Broken

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Aileens Sicht

Er packte mich grob an den Schultern, zog mich hoch und riss mich so herum, dass ich mit dem Rücken zu ihm stand und die anderen ansehen konnte. Er hatte mich in den Schwitzkasten genommen. Es schmerzte. Alles ging so schnell. Ich schaute keuchend auf. Mindestens zehn Waffen waren auf uns, beziehungsweise Anderson, gerichtet. Ich hatte Angst. "Lass sie ihn Ruhe", sprach der einzige Mann ohne Uniform. "Ihr habt echt gedacht, ihr bekommt sie so einfach, oder?", spottete Anderson, dann flüsterte er mir ins Ohr "Du wirst ihm niemals wieder gehören". Cameron. Ich hatte eine schlimme Befürchtung und wollte es ihm noch einmal sagen. Cam musste wohl das Gleiche gedacht haben, denn wie aus einem Mund riefen wir "Ich liebe dich". Das brachte Anderson zur Weißglut. Er zerrte an meinem Körper und knallte meinen Kopf gegen die harte Wand. Er ließ mich los, doch bevor ich zu Boden sinken konnte fingen mich bekannte Arme auf. Alles war so unscharf, zu viele Bewegungen, die ich nicht zuordnen konnte. Ich hörte nurnoch ein lautes Summen. Es wurde immer schwieriger zu sehen. Bis schließlich alles vor meinen Augen schwarz wurde.

Camerons Sicht

Nein, das hat er jetzt nicht wirklich gemacht! Ich rannte auf sie zu, es war mir egal, dass ich ins Kreuzfeuer geriet, und fing sie auf. Ich konnte es nicht genießen, sie wieder in den Armen zu halten. Nicht unter diesem Umständen. Während die Polizisten auf Anderson los gingen trug ich Aileen nach draußen. Ihr Kopf hatte sie, wie schon so oft, an meine Brust gelehnt. Aber dieses Mal war sie nicht einfach müde oder schlief. Sie war bewusstlos. Sie blutete aus einer Wunde am Kopf. Mein Shirt war mittlerweile schon in Blut getränkt. Und sie war viel dünner als sonst, total abgemagert. Hatte sie etwa tatsächlich die letzten Tage nichts gegessen? Ich fand kaum eine Stelle an ihrem Körper, der nicht verwundet war. Als wir mit dem Sanitäter wieder draußen waren wurde sie mir sofort abgenommen und mit dem Krankenwagen weggefahren. Keine Erste Hilfe vor Ort. Ihre Eltern waren unfähig etwas zu sagen. Ich schaute runter auf meine Hände, die sie gerade noch berührten.

Im Krankenhaus mussten wir Stundenlang warten. Ich berichtete den anderen was passiert war. Skylynn verstand das alles zum Glück nicht so ganz. Wir alle wussten nicht wirklich was wir tun sollten. Niemand hatte uns etwas gesagt. Das Blut auf meinem Shirt war getrocknet.  Aileens Eltern waren in Stacys Zimmer. Es war schon früh am Morgen, als Stacy vorsichtig aus ihrem Zimmer geschlichen kam und versuchte, die paar Meter zu uns zu laufen. Wir wollten ihr helfen, doch sie wimmelte ab. Ohne ein Wort schaffte sie es und setzte sich dann erschöpft auf einen Stuhl. Wir versammelten uns alle um sie herum. Ich saß direkt neben ihr. Die langen, blonden Haare fielen ihr über die Schultern. "Hey, ich bin Stacy. Ich kenne euch nicht, aber ich weiß, dass ihr meine Schwester kennt. Könnt ihr mich bitte über alles aufklären?", fragte sie vorsichtig. "Natürlich. Willst du etwas trinken? Du siehst ziemlich erschöpft aus. Und wo sind deine Eltern?", ich wartete noch nicht einmal ihre Antwort ab, sondern sprang auf und holte ihr eine Flasche Wasser. "Danke, das Laufen ist immer noch total anstrengend", murmelte sie "Und meine Eltern schlafen gerade. Sie wollen mir nicht sagen was los ist, obwohl ich die Hälfte ja sowieso schon weiß. Aber ich will auch wissen, was ihr alle bisher erlebt habt. Na ja, ihr wisst schon, in der Zeit, wo ich nicht 'da' war". Ich mochte Stacy sofort. Jeder mochte sie sofort. Sie hatte viele Gemeinsamkeiten mit Aileen und sie war ein richtig goldiges Mädchen. Wir erzählten ihr unseren halben Sommer, alles, auch die Dinge mit Anderson. Sie verstand erst nicht, denn ihre Eltern hatten ihr immer noch nicht von Anderson erzählt, aber ich klärte sie schnell auf. Es war zwar alles ein bisschen viel, aber sie konnte uns recht gut folgen. Jeder war einmal an der Reihe und erzählte. Als wir bei der Sache mit dem neuen Haus angelangt waren hellte sich ihr Gesicht auf. Ich zwinkerte ihr zu. Wenn ihre Eltern es erlauben, dürfte sie natürlich mit einziehen. Am Ende war die Stimmung logischerweise nicht mehr so gut. Wir wurden alle wieder daran erinnert, warum wir hier waren. Sky, die die ganze Zeit über auf meinem Schoß gesessen war und gelauscht hatte zeigt auf einen Arzt, der gerade zu uns kam. "Sie ist ein Stockwerk höher, letzte Tür rechts. Aber sie müssen bedenken...", doch er wurde zum einen von den lauten Geräuschen unterbrochen, die wir erzeugten als wir aufstanden, als auch von ihren Eltern, die nicht alles mitbekommen haben, da sie gerade erst aus dem Zimmer kamen. Wir liefen alle schon zu Aileen hoch. Stacy wurde von Nash und mir gestützt. Vor der Tür standen zwei Polizisten, aber sie erkannten mich und ließen uns durch. Wir stellten uns alle ins Zimmer und warteten, bis die Narkose nachließ. Als ihre Augenlieder endlich flatterten und sie die Augen aufschlug hauchte ich leise "Hey", zu überwältigt, sie wieder in Sicherheit zu wissen. Jeder strahlte sie an. Sie schaute sich verwirrt um. Als ihr Blick bei mir hängen blieb konnte ich nur Angst und Verwirrung in ihren Augen sehen. Ich sah sie besorgt, aber mit einem lächeln an. "Wer seid ihr?", flüsterte sie schüchtern. Mein Lächeln erlosch. Etwas in mir zerbrach genau in diesem Moment.

Broken Glass (MagCon)Where stories live. Discover now