94.

7.2K 878 210
                                    

        Oben ein tolles Bild eines followers auf Instagram! 💘

Harry

Für mich blieb die Welt noch nie so lange stehen, wie in dem Moment, indem jedem hier bewusst wurde, dass Liam seinen letzten Atemzug gemacht hatte. Dass wir ab sofort nie wieder seine aufrichtigen Augen sehen und seine tröstende Stimme hören würden. Das hatte nun ein Ende.

Ich blickte von Liams bleichem Gesicht zu Annel hinauf. Sie konnte ihn nicht ansehen, stattdessen vergrub sie ihr Gesicht in Keiths Jacke. Es tat mir nicht nur Leid für uns, dass wir unseren besten und treusten Freund verloren, sondern auch für sie. Liam hatte sie gerettet und erlag dieser Heldentat nun.

Es war komplett ruhig um uns herum, man hörte nur Annels ersticktes Schluchzen. Es war die stillste und längste Minute meines Lebens.

Bis ich allerdings Schritte auf uns zukommen hörte. Es war Niall, der mich fluchend zur Seite schubste, als ich aufstand. Sein Gesicht war verheult, seine Augen knallrot.

„Hört auf zu flennen!", schrie er uns zu und griff sich Liams Arm. „Er ist nicht tot!"

Ich kam fast vom Glauben ab, als ich sah, wie Niall versuchte Liams Körper am Arm durch die Wiese zu ziehen.

„Wir müssen ihn nur ins Lager bringen! Hört verdammt nochmal auf zu heulen!" Niall riss ohne Gnade weiter an Liams Körper, den er nur schleppend fortbewegen konnte. Ihm flossen wiederholt die Tränen über das Gesicht. Dann rutschte ihm Liams Hand aus seinen eigenen und er flog zu Boden. „Steht nicht so dumm da!", schrie er uns zu und wiederholte sein Vorhaben. „Er lebt noch!"

Ich musste eingreifen. Ich wollte nicht, dass er Liams Körper so respektlos durch den Matsch zog und ich wollte nicht, dass er noch mehr den Verstand verlor. Deswegen riss ich ihn von Liam weg und wollte ihn festhalten. „Niall, lass das! Es hat keinen Sinn mehr!"

„Lass mich los!", wehrte Niall sich und es gelang ihm direkt, mir aus den Händen zu rutschen. Er sprang nach vorne, griff Liam diesmal am Nacken und stemmte seine Arme unter die Achseln des Körpers. „Er ist nur betäubt, wieso seid ihr nur so gottverdammt dumm?"

„Niall, aufhören!", mischte sich nun auch Keith ein und er half mir, den weinenden Soldaten von der Leiche wegzureißen.

Er wehrte sich heftig, schlug um sich, trat, fluchte, beschimpfte und kratzte, aber schließlich hatte er keine Chance gegen zwei Männer.

Bis Niall sich einfach auf die Knie fallen ließ. Er saß direkt neben Liam, aber sah ihn nicht an. Er schloss die Augen, vergriff seine Hände in seine Haare und schrie.

Niall schrie so laut, dass es durch das komplette Feld zu hören war. Es wunderte mich nicht, dass uns im Nachhinein Soldaten unseres Lagers auf die Schreie ansprachen.

Wir standen alle nur hier. Hörten Niall beim Schreien zu. Wie er immer wieder Luft holte und erneut Schreie aus seiner Kehle ließ, die ich nie zuvor als so derart schmerzhaft empfand. Er riss an seinen Haaren, ihm tropften die Tränen von der Nasenspitze, während er alles herausließ.

Als er aus vollem Halse brüllte, schloss ich für einen Augenblick die Augen.

Ich versuchte, mir auszumalen, wie anders mein Leben sei, hätte dieser Krieg niemals begonnen.

Ich stellte mir vor, wie Niall und ich selbst heute noch betrunken in Kneipen sitzen würden, um uns über unsere Ehefrauen auszulassen. Vielleicht hätte Liam schon zwei Kinder, von denen er uns Tag und Nacht erzählt hätte. Vielleicht hätte sogar Niall ein Kind. Einen Sohn, der genauso ungehorsam wäre wie er es damals war.

My Own LiberatorWhere stories live. Discover now