Kapitel 9

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Elian's Stimme brach und ich konnte Tränen seine Wangen hinunterlaufen sehen. Ohne zu zögern, nahm ich ihn fest in den Arm und er vergrub seinen Kopf an meiner Schulter. Ich legte mein Kinn auf seiner Schulter ab und mein Blick traf den von Luan, der uns mit einem undefinierbaren Ausdruck im Gesicht ansah. Doch im Moment hatte ich wenig Lust, mir auch noch darüber Gedanken zu machen, weshalb ich den Blickkontakt abbrach und meine Augen schloss. Es dauerte ein bisschen, aber Elian beruhigte sich wieder und mit rotunterlaufenden Augen sah er mich beschämt an. "Tut mir leid.", nuschelte er leise. "Du brauchst dich doch nicht für deine Trauer entschuldigen.", widersprach ich lächelnd. "Das ist völlig okay."

"Du weißt wahrscheinlich gar nicht, wer die Black Swan ist.", meinte Elian und räusperte sich kurz. Als ich den Kopf schüttelte, erklärte er: "Das sind die grausamsten Piraten, die es gibt. Wenn sie Städte angreifen und ausrauben, dann hinterlassen sie nie Überlebende. Sie besitzen keinen Funken Mitleid oder auch nur ein bisschen Gewissen. Ihnen geht es um das Gold und den Spaß am Morden. Selbst vor Frauen und Kindern machen sie keinen Halt. Auch Babys bleiben nicht verschont." Erschrocken starrte ich ihn an. "Das ist unmenschlich! Wie können sie das nur machen?! Die verdienen einen kräftigen Tritt in der Hintern, der sie einmal um die Welt befördert!",rief ich wütend aus. "Also wirklich, das sind Barbaren und Feiglinge. Wenn man sich mit Schwächeren anlegt, dann ist man einfach nur niederträchtig, schäbig und erbärmlich!" Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich aufgestanden war und Elian nun anbrüllte. Sämtliche Piraten starrten mich an, aber ich war zu wütend, um mich darum zu kümmern. Am liebsten würde ich gerade zu diesen Black Swan Piraten gehen und ihnen mal gehörig meine Meinung geigen. Wie konnte man nur Kinder töten? Unschuldige Kinder! 

"Ganz unsere Meinung!", rief plötzlich jemand und andere stimmten grölend hinzu. Verblüffte drehte ich mich um und erblickte Piraten, die kampfeslustig ihre Fäuste in die Höhe streckten. Mein Blick wanderte und überall sah ich entschlossene Piraten. Auch Kapt'n Moore nickte zustimmend und ich fragte mich, ob mein erster Eindruck von diesen Menschen falsch gewesen war. Vielleicht waren sie ehrenvoller, als ich zunächst angenommen hatte. Jedenfalls besaßen sie ein Gewissen und hatten eine Grenze, die sie anscheinend nicht übertraten. Ein Lächeln spross auf meinem Gesicht und ich reckte ebenfalls meine Faust in die Höhe. 

Nach diesem kurzen Moment der Solidarität wandte ich mich wieder Elian zu und setzte mich ihm gegenüber hin. "Fahr fort!", wies ich ihn sanft an. Seine braunen Augen schauten mich bewundernd an und er erzählte leise weiter: "Es war ein Tag wie jeder anderer. Ich war mit dem Boot auf dem Meer, um zu fischen, damit ich die Fische hinterher auf dem Markt verkaufen könnte. Doch plötzlich hörte ich schreckliche Schreie und ich ... ich hatte schreckliche Angst um meine Familie." Er stockte und schaute auf seine Hände. "Ich ruderte so schnell ich konnte zurück, um zu sehen, dass die Black Swan dabei war die Stadt auszurauben und zu zerstören. Überall lagen tote Menschen, so viel Blut ... " Elian sah mich mit Tränen in den Augen an. "I-Ich hatte so Angst und rannte so schnell ich konnte zu unserem Haus. Doch was ich dort sah ..." Wieder liefen Elian Tränen über die Augen. "Ein Pirat schlug genau in dem Moment, wo ich kam, meiner Mutter ohne Gnade den Kopf ab. Daneben lag der Körper meines Bruders. Ich schrie und schrie und konnte nicht mehr aufhören. Das Bild, wie meine Mutter enthauptet wurde, hatte sich in meinem Kopf festgesetzt. Der Pirat entdeckte mich und stürmte auf mich zu. Doch in dem Moment war ich wie erstarrt und nahm nichts mehr wahr außer den Leichen meiner Mutter und meines Bruders." Elian's Stimme brach und ich starrte ihn geschockt an. "Der Pirat holte aus, aber bevor er mich töten konnte, durchbohrte ihn von hinten ein Schwert und er brach zusammen. Das war das erste Mal, als ich Kapt'n Moore erblickte. Er bedeutete mir zu folgen, aber ich weigerte mich, denn ich wollte meine Familie nicht verlassen, auch wenn sie tot war. Aber er versprach mir, dass er die Leichen nachher holen würde. In dem Moment blieb mir nichts anderes übrig, als ihm zu vertrauen. Also folgte ich ihm auf sein Schiff, wo ich zusammenbrach." Mein Herz zog sich zusammen, als ich die schlimmer Geschichte des Jungen hörte. Wie konnte man nur etwas so Schreckliches erleben und dabei noch die Kraft besitzen, weiterzuleben.

"Nach einiger Zeit wurde ich wach, nur um dann zu erfahren, dass ich der einzige Überlebende war." Seine Stimme war voller Bitterkeit. "Es erschien mir unfair, dass gerade ich überlebt hatte, warum ich?" Verzweifelt sah Elian mich an und suchte wohl in meinem Gesicht eine Antwort, die ich ihm nicht geben konnte. "Nach der Beerdigung meiner Familie beschloss ich auf dem Schiff zu bleiben und meine Schuld abzuarbeiten. Die Black Swan hat mein gesamtes Leben innerhalb eines Tages zerstört und Kapt'n Moore hat es Stück für Stück wieder aufgebaut. Aus diesem Grund werde ich niemals Geld von ihm annehmen, denn er rettete mein Leben und gab mir ein Zuhause, als ich meins verloren hatte." Mit diesen Worten beendete Elian seine Geschichte und mir fehlten die Worte. Sprachlos schaute ich ihn an, fassungslos, dass er die Kraft hatte, aufzustehen und weiterzumachen und achtungsvoll, was für ein starker Mensch er war.

"Wie alt bist du?", fragte ich ihn traurig.

"17, wieso?", erwiderte er stirnrunzelnd.

Einem plötzlichen Impuls folgend, schlang ich meine Arme um ihn und hielt ihn fest. Irgendwie fühlte ich eine Verbundenheit zu ihm, vielleicht, weil ich auch meinen Bruder verloren hatte. Aber es war nicht vergleichbar zu dem, was er durchstehen musste. Niemand sollte so etwas erleben müssen, das war einfach schrecklich und ich konnte immer noch nicht ganz begreifen, was für widerwärtige Menschen diese Piraten von der Black Swan waren. Sie hatten nicht einmal den Tod verdient. Wenn ich die Macht hätte, würde ich sie für jedes einzelne unschuldige Menschenleben, das sie genommen hatten, büßen lassen und dabei würde ich nicht grausam sein. Nein, ich würde zu ihrem schrecklichsten Albtraum mutieren und sie den hundertfachen Schmerz spüren lassen, den sie anderen zugefügt hatten.

Ein Räuspern ließ uns aufschauen und ich erblickte einen älteren Mann mit leicht ergrauten dunkelblondem  Haar und meinen Augen, der uns lächelnd ansah.

"Einen wunderschönen Abend. Ich bin Darian, der erste Offizier und wollte endlich einmal das Mädchen kennenlernen, das auf mysteriöse Art und Weise auf diesem Schiff gelandet ist." Dabei zwinkerte er mir zu, so als würden wir ein Geheimnis teilen. Ich runzelte nur die Stirn und meinte dann freundlich: "Ich bin Ava Ross." Als hätte er nur darauf gewartet, ließ er sich neben mich plumpsen und ich musterte ihn genauer, denn ich war verwirrt. Darian hatte genau die gleiche Augenfarbe wie ich, dunkelblau mit goldenen Sprenkeln, Sternenaugen, wie meine Mom immer sagte. Ich hatte noch nie jemanden gesehen, der die gleichen Augen hatte, weshalb es mich auch so verwunderte, dass er dieselbe Augenfarbe hatte wie ich. Das war sehr seltsam. Während ich ihn ansah, bemerkte ich, dass er mir bekannt vorkam. Aber ich kam nicht darauf, woher. Stirnrunzelnd wandte ich meinen Blick ab und seufzte laut auf. Das Piratenschiff tat mir nicht gut. Ich wurde paranoid und das war definitiv nicht gut.

"Halt mich für verrückt, aber du siehst jemandem, den ich einmal vor langer Zeit gekannt habe, sehr ähnlich." Seine Stimme wurde schwermütig und ich sah, dass sein Blick traurig in den Himmel gerichtet war.

"Wem denn?", fragte ich sanft. Darian schaute mir lange in die Augen, die seinen so ähnelten und antwortete dann schließlich: "Jemandem, den ich sehr geliebt habe." Mehr sagte er nicht dazu und es ging mich auch schließlich nichts an. Das war nicht meine Angelegenheit und auch wenn ich normalerweise sehr neugierig war, sagte mir etwas, dass ich früh genug erfahren würde, was das alles zu bedeuten hatte. Aber noch nicht jetzt. Zu dritt starrten wir in den dunklen Nachthimmel, in dem die Sterne um die Wette strahlten. Einer schöner als der andere. Es ließ ihn wie ein riesiger Leuchtteppich erscheinen, für den es keinen Aus-Knopf gab. Durch das Betrachten der Sterne, wurden meine Augenlider  schwer und ehe ich michs versah, umhüllte mich der Schlaf wie eine warme Decke.

Pirate's LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt