30.

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Ein Kapitel um sechs Uhr morgens ... Ha. Ich bin krank

Harry

„... Du musst selbst entscheiden, wer du bist und für wen du es bist", hörte ich Liam sagen, bevor seine Schritte erklangen.

Ich rollte eine Pistolenkugel zwischen meinem Daumen und Zeigefinger und starrte vehement darauf. Auf der Veranda des Hauses zu sitzen, hinter dem sie festgebunden war, Annemarie und Liam zu belauschen, war eventuell etwas, wofür man mich anprangern könnte, doch das war mir egal. Ich lehnte an der Hauswand, hörte, irgendwo zirpte eine Grille.

Nachdem wir in unserer Runde gemeinsam tranken und irgendwann Walt aufstand, um zu gehen, wusste ich sofort, was er vorhatte. Doch anstatt ihm zu folgen und ihn davon abzuhalten, etwas mit Annemarie anzustellen, das sie nicht wollte, unternahm ich nichts. Pattons Augen hatten sich quasi in mich gebrannt, während Walt ging. Es war nicht so, als hätte es mich nicht interessiert, was Walt mit ihr tat, aber ich konnte es nicht riskieren, Pattons noch mehr davon zu überzeugen, ich würde mehr für sie übrig haben, als für jedes andere Mädchen auf der Welt.

Ich hatte schon mein drittes Bier getrunken, als Pattons Liam losschickte, um Walt zurückzuholen. Es lag etwas Seltsames in der Luft, als der Sergeant und ich Blickkontakt hielten, derweil Liam fort war. Er wusste genau, dass jemand die Chance nutzen würde, wenn Annemarie schon festgebunden und hilflos war. Er provozierte es bis zum Limit und es kam mir vor, als wollte er mich damit testen.

Ich würde ihm niemals das Gefühl geben, mehr in Annemarie zu sehen, als das Mädchen, das wir gefangen hielten. Ich würde ihm aber auch niemals das Gefühl geben, dass ich einer von den Männern war, die mit ihr umgangen wie Walt es tat. So war ich nie, ob ich meinen Mund aufmachte oder nicht.

Aber ich ließ nicht länger mit mir spielen. Nachdem Liam ging, folgte ich ihm. Ich verabschiedete mich mit der Ausrede, ich würde schlafen wollen, woran es nur noch an Pattons lag, mir zu glauben. Walt schien mehr als wütend zu sein, als ich ihm entgegenlief und rempelte mich mit einem „Geh mir aus dem Weg" an. Auf einen Disput mit ihm ließ ich mich nicht ein, deswegen ging ich weiter in Richtung des Hauses, hinter dem Annemarie festgebunden war.

Und nun saß ich hier, nachdem ich dreiviertel von Liams und ihrem Gespräch belauschte. Es war nicht meine Art, aber das war, wozu sie mich brachte. Ich musste wissen, worüber sie sprachen und wie es ihr ging. Was wäre es für eine schlaflose Nacht gewesen, wenn ich mir vorstellen müsste, sie hätte nichts zu essen und nichts zu trinken und Walt ...

Ich drückte die Kugel fest in meine Faust und schloss vor Zorn die Augen.

Es waren nicht einmal all diese Dinge, die mich wütend machten, es war die Tatsache, dass ich mich zu sehr auf Annemarie einließ. Ihre blauen Augen würden mich noch um den Verstand bringen, das schwor ich. Ich würde sie und mich in Gefahr bringen, wenn ich dieses Gefühl, das zwischen uns herrschte, zulassen würde.

Annemarie war zu schön, um sie mit all den anderen Frauen zu vergleichen, die ich in den letzten Jahren traf. Immer wusste ich, dass all diese Mädchen nicht in meinem Gedächtnis bleiben würden, denn sie waren irgendwer, einfach nur irgendjemand. Aber Annemarie ... Ich wollte niemals beginnen, eines dieser jungen Mädchen zu beobachten, wenn sie schlief. Aber bei ihr tat ich es. Verdammt.

Liams Schritte kamen immer näher und ich lehnte meinen Kopf an die Hauswand, damit die Chance geringer war, mich zu entdecken.

Doch es hatte keinen Zweck. Einen Schritt lief er an mir vorbei, dann blickte er nach links, sah mich und blieb stehen. Stumm schaute er über seine Schulter zu Annemarie und wand sich dann leise an mich. „Du solltest nicht hier sitzen, wenn du dich schuldig fühlst", sagte er, als hätte er bereits gewusst, dass ich sie belauschte. „Du bist ein Feigling, wenn du nicht zu ihr gehst und sie wenigstens um Entschuldigung bittest." Er entfernte sich von mir und fügte noch hinzu: „Aber das weißt du wahrscheinlich schon."

My Own LiberatorOnde as histórias ganham vida. Descobre agora