklichen Situation überhaupt nichts. Die Realität, so beschissen sie auch sein mochte, war eine andere und in der ruhte die Zukunft der gesamten Welt auf mir. Aber bloß kein Druck.

Seufzend stellte ich meinen kaum angerührten Teller beiseite und lehnte mich an den Mast hinter mir. Da ich ein bisschen Zeit für mich brauchte, hatte ich mich auf einen Stapel von Seilen an einem der Masten niedergelassen. Dadurch hatte ich einen guten Blick aufs Meer, worin sich die untergehende Sonne gerade spiegelte. Leuchtend orangerote Schlieren zogen sich über die Wasseroberfläche und das Meer funkelte, als hätte jemand tausend Kristalle darüber gestreut.

Dieser Anblick hatte inzwischen etwas so Vertrautes, dass es mich regelmäßig abends an die Reling zog, um dieses Spektakel zu beobachten. Ich wusste ja nicht, wie lange ich noch daran teilhaben konnte. Schnell verdrängte ich diesen unliebsamen Gedanken und seinen Begleiter, die mir wohlbekannte Angst, in dire hintersten Bereiche meines Bewusstseins. Ich wollte mir diesen Moment nicht von meinen eigenen deprimierenden Gedanken ruinieren lassen. Ich beschäftigte mich den ganzen Tag damit, da konnte ich doch wenigstens ein paar Minuten in wundervoller Ignoranz leben. Immerhin beschränkten sich meine nicht-magischen Probleme auf ein Minimum. Luan und mein Verhältnis schien geglättet und noch war es zu keinem ernstzunehmenden Konflikt zwischen Zach und Luan gekommen. In Anbetracht der aktuellen Ereignisse war ich dafür unglaublich dankbar, denn ich hatte im Moment keinen Nerv dafür, mich noch mit deren Streiterein zu beschäftigen. Ich hatte auch so genügend um die Ohren.

Ich hob meine Hand vor mein Gesicht und beobachtete, wie das schwächer werdende Licht sich davon wie eine Motte angezogen fühlte. Als handele es sich um einen bequemen Pelzmantel und nicht um eine unglaublich mächtige Energiequelle wickelten sich die Lichtstrahlen um meine Hand und umhüllten sie vollständig, sodass nicht einmal mehr die Umrisse dieser zu erkennen waren. Fasziniert bewegte ich meine Finger in diesem Mantel aus Licht, spürte aber nichts außer einer angenehmen Wärme. Jetzt, da meine Fähigkeiten, zumindest die meiner Mutter, aktiviert waren, fiel es mir viel leichter, mir das Licht zu eigen zu machen. Dabei war unser Training erst wenige Stunden her.

Meine Neugierde war geweckt. Was ich wohl noch alles damit machen konnte? Probehalber stellte ich mir vor meinem inneren Auge vor, wie sich das Licht um meine Hand zu einer leuchtenden Kugel formte. Und tatsächlich! Das Licht begann sich unter meinem Einfluss zu verformen, als bestände es aus Knete und eine etwas faustgroße Kugel, die einer kleinen Sonne glich, schwebte nur wenige Zentimeter über meiner nun offenen Handfläche.

In meinen Gedanken ließ ich die Kugel hoch- und wieder hinunterbewegen und sie folgte meinen Befehlen, als würden wir auf einem Kanal kommunizieren, der nur uns vorbehalten war. Mir wurde klar, dass ich gerade wie ein kleines Kind mit einer vermutlich nicht ungefährlichen Lichtkugel herumspielte und beschloss, sie wieder verschwinden zu lassen. Aber wie genau sollte ich Licht zum Erlöschen bringen? So wie ich das Licht von einer Quelle bezog, in dem Fall die Sonne, so musste ich es auch wieder dieser Quelle zurückgeben. Zumindest vermutete ich das.

Fergus meinte, ich sollte mich ausprobieren, was meine Fähigkeitem anbelangt. Solange ich nicht das Schiff abfackele. Hm, was könnte ich also mit einer solchen Lichtkugel alles machen? Das Licht einfach wieder fortzuschicken schien mir zu langweilig. Und ich musste ja schließlich wissen, wie ich es als Waffe einsetzten konnte. Mein eigenen Vorhaben damit innerlich rechtfertigend hob ich die Hand mit der Kugel und ließ sie einem Tennisball gleich, der angeschlagen wurde, nach vorne aufs offene Meer hinaus schießen. Als ich die Kugel meiner Kontrolle entzog, kam es am Horizont zu einer gewaltigen Lichtexplosion, die mich einige Sekunden lang blendete. Es hatte ausgesehen, als hätte jemand eine Atombombe auf dem offenen Meer explodieren lassen, nur dass statt einer gewaltigen Rauchsäule eine bestimmt 50m hohe Lichtsäule das Meer verschluckte. Eine Wasserfontäne begleitete das ganze Spektakel und erschrocken ließ ich meine Hand wieder sinken. Unauffällig blickte ich zu den restlichen Piraten, die noch immer ihr Abendessen genossen. Hatte einer etwas bemerkt? Scheinbar nicht, zumindest unterhielten sie sich angeregt weiter. Soviel zu meiner Theorie.

Pirate's LoveWhere stories live. Discover now