12. Kapitel

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Abigails Sicht:

In meinem Zimmer hatte ich mir schnell meine Jogginghose angezogen und eine dicke kuschlige Jacke.

Die anderen zogen sich ebenfalls warm an und wir verließen das Haus.

Mit einem leisen Klick war die Tür verschlossen und wir gingen los. Wie immer betrat man den schmalen Feldweg, den ich diesmal kaum sehen konnte.

Die Nächte in Irland waren etwas ganz besonderes für mich. Alles war dunkel, und zwar komplett. New York war die Stadt, die nie schlief. Wo es abends erst richtig los ging.

Es herrschte totenstille, und es gab gleichzeitig doch so viele Geräusche. Der Wind wehte kalt durch meine Haare und das Meer rauschte rhythmisch gegen die Klippen. Und das ständige Fußtappen meiner Freundinnen war zu hören.

Schließlich brach Zoe die Stille. "Ich kann sie sehen, die Burg!"

Alle Köpfe wandten sich ihr zu. Tatsächlich, einsame Mauerstücke wurden von dem schwachen Mondlicht beleuchtet. Hinter ihnen ragte die eigentliche Burg auf, die nur leicht angesrahlt wurde und einen wirklich unheimlichen Eindruck machte.

Wieder kämpfte ich mich durch das hohe Gras, das auch jetzt taunass war.

Als wir schließlich vor der großen Eisentür standen, hielten wir an und atmeten aus.

"Nein Leute, das könnt ihr vergessen." Saphira drehte sich um, doch Nelly hielt sie am Arm zurück.

"Du lässt uns da allein rein gehen? Wirklich? Nachdem was Abigail passiert ist? Es ist da drin, das Wesen. Und heute Nacht werden wir herausfinden, was es von uns will. Seid ihr bereit?" Nelly blickte uns nach der Reihe an und legte ihre Hand auf die Klinke. Ich tat es ihr gleich und legte meine Hand auf ihre. Auch Zoe machte mit, und schließlich auch Saphira.

Zusammen stemmten wir uns dagegen und die Tür flog krachend auf. Wir wichen ein wenig zurück, als uns der modrige, alte und leicht säuerliche Geruch entgegen kam. Nelly rüpmfte die Nase und trat vor. Dabei griff sie nach meiner Hand, die ich ohne Protest sofort umschloss. Saphira klammerte sich halb an Zoe, doch diese schien auch bei jemandem Nähe zu suchen.

Es war wirklich dunkel, und zu wissen, dass hier jemand lebte, der eigentlich nicht existieren dürfte, machte mir Angst.

Mit zitternden Händen nahm ich mein Handy aus der Tasche und schaltete die Taschenlampe ein. Der helle Lichtkegel huschte über die Steinwände und den brüchigen Boden.

"Hat noch jemand ein Handy mit Taschenlampe?", fragte Saphira vorsichtig.

Alle anderen verneinten und Saphira klammerte sich fester an Zoe, die versuchte sie irgendwie loszuwerden.

"Also Aby, wo warst du als du das Wesen gesehen hast?" Nelly hatte sich mir zugewandt und ich deutete stumm auf die Treppe. Sie nickte und bedeutete den anderen ihr zu folgen. Wir stiegen die ersten Stufen hinauf, doch als ein lautes Rauschen an unsere Ohren drang, entfuhr Zoe ein Schrei. Wir hielten sofort an und sahen zu ihr, die sich verwirrt die Ohren zuhielt.

"Zoe, wir müssen leise sein." Verbittert griff Nelly nach meiner Hand und sah mich an. In ihren Augen spiegelten sich einerseits Wut und auch Angst wider.

"Wir müssen weiter", meinte Saphira und wollte noch einen Schritt gehen, doch ich unterbrach sie.

"Das... das ist glaub ich gar nicht mehr nötig...", meine Stimme zitterte und ich starrte auf einen Punkt hinter Saphira. Zoe und Nelly folgten ganz langsam meinem Blick und schlugen sich beide die Hände auf den Mund. Panisch drehten sie sich zu mir, doch ich konnte meinen Blick nicht von dem Wesen abwenden.

Es hatte sich aus der Wand gelöst und mit schleifenden Schritten kam es auf uns zu. Es war das Hässlichste, was ich je gesehen hatte.

Es sah genau so aus, wie in meinen Träumen. Wie ein Mensch sah es in keinster Weise aus. Eher wie ein Etwas, mit viel zu kleinen Ohren, einer nicht vorhandenen Nase und zu meiner Überraschung hatte es sogar ein paar Haare, die ihm widerlich ins Gesicht geklatscht waren.

Obwohl mir dieses Bild durchaus bekannt war, jagte es mir jedes mal einen ungeheuren Schrecken ein.

Diese großen schwarzen Augen, viel zu weit auseinander. Und im ganzen Gesicht, pulsierten schwarze und rote Adern, die jeden Moment platzen könnten.

Nellys schwitzige Hand verkrampfte sich und ich schrie vor Schmerz leise auf. Ihr Griff lockerte sich minimal. Schließlich wagte ich einen Blick zu ihr. Ihr Gesicht war kaum zu erkennen durch das schwache Licht. Nur ihre grünen Augen schimmerten ängstlich in die Richtung des Wesens. Auch Zoe und Saphira starrten es unverwandt an, auch ihre Augen glänzten gruselig im Mondlicht. Und bei mir sah das wahrscheinlich ganz genauso aus.

Saphira hüpfte verschreckt hinter Zoes Rücken und suchte Deckung.

"Nein Saphira! Ich..."

Es hatte sie die ganze Zeit schon genervt, dass Saphira in ihr ein Schutzschild gesehen hatte, obwohl sie selbst dringend eines gebraucht hatte. Jetzt verließen ihre Kräfte sie und sie brach zusammen. Die dreckigen Stufen, auf denen wir uns noch befanden, federten ihren Sturz in keinster Weise ab, und schmerzhaft kam sie auf.

Schnell stieg ich die zwei Stufen zu ihr hinab. Das Wesen, dass natürlich immer noch auf dem Weg zu uns war, wurde langsamer und beobachtete die Szene ganz genau.

Panisch versuchten Nelly und Saphira Zoe wieder wach zu machen. Doch dies funktionierte nicht, also wühlte ich in Saphiras Tasche, die sie glücklicherweise mitgenommen hatte, und fand eine Wasserflasche vor, die sich spritzend öffnen ließ.

Ohne Rücksicht spritzte ich das kalte Wasser in ihr Gesicht, was sie sofort hochschrecken ließ. Saphira atmete auf und half ihr auf die Beine. Erleichtert ließ ich die Flasche fallen und sah mich nach dem Wesen um.

Es war weg.

(oben auf dem Bild ist das Wesen)

Das Geheimnis der grünen InselWhere stories live. Discover now