79.

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Harry

„Und bitte versprich mir, dass du bei ihr bleiben wirst", versicherte ich mich zum vierten Mal bei Liam, der mir zu Annes Zelt folgte.

„Himmel, Harry, natürlich werde ich bei ihr bleiben. Seit wann ist dir das so wichtig?"

Ich richtete meine Haare, auch wenn ich wusste, es hatte keinen Zweck. Zwar hatte ich sie gewaschen, aber trotzdem lagen sie kreuz und quer. Auch die neue Uniform, die ich mir anzog, zwickte im Schritt. Meine alte konnte ich unmöglich tragen, sie stank fürchterlich. „Ich möchte einfach nur auf Nummer sicher gehen."

Wir kamen bei Annes Zelt an und es wunderte mich, dass sie draußen stand. Sie unterhielt sich mit Louis, dann verschwand er.

Als sie gerade hineingehen wollte, erblickte sie uns. „Oh, hallo", flüsterte sie.

„Hallo", grüßte ich sie, auch wenn das die absolut falsche Begrüßung war. Ich wollte sie sofort küssen.

„Ich verschwinde dann mal im Zelt", verabschiedete sich Liam, als er die unangenehme Spannung spürte und betrat Annes Zelt. „Seid vorsichtig und vergesst nicht, vor Mittag zurückzukommen."

Verdutzt blickte Anne ihm hinterher. „Wovon spricht er?"

„Von unserem zweiten Date", antwortete ich schmunzelnd. „Vorausgesetzt du ..."

„Lass uns sofort gehen."

Sie drängte mich aus dem Lager und ich war verwundert über ihre Eile. Es gab kein Aber, keinen frechen Spruch.

„Du trägst eine neue Uniform", sagte Anne, während wir auf dem Weg in die Stadt waren.

„Ja." Ich ziehe an dem Kragen des Hemdes, das ich darunter trage. „Sie ist ziemlich eng. Scheißunbequem."

„Aber ich mag sie an dir. Die Alte hat angefangen zu riechen."

Ich musste lachen. „Oh, was du nicht sagst."

Anne griff nach meiner Hand, als wir Halle betraten. Es war dunkel, nur noch ein paar Laternen leuchteten an den Straßenrändern. Keine Menschenseele war unterwegs. Außerdem war deutlich, dass es hier bereits Bomben geregnet haben muss. Die Steinwände der vielen Häuser und Läden sind eingerissen, manche Dächer vollkommen zerstört und eingekracht.

Die Scheibe eines Ladens war eingeschmissen und mit roter Farbe stand SCHEIß JUDEN – HEIL HITLER daran. Eine der wenigen Wörter, die ich auf Deutsch verstand. Ich hatte sie bereits etliche Male gehört.

„Was tun wir heute?", fragte die schöne blonde Frau neben mir. Sie sah sich mit geknickter Miene um. Noch vor ein paar Monaten hätte sie Fragen zu all dieser Zerstörung gestellt. Heute kannte sie es.

„Worauf hast du denn Lust?"

„Hast du nichts geplant?"

„Nun ja", antwortete ich und legte meinen Arm um ihre Schulter. Ihr war kalt, und außerdem hatte ich das Gefühl, ich müsse sie vor dieser Umgebung schützen. Von überall könnte jemand auf uns zukommen, der uns nicht mochte. „Meine schlechten Deutschkenntnisse haben mir gesagt, dass hier heute irgendwo gute Musik gespielt werden soll."

„Ich könnte gute Musik gebrauchen. Wo soll es stattfinden?"

„Tja, so gut waren meine Deutschkenntnisse dann nicht mehr."

Sie blickte zu mir hinauf und grinste. „Ich muss dir unbedingt Deutsch beibringen. Das wäre wahnsinnig lustig."

„Mal sehen." Ich schaute mich um, aber erkannte noch immer nichts, was nach einer Feier aussah. Keine Lichter, kein gar nichts. Eventuell hatte ich das Plakat doch falsch interpretiert. „Wir sollten lieber ..."

My Own LiberatorOù les histoires vivent. Découvrez maintenant