70.

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Harry

Anne und ich alberten rum wie kleine Kinder, als Liam ihre Verletzung erneut zunähte. Wir konnten nicht mehr voneinander ablassen. Liam war der Einzige – Annel eingeschlossen – der wusste, was zwischen Anne und mir war. Und es fühlte sich gut an, endlich diese Zuneigung ausleben zu können.

Denn es könnte uns jeden Moment wieder genommen werden. Jeder hier war ein Problem für uns. Ich kostete Momente wie diese, aus, als wären sie meine letzten mit ihr.

Ich brachte Anne zu ihrem Zelt, in dem sie mit Annel schlief und wir küssten uns noch weitere fünf Minuten lang. Zwar hatte ich mir dies nicht unter einem ersten Date vorgestellt, denn das hier war definitiv nicht so, wie die amerikanischen Sitten es vorgesehen hatten, aber wen interessierte das schon. Ich wollte sie so oft küssen wie ich konnte, niemand hätte mir das in dieser Nacht verweigern können.


Am nächsten Morgen wurden die wach, die den gestrigen Tag und die komplette Nacht schliefen.

Also Pattons, Walt und Pete.

Ich wachte auf, als ich Pattons lauthals mit jemanden streiten hörte. Sein Gegenüber war wohl nicht zum Schreien aufgelegt.

„Ich richte mich nach niemandem!", schrie er Sergeant Harris, - den Offizier des neuen Platoons, an.

Joseph stand mit der Hand auf dem Nasenrücken neben Pattons und schüttelte gestresst den Kopf. Jeder wusste, wie aggressiv Pattons auf Kritik reagierte.

„Wir haben einen Plan!", machte Pattons weiter. „Und der beinhaltet nicht, den ganzen Tag zu verschlafen! Schaffen Sie Ihre jämmerlichen Soldaten aus ihren Zelten und machen Sie sie bereit zum Aufbruch! Zeit können Sie verschwenden, wenn Sie tot sind!"

Sergeant Harris hob beruhigend die Hände. „Sergeant, bitte bleiben Sie doch ruhig. Wir versuchen nur einen Rhythmus in unseren Trupp zu bringen und es ist neu, dass ..."

„Ihr Rhythmus kann mir den Schwanz lutschen!", wütete Pattons. Sein Kopf war bereits rot und man merkte ihm noch an, wie stark ihm die letzten Tage in den Knochen hingen. Auch ein Sergeant Pattons hatte eine Schmerzgrenze. „Ihre Soldaten werden lernen, was es bedeutet, in diesem gottverdammten Krieg zu überleben! Und nun – wecken Sie sie auf!"

Pattons stampfte zornig davon, Joseph seufzte tief, als ich auf ihn zukam.

Ich stellte mich zu Joseph und dieser sagte mir bereits mit seinem Blick, dass Pattons nicht mehr zu helfen war. Auch wenn ich Pattons Ärger nachvollziehen konnte. Dieses Platoons war planlos und unkoordiniert.

„Nun haben Sie die gute Seite von Sergeant Pattons kennengelernt", versuchte Joseph die Situation zu lockern, weil Sergeant Harris vollkommen überfordert schien. „Machen Sie sich nichts daraus."

„Die gute Seite?", fragte Harris. „Was für ein Tölpel muss er sein, wenn das seine gute Seite ist?"

Ich musste lachen. „Fragen Sie nicht."

„Aber trotzdem sollten wir aufbrechen", sagte Joseph und sah in den Himmel. „Das Wetter sieht gut aus, deswegen wäre Zeit das letzte, das wir verschwenden sollten."

Ich nickte und erklärte Harris: „Gewöhnen Sie ihre Soldaten an das frühe Aufstehen und das Schlafen gehen, wenn es dunkel wird. Zwar hat es Pattons nicht sonderlich nett ausgedrückt, aber er hatte Recht. Der Plan ist möglichst früh in Halle anzukommen."

„Und möglichst lebendig", fügte Joseph hinzu.

Harris ließ einverstanden die Schultern hängen und machte sich dann auf den Weg, seine Soldaten zu wecken. Sowieso war er in meinen Augen ungeeignet für seinen Posten. Harris hatte genauso wenig Durchsetzungsvermögen wie Louis. Schon gestern war er nicht planfähig und in Konflikten wich er aus. Er hatte Angst. Zu viel Angst.

My Own LiberatorWhere stories live. Discover now