120.

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Harry Styles

„Und was würde passieren, würden Menschen plötzlich anfangen zu fliegen?", stellte mir Lisbeth bereits die zwölfte Frage, während wir gemeinsam in die Stadt liefen, um ihren Arzttermin wahrzunehmen.

Es regnete höllisch, ich hielt einen Regenschirm über unsere Köpfe, sie trug meine viel zu große Regenjacke und Gummistiefel.

„Dann wäre es kein Problem mehr, von einem Land zum anderen zu fliegen", antwortete ich. „Niemand müsste mehr Mengen an Geld ausgeben, um Fairen zu bezahlen."

„Ich würde weit weg fliegen." Lisbeth nieste in ihre Hand und wischte sich über die Nase, dann sah sie mich mit ihren müden Augen an. „Wo würdest du hinfliegen?"

„Irgendwohin, wo es nicht regnet."

„Das ist eine blöde Antwort."

„Wo würdest du hinfliegen?", fragte ich sie diesmal.

Sie schüttelte mit dem Kopf. „Das verrate ich dir nicht, weil du mir keine gute Antwort gegeben hast."

Ich rollte mit den Augen und sah schon das Gebäude, in dem die Arztpraxis war. Lisbeth war tatsächlich der Einzige Mensch, der sich nicht über meine Angewohnheit beschwerte, zu Fuß zu gehen. Selbst wenn sie krank war. Ich hatte ihr angeboten, das Auto zu nehmen, weil ich nicht wollte, dass sie sich mit dem Fieber noch eine Erkältung einfing, doch nach mehreren Versuchen, sie zu überreden, liefen wir.

Wir setzten uns zusammen in das Wartezimmer, wir waren klitschnass, was der Arzthelferin nicht gefiel. Trotzdem saßen wir tropfend hier, nur eine alte Dame bei uns, die ebenso wartete. Es war absolut ruhig hier, kein Ticken war zu hören, nicht einmal die Autos, die in der Stadt herumfuhren. Das Einzige, das man vernehmen konnte, war das Aufplatschen der Tropfen unserer Klamotten auf dem Boden.

Lisbeth nieste ein weiteres Mal in ihre Hand, was mich seufzen ließ. Sie war so nass, ich hätte sie nicht laufen lassen sollen. Seit Wochen war sie krank, ich half ihr hiermit nicht wirklich mit der Genesung.

„Wieso werden wir überhaupt krank?", fragte sie mich die dreizehnte Frage und zog die Nase hoch. „Ich habe das Gefühl, ich lebe seit Ewigkeiten damit, nicht richtig atmen zu können."

„Nun." Ich legte meinen Arm um ihre dünnen Schultern und zog sie an mich heran, um sie warmzuhalten, da sie begann zu zittern. „Dein Fieber ist nur die Abwehrreaktion deines Körpers, um dich vor jeder Menge unangenehmen Viren zu schützen. Deswegen fühlst du dich krank."

„Was eine blöde Erklärung."

„Du scheinst heute sehr unzufrieden zu sein."

„Nur mit dir."

„Mit mir?"

„Mit deinen Antworten und Erklärungen", sagte sie mit nasaler Stimme.

Ich musste lachen und drückte sie spielerisch enger zu mir. „Mehr als die Wahrheit kann ich dir leider nicht bieten."

Bockig schnaubte sie auf und wand ihr Gesicht von mir ab, was mich nur noch mehr amüsierte. Lisbeth erinnerte mich oftmals sehr an mich. Sie wollte alles wissen, und alles schien ihr niemals genug. Sie hinterfragte jede Antwort und nahm immer an, dass mehr hinter einer Wahrheit steckte als angenommen. Meine Schwester war ein unglaublich kluges Mädchen. Manchmal machte sie George Konkurrenz und selbst mir.

Ich wollte gerade einen schnippischen Spruch über ihr griesgrämiges Verhalten ablassen, als sich die Tür zum Wartezimmer öffnete.

Es war wie ein Reflex, den Atem anzuhalten, wenn ich Frauen sah, die sie hätten sein können. Blondes, langes Haar, Kleid und schmale Figur. Das war, was mich jedes Mal zum Verstummen brachte, egal, wo ich war. Auch hier in diesem Wartezimmer, während die junge Frau, die beinahe ihre Haarfarbe hatte, den Raum betrat.

Sie lächelte mich an, als sie sich hinsetzte.

Ich wünschte mir wirklich oft, es könnte sie sein. Aber die Tatsache war, sie war es nicht. Niemals. Und niemals erwiderte ich eines dieser netten Blicke, die mir von solchen Frauen zugeworfen wurden. Das ergab für mich keinen Sinn.

Lisbeth schien zu bemerken, dass ich erstarrte, deswegen nahm sie ihren Blick von der jungen Frau und sah mich an. „Sie sieht aus wie sie."

Was ein merkwürdiges Gefühl, wenn die kleine Schwester plötzlich begann, das auszusprechen, was man dachte.

„Oder?"

Ich nickte nur und sah zu Boden, weil ich nicht wollte, dass das Mädchen bemerkte, dass wir über sie sprachen.

„Aber ich stelle sie mir noch schöner vor", meinte Lisbeth. Zu laut, für meinen Geschmack.

Schließlich schaute ich sie an und hob meine Mundwinkel, auch wenn es sich falsch anfühlte zu lächeln. Mir war eher danach, diesen Raum zu verlassen. „Du hast ja keine Ahnung."

Ich konnte mir nicht erklären, was es war, was mich in letzter Zeit so oft an sie denken ließ. Ständig begegneten mir diese Frauen, die ihre Silhouette hatten, ihr Haar, ihr Lachen, sie war überall.

Vier Jahre hatte ich sie nicht gesehen und trotzdem war sie mir noch so bekannt. Es gab Wochen, in denen dachte ich keinen Moment an sie, aber in letzter Zeit, vor allem seitdem ich gelernt habe, mit all diesen Erinnerungen klar zu kommen, ist es schwieriger. Ich hatte akzeptiert, dass Liam und Niall tot waren. Dass so viele Männer, mit denen ich einst kämpfte tot waren, aber ich konnte niemals akzeptieren, dass ich sie nie wieder sehen würde.

Es war nicht so, als hätte ich nicht versucht, sie zu erreichen. Schon nach den ersten Tagen in Amerika, wollte ich ihre Adresse herausfinden. Zurück zu ihr nach Deutschland, um sie mit zu mir zu nehmen, aber ich schaffte es nicht. Ich hatte einfach nicht die Mittel, sie irgendwo finden zu können und vor allem nicht das nötige Geld.

Und mit den Jahren nicht mehr die Kraft.

Ich hatte mir ausgemalt, wie sie mit der Zeit einen neuen Mann fand und ihn vielleicht schon geheiratet hatte. Vielleicht hatte sie bereits Kinder. Ihr eigenes Haus, mit ihrer eigenen kleinen Familie, die sie umgarnen wollte.

Da war kein Platz für einen Mann wie mich. Jemanden, den sie vor Jahren mal liebte, während die Welt um sie herum einstürzte. Ich würde sie zu sehr an die schrecklichen Zeiten erinnern. Sie hatte es verdient, glücklich zu sein.

Aber hatte ich das nicht auch?

Und diese eine Frage stellte ich mir vor dreizehn Monaten schon einmal. In einer Nacht, in der Whiskey mein Wasser und Wut zur Verzweiflung wurde. Es war eine Nacht, in der das Ticken der Uhr im Wohnzimmer zu laut wurde. Ich hatte vier Nächte in Folge von ihr geträumt. Von ihren unmenschlichen blauen Augen.

Und der Fakt, dass ich sie nie wieder sah, killte mich in dieser einen gottverdammten Nacht.

In dieser einen Nacht, in der ich mich ein letztes Mal in diesem Gefühl, die Sehnsucht fresse mich auf, fallen ließ und zu Papier und Stift griff.

Ich saß am Küchentisch, alles um mich herum drehte sich und es war drei Uhr morgens. Vor meinem geistigen Auge starb jemand. Diesmal war es jedoch nicht Niall oder Liam, sondern ich. Einfach nur ich, wie ich immer wieder starb, weil ich dem Schmerz nicht mehr standhalten konnte.

Deswegen schrieb ich. Ein allerletztes Mal.

Anne,

... to be continued. Ha, ja, ich weiß, übelst kurzes Kapitel, aber ich wollte unbedingt heute was für euch hochladen. Hab aber leider nicht genug Wachness, um den Brief komplett fertig zu schreiben, der muss nämlich pörfäct werden.

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My Own LiberatorWhere stories live. Discover now