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        Habe ich euch übrigens schon gesagt, dass ich seit Neustem Instagram habe? Ich heiße articulair und ja ... Äh, vielleicht hab ihr ja Lust euch eine öden Bilder anzugucken :D

Harry

Ich beobachtete Annel schon seit geraumer Zeit. Sie lief einen Meter neben mir, ihr Kopf war gesenkt, ihr blondes Haar in einen Zopf gebunden. Es fiel mir schwer, meine Augen von ihr zu nehmen, seitdem ich wusste, was Walt mit ihr angestellt hatte.

Denn plötzlich war ihr Laufen kein normales Laufen mehr, sondern ein erschöpftes Schlurfen. Ihre Augen erschienen mir leerer als noch vor einem Tag. Erst jetzt bemerkte ich die blauen Flecken an ihren Oberarmen, die deutlich als Fingerabdrücke identifizierbar waren. Auch ihre Art ständig zu schweigen und kaum etwas zu essen und zu trinken, erschien mir mit einem Mal völlig klar.

Annel musste seit langer Zeit Leid erfahren, wovon niemand eine Ahnung hatte. Und sie war auf dem besten Weg sich diesem Leid anzupassen.

Als ich bemerkte, dass sie ein wenig vor Kälte zitterte, zog ich meine Jacke aus und legte sie ihr um die dünnen Schultern. „Schon bald machen wir eine Pause", sprach ich ihr zu. Ich veränderte die Art, mit ihr zu sprechen. „Dann machen wir dir Tee und du kannst dich ausruhen."

Sie nickte fast unmerklich und zog sich die Jacke enger um den Körper.

Selbstverständlich hatte ich Gewissensbisse, die mich ständig verfolgten. Ich fragte mich, ob Walt jemals die Chance bekommen hätte, dieses kleine Mädchen zu missbrauchen, wenn ich Anne nie nachts aus ihrem Zelt geholt hätte. Oder wenn ich Annel allgemein nicht so oft allein gelassen hätte.

Ich fühlte mich schuldig, daran führte kein Weg vorbei.

Annel erzählte mir schon vor mehreren Wochen, dass Pete und Walt sie an den falschen Stellen anfassten und trotzdem hab ich nicht ausreichend auf sie Acht gegeben. Ich hätte wissen müssen, dass sie einen weiteren Schritt zu weit gehen.

Ich stellte mir vor, wie Anne reagieren würde, wenn sie herausbekomme, was mit Annel geschah, während sie und ich schöne Stunden in der Hütte oder auf dem Stadtfest damals hatten.

Ich würde es Anne nicht erzählen. Zumindest nicht jetzt und auch nicht in nächster Zeit. Wenn Annel wollte, dass ihre große Schwester es weiß, dann hätte sie es längst von alleine offenbart.

Und dann musste ich an Lisbeth denken. Mir vorstellen, wie ich reagieren würde, wenn sie an Annels Stelle wäre.

Bei dem Gedanken, kochte das Blut in mir. Ich würde Walt umbringen. Ja, das würde ich.

„Wieso guckst du denn so böse?", holte mich eine Stimme von rechts aus meinen widerwärtigen Fantasien.

Keith lief neben mir her und hatte wie immer dieses ätzende Grinsen auf den Lippen. Ich konnte nicht genau definieren, was genau mich mehr an ihm störte. Entweder die Tatsache, dass er Anne anschmachtete wie ein räudiger Hund oder diese freudestrahlende Miene, die er stets im Gesicht hatte. Als würden wir gerade nicht durch das kühle Deutschland laufen sondern auf den Weg in die Karibik sein.

„Ich erkläre es dir, wenn du mir erklärst, warum du so gut gelaunt bist", erwiderte ich genervt.

Wie erwartet, hatte Keith keine Antwort parat. Ihm würde das Grinsen noch vergehen, darauf verwettete ich meinen Arsch.

Aber Keith sprach weiter. „Ich dachte mir, du könntest mir ein wenig über dich erzählen."

Ich dachte, ich verhörte mich.

„Ich finde, diese ganze Reise fällt einem leichter, wenn man sich besser kennt. Wo kommst du denn her?"

Unbeeindruckt von seiner grandiosen Idee, schaute ich ihn an. Er war solch ein debiler Schwachkopf, kaum in Worte zu fassen. „Du denkst, es ist leichter, wenn man sich kennt?"

My Own LiberatorWhere stories live. Discover now