56.

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Annemarie

Ich blickte noch einmal über meine Schulter, um zu sehen, ob Pete weiterhin beschäftigt war. Er war aus meinem Blickfeld verschwunden, ich hörte ihn nur fluchen und durch die Gegend laufen.

Also griff ich vorsichtig nach der Tür und öffnete sie. Ich lugte sachte hinein und durch den engen Schlitz, konnte ich ein nur halb beleuchtetes Mädchen erkennen, das eingekauert das Gesicht zwischen ihre Knie presste.

Sie erinnerte mich sofort an Annel. So musste sie im Schrank gesessen haben, als Sergeant Pattons uns holte.

„Kleines", flüsterte ich so ruhig ich konnte und öffnete die Tür noch ein Stück.

Sie zuckte direkt zusammen und quetsche sich noch mehr in den Schrank. Sie musste nicht älter als fünf sein. Ihre Haare waren braun und zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden. An ihren Händen erkannte ich Narben.

Ich kniete mich hin und wollte nach ihrer Hand greifen. „Sh, ich bin nur ..."

Augenblicklich zog sie ihre Hand zurück und presste eingeschüchterter ihre Beine an die Brust. Sie hatte schreckliche Angst, was mich unmerklich seufzen ließ. Ich bemitleidete sie, denn ich konnte mich genau in ihre Situation hineinversetzen. Auch ich war mal hier, genauso wie sie. Nur stand Harry, ein fremder Soldat, vor mir und nicht ich.

„Ich möchte dir nichts tun", sprach ich deswegen auf sie ein, um sie zu beruhigen. „Ich möchte dir helfen."

Das kleine Mädchen konnte unmöglich in diesem Haus bleiben, wenn der ganze Trupp es einnehmen würde. Man würde sie finden und ich wollte mir nicht ausmalen, was man mit ihr anstellen würde. Ich wollte sie hier rausbekommen. Wie, das wusste ich allerdings noch nicht.

Ihr junges, süßes Gesicht war vollkommen verweint, als sie langsam ihren Kopf anhob. Sie hatte dunkle Augen und sie roch nach Urin. Auch hangen ihr viele Haarsträhnen im Gesicht. Sie musste sich seit Ewigkeiten nicht gewaschen haben. Ich konnte in ihrem Ausdruck lesen wie sehr sie Angst hatte. Ich bin mir sicher, Harry hat diesen Ausdruck damals bei mir auch gesehen. Es tut nicht gut, so etwas zu anschauen zu müssen.

Aber das war mir egal, deswegen strich ich ihr sachte eine Strähne aus der Stirn. „Dir wird nichts passieren", versicherte ich ihr. „Ich bin da."

„Dann hast du mich wohl vergessen!", ertönte plötzlich eine Stimme hinter mir und ich wurde am Haarzopf zurück gerissen und landete unsanft mit meiner verletzten Seite auf dem Boden.

Ich schrie vor Schmerz auf und dachte, ich würde sterben. Mir wurde kurz schwarz vor Augen, aber ich blinzelte mehrmals und fing mich. Ich hatte bereits lernen müssen, mit Schmerzen umzugehen.

Ich wollte mich aufrappeln, als ich durch einen Tunnelblick beobachtete, wie Pete die Schranktür komplett aufzog und das Mädchen an den Haaren heraus auf die Beine zog.

Das Kind schrie, weinte und wollte sich losreißen, aber es war zwecklos. Pete kannte kein Erbarmen.

„Keine Sorge", sagte Pete und betrachtete die Kleine abschätzend. „Du endest genau da, wo deine Schwester sein wird. Die Jungs werden sich freuen." Dann geht er mit dem Kind an mir vorbei, ohne mich zu beachten. „Steh auf und komm mit. Pattons wird ausrasten, wenn ich ihm erzähle, was gerade passiert ist. Beeilung, verdammt!"

Ich musste Schlucken, denn das Pochen und Ziehen in meiner Seite war grauenvoll. Ich hätte damit rechnen sollen, dass Pete einschreitet. Scheinbar hatte er ein weiteres Mädchen gefunden, das er gerade aus diesem Haus zerrte. Ich konnte ihnen nicht helfen, auch wenn ich es gerne würde.

Unter Schmerzen stand ich auf und lief die kalten Treppen hinunter, musste mich aber am Geländer festhalten, während ich meine Hand auf meine Seite presste. Es fühlte sich an, als wäre die Naht aufgerissen. Ich musste dringend zu Liam.

My Own LiberatorWhere stories live. Discover now