6. Kapitel

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Saphiras Sicht:

Überrascht blickte ich Abigail an. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie wusste wovon ich redete. Doch sie sah mich immer noch erwartungsvoll an. "Was meinst du?", fragte ich.

"Ein unfassbar hässliches Wesen. Ein ekelhaftes Grinsen, was es die ganze Zeit beibehält. Schwarze Haare, dreckige Zähne. Unnatürlich lange Fingernägel. Pechschwarze Augen und eine kratzige Stimme... Aber es verrät nicht, worum es geht."

Mir lief ein Schauer über den Rücken. Und vor allem, sie hatte recht. Genau das war meine Vision.

"Du hast es auch gesehen!", rief ich zitternd.

"Ich habe davon geträumt. In der Nacht auf meinem ersten Schultag an der neuen Schule, hier in Bray", erzählte sie.

Liam hatte sich aufgesetzt und seine Anmachen für Abigail aufgegeben. Er schien nun wirklich überrascht und interessiert zu zuhören.

Nelly hatte kein Wort gesagt, sondern nur ungeduldig mit ihren Fingern gespielt. "Aby? Ich sag es dir jetzt. Vor den anderen. Sie sollten das wissen, ich hatte ja keine Ahnung. Ich... habe auch davon geträumt. Von dem selben Wesen, von dem ihr die ganze Zeit redet. Und das wollte ich dir vorhin schon erzählen." Nelly senkte den Blick und wartete auf eine Antwort.

"Du auch?", fragte ich verwirrt.

"Bist du dir sicher?", wollte Abigail wissen.

Nelly nickte bedrückt und sah auf. Ich stand auf und nahm sie kurz in den Arm. Wir hatten jetzt alle das gleiche Problem. Doch wie sah es bei Liam aus?

"Was ist mit dir?" Abigail sprach zu Liam und nahm mir die Worte aus dem Mund. Dieser schüttelte jedoch nur bedächtig den Kopf.

"Nein, ich hatte keine Vision und keinen Traum. Und Saphira, als du heute zusammen gebrochen bist. Da war nichts. Wenn da ein gruseliges Monster gestanden wäre, dann hätte ich das auf jeden Fall bemerkt." Er zwinkerte mir schnell zu und ich dachte über seine Worte nach. Stimmt ja, er hätte es sehen müssen. Aber das hatte er nicht, also war diese Vision nur für mich bestimmt.

Plötzlich schnappte Abigail nach Luft. "Zoe!", rief sie. "Sie hatte auch so eine Vision, glaub ich. Als ich letztens mit ihr ausreiten war, da hat sie auf einmal wie verrückt auf einen Punkt vor uns gestarrt, obwohl da nur die Wiese war. Kurz darauf ist sie weinend vom Pferd abgestiegen. Ich hatte keine Ahnung was los war."

Wenn das stimmte, mussten wir so schnell wie möglich mit Zoe sprechen. Vielleicht würde sie uns alles erzählen.

Wie auf's Stichwort klinkelte Abigails Handy und sie nahm ab.

"Zoe!", sagte sie überrascht und auch leicht beunruhigt. Ihr gefiel es offensichtlich genauso wenig wie mir, dass Zoe genau zu diesem Zeitpunkt anrief.

"Das ist doch toll!", meinte sie.
"Ja natürlich, ähm Saphira, Nelly und Liam kommen auch, okay?"
"Ist gut, bis gleich!"

Abigail legte auf und sprang auf.

"Das Baby ist da! Wir dürfen kommen und es uns ansehen!"

Nelly stand auf und zog mich hoch. "Dann können wir gleich mit ihr reden", meinte sie lächelnd. Etwas leiser fügte sie hinzu: "Aber wir sollten nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Wir gehen es langsam an und sehen wie sie reagiert." Sie blickte uns alle der Reihe nach bittend an und wir nickten zustimmend.

Ich lief die Treppenstufen langsam hinunter und dachte über Zoe nach. Wenn sie auch eine Vision hatte, musste das schrecklich für sie gewesen sein. Diese Angst und diesen Schrecken werde ich nie vergessen. Abigail und Nelly dagegen hatten einen Traum von dem Wesen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass ein Traum weniger Angst einflößend war, als eine Vision, die du bei lebendigen Leibe spürst.

Das Geheimnis der grünen InselOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz