Kapitel 16

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Seit Luan das Zimmer verlassen hat, waren bestimmt schon Stunden vergangen. Die Sonne war von der einen Seite des Meeres auf die andere gewandert. Währenddessen hatte ich nichts anderes gemacht, als an die Decke zu starren und den Versuch zu starten, meiner Gefühle klar zu werden. Aber wie sollte ich wissen, dass ich Luan liebte, was schon rein logisch gesehen unmöglich war, da ich ihn erst seit fünf Tagen minus den drei Tagen, wo ich bewusstlos war, kannte, wenn ich das Gefühl noch nie zuvor erlebt hatte?

Es war nicht so, dass es nicht genügend Jungs auf meiner Schule gab, aber da war nie der Richtige dabei. Sie waren alle so ... gleich. Auch wenn jeder von ihnen eine individuelle Person war, mit einem ganz eigenen Charakter und einem ganz speziellen Aussehen, hatten sie doch alle das gleiche Ziel, die gleichen inneren Wünsche und Sehnsüchte. Die meisten wollten eine Freundin auf Zeit, dann studieren gehen und irgendwann heiraten und Kinder bekommen. Es gab niemanden, der von diesem Muster abwich. Selbst die Mädchen folgten diesem Weg und nur wenige erkannten, dass das nicht ihr eigenes Wollen war, sondern das der Evolution. Die hat uns nämlich so programmiert, dass das Wichtigste in unserem Leben eine stabile und innige Beziehung zu einer Person war und die Erweiterung der eigenen Familie.

Manchmal kam es mir so vor, als würde jeder Mensch blind und taub sein. Sie sahen nicht, was sie mit ihrer Umwelt machten und drehten sich von dieser Zerstörung weg, als würde es sie nichts angehen. Aber das tat es! Spätestens, wenn unsere Resourcen nicht mehr ausreichten und der Kampf ums Überleben begann. Und sie hörten weder die stummen Hilferufe anderer, noch spürten sie ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen unter der dicken Schicht der Erwartungen, die uns die Evolution auferlegt hat.

Mom meinte immer, ich solle doch Philosophin werden, wenn mich solch tiefgründigen Gedanken quälten. Bei tiefgründig lächelte sie immer leicht sarkastisch. Auch wenn sie das eher als Scherz verstanden hatte, hatte ich tatsächlich eine Weile lang darüber nachgedacht und war schließlich zu dem Ergebnis gekommen, dass das nichts für mich war. 

Warum? Ich weiß es nicht so genau. Es war einfach nicht das, was mich ausmachte, was mein Wesen verkörperte.

Vielleicht waren es genau diese Gedanken, die verhinderten, dass ich nicht wusste, ob ich Luan liebte. 

Stöhnend rollte ich mich auf den Bauch und betrachtete schweigend das Meer. Das Gewitter war an uns vorbeigezogen und das Meer hatte sich wieder beruhigt. Still und unschuldig lag es da, als würde es nicht tausende Menschenseelen gewaltsam nehmen, als würde es nicht Schiffe in seine Tiefen ziehen und als würde es nicht zahlreiche gefährliche Tierarten beherbergen, von denen viele noch nicht mal entdeckt worden sind.

Ich hörte, dass die Tür vorsichtig geöffnet wurde, machte aber keine Anstalten, mich zu bewegen. Stattdessen starrte ich weiter auf das Meer hinaus und ignorierte denjenigen, der gerade gekommen ist.

Als sich Schritte dem Bett näherten, schloss ich schnell die Augen und tat so, als ob ich schlafen würde. Die Matratze senkte sich leicht, als die Person sich auf das Bett setzte.

Es fiel mir schwer, nicht nachzuschauen, wer gekommen war, aber ehrlich gesagt, wollte ich gerade keine Gesellschaft und am wenigsten ein klärendes Gespräch mit Luan. Schon beim Gedanken daran knotete sich mein Magen unangenehm zusammen.

Eine warme Hand legte sich auf mein Schulterblatt und Luan flüsterte zaghaft: "Ava, bist du wach?"

Schnell biss ich mir auf die Zunge, damit sich mein Mund nicht selbstständig machte und ihm antwortete.

Jetzt wartete ich reglos darauf, dass er ging, da er ja denken musste, ich wäre nicht wach.

Stattdessen fuhr er mir vorsichtig durch mein Haar und kämmte es mit seinen Fingern. Das tat er mit so einer Sanftheit und Wärme, dass ich unwillkürlich leicht erschauerte.

Obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste ich doch, dass er lächelte und auch wenn es mir sehr schwer fiel, blieb ich liegen.

Meiner Meinung nach könnte er ruhig so weitermachen, aber leider hörte er auf. Ich spitzte die Ohren, damit ich wusste, wann ich mich wieder rühren konnte. Aber ich konnte keine Schirtte weggehen hören. Dafür spürte ich aber plötzlich Luans Lippen auf meinen Haaren und ich musste mich ziemlich zusammenreißen, damit ich mich nicht anspannte, was ihm wiederum verraten hätte, dass ich wach war.

Es fühlte sich gut an und ungeachtet der Tatsache, dass dieser Moment nur wenige Sekunden gedauert hat, spürte ich seine Zuneigung und ... Liebe darin. Luan liebte mich?

Am liebsten würde ich ihn genau das hier und jetzt fragen, aber stattdessen bewegte ich mich nicht.

"Ava, vielleicht hörst du mich jetzt nicht, aber uns verbindet etwas. Ein Band, das mich zu dir hinzieht, mich meine Verantwortung als Kapitänssohn vergessen lässt und dafür sorgt, dass ich dich nur noch in meinen Armen halten will. Und auch wenn es unmöglich scheint, ich ..." Luan stockte kurz und es schien, als könnte er selbst nicht ganz fassen, was er da sagte. "... ich liebe dich."

Einige Sekunden vergingen und in meinem Inneren brach ein Gefühlssturm los, von dem ich nicht sicher war, ihn bändigen zu können. Freude, Erleichterung, Zuneigung, Glück und tausend andere Gefühle vermischten sich und dieses heilose Durcheinander machte es undenkbar, jedes Gefühl herauszufiltern.

Ich biss mir so fest auf die Unterlippe, dass ich Blut schmeckte. Aber das hielt mich davon ab, aufzuspringen, in Luan's Arme zu hüpfen und ihm dann aber nicht sagen zu können, dass ich ihn ebenfalls liebte. Weil das konnte ich einfach nicht. Nicht solange ich nicht wusste, ob dem wirklich so war. Diese Gewissheit dämpfte meine Glücksgefühle ein wenig ab und machte es mir leichter, liegen zubleiben.  

Ein lauter Seufzer entwich Luan und das Gewicht verschwand von der Matratze. "Wenn ich doch nur den Mut hätte, dir das persönlich zu sagen. Wenn ich doch nur den Mut hätte ..."

Diesmal konnte ich seine Schritte hören, die sich entfernten. Erst als Luan die Tür hinter sich geschlossen hat, stieß ich meinen Atem aus, den ich unbewusst angehalten hatte.

Er liebte mich. Luan liebte mich. Ich rollte mich zurück auf den Rücken und grinste breit. Diese drei kleinen Worte füllten mich mit Stolz diejenige zu sein, der er seine Liebe schenkte und wärmten mich von innen auf.

Gleichzeitig schufen sie eine Angst und einen gewaltigen Druck. Irgendwann würde Luan es mir so sagen, dass ich antworten musste und ehrlich gesagt wusste ich nicht, wie ich dann reagieren sollte. Ich wollte ihn nicht verletzen und wenn er mir seine Liebe gestand und ich diese Worte nicht erwidern konnte, dann würde ich ihn definitiv verletzen.

Wann hatte mein Leben angefangen so kompliziert zu sein? Ich hatte nicht viel erwartet von meinem früheren, langweiligen Leben. Nur ein bisschen mehr Action, Spannung. Und jetzt konnte man ja sehen, wohin mich das gebracht hat.

Irgendetwas oder irgendwer will mich offensichtlich umbringen und meine eigentlich ruhige und geordnete Gefühlswelt wurde durch Luan komplett aus der Bahn geworfen.

Womit hatte ich das nur verdient?

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@xxsophiayy  

Wir alle wissen, dass du eine großartige Philosophin wirst :). Musste beim Schreiben des Kapitels an dich denken, weil du ja irgendetwas mit Philosophie machen willst. :D

Und an meine Leser:

ER HAT ES GESAGT!!! Yeyy, ich habe mich voll darauf gefreut das Kapitel zu schreiben, weil Luan diese drei Worte zu ihr sagen würde!

Was soll sie eurer Meinung nach jetzt machen?

Schreibt doch in die Kommentare :)

Pirate's LoveWhere stories live. Discover now