13 Reasons Why

Kassette 3, Seite B

“Ich mochte Marcus schon immer irgendwie. Du kamst immer wie einer von den Guten rüber. Aber sie enttäuschen einen am Ende fast immer. Marcus, das hier ist deine Kassette. Worum ging's dir? Wolltest du sehen, ob die Gerüchte wahr sind? Oder wolltest du selbst neue Gerüchte streuen?“ Da ich im Schülervorstand bin, muss ich bei der Sitzung aufgrund der Prügelei zwischen Montgomery und Alex dabei sein. “Okay, also das Notfalltreffen des Schülervorstands ist einberufen. Marcus Cole sitzt vor. Courtney Crimsen ist Schriftführerin. Alle Mitglieder sind anwesend.“, eröffnet Marcus die Sitzung. Vor uns sitzen Alex und Montgomery. Während Monty nicht einen Kratzer im Geischt hat, sieht Alex' Gesicht ziemlich verunstaltet aus. “Antragsteller, bitte nennen Sie ihre Namen.“ Beide murmeln ihre Namen vor sich hin, so dass man sie nicht richtig verstehen kann. “Montgomery, der Fall ist ziemlich eindeutig. Ich meine, du warst der Mann am Steuer. Also hat der Fußgänger das Recht auf dem Weg.“, erklärt Marcus.
“Das ist das Gesetz.“, ergänzt Courtney.
“Und du bist gelaufen, als er dich fast erwischt hätte?“, fragt Marcus an Alex gewandt.
“Da war nicht nur ich. Heroji Pratt, Jin-seo Yoon, Chase Parker. Ich weiß nicht. Die waren alle da.“, erzählt Alex.
“Ja,du hast dich verhalten wie ein verdammter Psycho.“
“Hey! Wortwahl beachten.“, unterbricht Mr Porter Monty.
“Du bist rücksichtslos gefahren.“, merkt Courtney an.
“Du hättest jemanden umbringen können. Es ist unser Job die Schüler dieser Schule zu beschützen.“, sagt Marcus deutlich.
Alex lacht leicht und sieht ihn an. “Die Beschützer der Schüler dieser Schule?“
“Ja, Alex, das ist der Sinn dieses Schülervorstands. Um Streit zwischen Schülern zu schlichten und zu verhindern, dass sie es auf dem Flur austragen.“
“Ja, der Schülervorstand. Ihr seid alle so ehrenvoll.“, gibt Alex sarkastisch von sich.
“Alex, das alles ist nicht auf dem Schulhof passiert. Die Alternative ist die Polizei.“, schaltet sich Mr Porter ein.
“Okay, gut. Lasst uns da mal anrufen.“ Entsetzt sieht Courtney Alex an. “Niemand braucht einen Anruf. Das ist kein Krimi. Wir klären das hier.“, sagt sie.
“So dass jeder mit allem davon kommt an dieser Schule und es allen scheiß egal ist!“
“Wir sagen bloß, dass niemand daran Schuld ist. Okay, es ist halt passiert.“
“Es ist nicht einfach passiert. Ich meine, vielleicht bin ich etwas zu schnell gefahren. Aber Alex ist durchgedreht.“, mischt sich Monty ein.
“Ja, seht ihr. Ich bin durchgedreht. Mein Fehler.“, sagt Alex. “Gottverdammt. Beachtet die Wortwahl!“, ruft Mr Porter sauer.
“Ich übernehme verdammt nochmal Verantwortung. Da ihr das nicht könnt.“, erklärt Alex ebenfalls sauer. “Wenn Alex sagt, es war sein Fehler...“, beginnt Courtney.
“Es ist egal, was Alex sagt.“, wird sie von Marcus unterbrochen. “Aber es war sein Fehler.“, meint Montgomery. “Nein, dein Fehler.“
“Es ist nicht sein Fehler.“, wiederholt sich Alex.
“Vielleicht euer aller Fehler.“, melde ich mich zu Wort. Alle schauen mich an. “Ich meine, hat daran schon jemand gedacht?“, frage ich in die Runde und senke dann meinen Kopf. “Und ich grüble immer noch. Wenn mich doch nur jemand anderes auf seiner Liste gehabt hätte. Dann wäre vielleicht, vielleicht alles anders gekommen.“

“Hey Picasso. Du hast wohl noch ein Date heute Nacht, oder?“, fragte Hannah mich. Ich legte den Stift beiseite und sah sie an. “Ich?“, stelle ich lachend die Gegenfrage. “Der Valentinsfragebogen?“
“Ich habe ihn nicht abgegeben.“, sagte ich schlicht.
“War dir zu teuer, huh?“, scherzte Hannah.
“Ja, genau.“, lachte ich. “Nein, ich finde nur die Jungs an unserer Schule nicht so toll. Wie ist es bei dir? Hast du...“
Hannah nickte.
“Yep. Weißt du, du kennst mein Motto. Kein Cheerleader bleibt zurück.“ Lachend sehe ich sie an.
“Hast du denn gute Matches?“, fragte ich neugierig.
“Leider nein. Ich habe Bryce Walker.“
“Heilige Scheiße, wirklich?“, lache ich. “Okay, entweder hast du 'nen großen Fehler im Frageteil 'Wen suche ich?' gemacht oder der Logarithmus hat Mist gebaut.“
“Wahrscheinlich beides. Ich guck immer nach der falschen Person. Ja, ich habe einen Anruf von Marcus Cole bekommen. Er sagte ich wäre auf seiner Liste.“ Überrascht sah ich sie an. “Wirst du ausgehen mit ihm?“, fragte ich vorsichtig.
“Naja, er ist nicht meine erste Wahl. Aber ehm...“, begann Hannah, doch sie wurde von Jeff unterbrochen, der mit einem Mädchen ins Kino kommt. “Johnson. Was geht, Abby?“, fragte er. “Hey, Jeff. Lasst mich raten, ihr zwei schaut Never Say Goodbye am Valentinstag.“, scherzte ich.
“Nein, wir gucken Thirsty Ways To Die.“, antwortete Jeff.
“Wird ein klasse Date.“, sagte Hannah lachend. Jeff und sein Date stimmten in das Lachen mit ein.
“Jaja, ganz sicher. Was geht bei dir, Abby? Was sagt der Valentinstagsfragebogen?“ Ich bereitete die Karten für die beiden vor und seufzte.
“Ich dachte du hast ihn nicht gemacht?“, fragte Hannah mich verwirrt.
“Oh, ich dachte du sagtest...“, begann Jeff, doch ich deutete ihm an einfach leise zu sein. “Wir gehen in unseren Film.“ Damit verschwanden Jeff und sein Date im Kinosaal.
“Und, was stimmt jetzt?“, fragte Hannah.
“Jeff hat mich dazu gebracht. Er verleitet mich immer zu so Sachen. Aber ich habe ihn nicht abgegeben.“ Hannah glaubte mir nicht.

Die Wahrheit war, dass ich den Bogen nur nicht abgegeben hatte, weil ich genau wusste, dass ich Matches bekommen würde, die totaler Schwachsinn waren. Außerdem mochte ich einen ganz bestimmten Jungen, wo ich mir sicher war, dass wir nie zusammenpassen würden. Dafür waren wir zwei viel zu verschieden. “Okay, also Montgomery. Es ist die Entscheidung des Schülervorstands, dass du suspendiert bist von der Liberty Highschool für drei aufeinanderfolgende Schultage. Mit sofortiger Wirkung.“
“Das ist verdammter Bullshit!“, regt sich Monty über Marcus' Aussage auf. “Das ist wirklich verdammter Bullshit.“, stimmt Alex zu.
“Okay, das ist genug oder ihr beide geht!“, sagt Mr Porter wütend.
“Und uhm, du, Alex, erhälst hiermit eine Verwarnung. Das reicht für dieses Mal.“, macht Marcus weiter. Wütend darüber steht Alex auf und geht.
“Verdammte Heuchler.“, ruft er noch bevor er endgültig verschwindet. Ich sehe ihm nach und frage mich, wieso er sich kein einziges Mal verteidigt hat.
Nach der Sitzung kommt Marcus zu mir und sieht mich an. “Was war das?“, fragt er etwas sauer.
“Das fragst du mich? Alex suchte diesen Streit.“, sage ich ahnungslos. “Es läuft an dieser Schule doch eh schon genug Scheiße ab. Verstehst du, was ich meine?“
“Nein, was willst du sagen?“, frage ich genervt.
“Die Leute stellen schon Fragen. Wenn das alles rauskommt, ich...“, beginnt Marcus.
“Ich dachte, du hast die Kassetten nicht abgespielt.“ Ertappt schaut Marcus mich an. Ich habe ihn erwischt. Tony hatte Recht.
“Es geht nicht bloß um uns. Es ist nicht nur eine Sache der Schule. Es ist ein echter Prozess. Leben können zerstört werden.“ Ich nicke.
“Scheint als wären schon welche zerstört worden, findest du nicht?“, frage ich, nehme meine Sachen und verschwinde dann aus dem Raum.

“Meine Eltern sind schon seit der Highschool zusammen, also haltet mich für verrückt, aber ich glaubte noch an die wahre Liebe. Ich habe auf dich gewartet, Marcus. Und ich konnte bloß dort rum sitzen und grübeln. Fantasieren und die verschiedenen Szenarien in meinem Kopf durchgehen. Und all das während ich mir vorgestellt habe, dass alle um mich herum bescheid wussten. Jeder einzelne dort. Dass ich versetzt worden bin. Am Valentinstag. Und ich habe mich entschieden, dir nochmal eine Chance zu geben. Dumme Hannah. Und dann bist du endlich aufgetaucht. Nur leider nicht allein. Und es stimmte einfach. Du warst echt lustig, Marcus. Und ich dachte vielleicht, ganz vielleicht wird diesmal alles gut. Ich war wie erstarrt. Ich konnte nicht aufstehen und weggehen. Ich konnte auch nicht schreien. Alles wäre besser gewesen als dort zu sitzen und zu denken, dass das irgendwie mein Fehler war. Der Gedanke für den Rest meines Lebens allein zu sein. Trotz allem will man die Hoffnung nicht aufgeben, dass es da draußen gute Kerle gibt. Ich wusste es gibt sie. Ich habe daran geglaubt.“

Nach der Schule finde ich Zach alleine an seinem Auto, also gehe ich einfach zu ihm. “Zach.“, sage ich seinen Namen und hoffe, dass er mich nicht gleich wieder weg schickt. Er dreht sich um und stellt überrascht fest, dass ich es bin, die seinen Namen gesagt hat.
“Kein Buch, um mich zu schlagen?“, fragt er scherzhaft und entlockt mir ein kleines Lachen.
“Nein, ich habe beschlossen, nicht auf dich einzuprügeln.“ Zach lacht leicht und lehnt sich an sein Auto. Er trägt die Liberty High Jacke, die alle Sportler tragen.
“Ich wollte mich entschuldigen. Ich habe nicht die Absicht gehabt so zickig zu dir zu sein. Ich wollte nur...“, beginne ich und mache dann eine Pause. “Ich habe die letzten Tage nicht viel geschlafen. Ich weiß, dass sie deine Freunde sind, aber mach nicht immer bei allem mit, nur weil sie es tun. Ihr habt mir gestern wirklich Angst gemacht. Aber ich schätze  das war auch der Plan, nicht wahr?“ Zach seufzt und fährt sich durch seine dunklen Haare.
“Justin meinte, wir müssten dich ruhig stellen. Ich wusste nicht, was genau er vorhat. Er hatte Angst.“ Ich nicke.
“Die hab ich auch.“, sage ich wahrheitsgemäß. “Jeden Tag habe ich Angst davor, Hannahs Stimme zu hören.“
“Das Angebot steht. Wenn du reden willst...“, beginnt Zach und sieht mich an. Sein Blick ist ehrlich, also glaube ich ihm, dass er keine Hintergedanken hat. Ich lächle leicht und nicke dann.
“Ja, vielleicht tut es ja mal ganz gut.“ Zach lächelt ebenfalls. “Ich werd dann mal... ich meine ich bin zu Fuß unterwegs. Ich sollte gehen, damit ich nicht so spät nach Hause komme.“  Lachend schultere ich meinen Rucksack und trete zum gehen an. “Wenn du willst, fahre ich dich.“, bietet Zach mir an. Überrascht sehe ich ihn an.
“Bist du dir sicher?“, frage ich.
“Ja, ich bin mir sicher.“, sagt Zach und hält mir die Tür auf. Vielleicht hat Hannah recht. Vielleicht gibt es auch noch gute Jungs. Auch wenn sie manchmal wie Idioten erscheinen.

“Ein Fun Fact. Ich habe in den vergangenen Tagen ein bisschen über Grabsteine recherchiert. Oder genauer gesagt, über Inschriften auf Grabsteinen. Die beste, die ich finden konnte, war von diesem Schriftsteller namens Henry Charles Bukowski, Jr. Auf seinem Grabstein ist das Bild eines Boxers eingraviert. Und unter dem Boxer, zwei ganz einfach Worte. 'Versuch's nicht'.  Ich frage mich was auf meinem stehen wird.“