84.

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Jetzt geht's weiter! Schule kam dazwischen, sorry, aber wie gesagt: weiter gehts! :D

Harry

Ich kannte Niall seitdem ich sechzehn war. Er war ein zugezogener Neuankömmling in unserer Gesamtschulklasse und es schien Freundschaft auf den ersten Blick gewesen zu sein, als er gezwungen war, sich an meinen Tisch zu setzen.

Er fragte mich, wie ich hieße und als ich antwortete, fragte er, ob es in der Schule immer so nach Fäkalien riechen würde, daraufhin meinte ich, der Geruch käme von unserem Lehrer, weswegen er lachte und wir ab diesem Tag jeden Tag zusammen verbrachten.

Niall war ein sehr aufgeschlossener, humorvoller und vor allem gehässiger Typ. Er lachte viel, konnte viel essen und er schien immer Spaß zu haben, selbst wenn er der Einzige war. Für mich war Niall wie jemand, der ich niemals sein könnte. Es schien mir immer, als interessierten ihn die anderen Menschen nicht. Niall wollte immer seinen Spaß, auch wenn andere dafür einstecken mussten. Das, was er dachte, machte er. Für ihn gab es keine Geschwindigkeitsbegrenzungen und erst recht keine Stoppschilder.

Er war derjenige, der mich dazu brachte, viel Alkohol zu trinken, auch wenn ich mich bereits viermal übergab. Mit Niall rauchte ich meine erste Zigarette und er hatte mich mit dem Mädchen zusammengebracht, welches ich mich nie getraute, anzusprechen.

Doch auch wenn Niall gerne Mädchen Anzügliche Dinge hinterherrief, alte Leute nervig fand, seine Eltern nicht ausstehen konnte und in der Schule stets schlechte Noten schrieb, brachte er Mädchen zum Erröten, stand im Stadtbus auf, wenn eine alte Dame stehen musste, tröstete seine Mutter, wenn sein Vater sie schlug und Lehrer mochten ihn.

Niall war die pure Lebensfreude, niemand konnte ihm etwas verbieten, nicht einmal das Gesetz, als er vorschlug, auf das Haus von Familie Miller zu klettern, weil man von dort den Sternen näher sein konnte.

Deswegen war Niall kein Mensch, der hätte in den Krieg ziehen dürfen. Niall hätte in Amerika bleiben, hunderte Frauen beglücken sollen, bis er die einzig Wahre finden konnte. Er hätte Schreiner werden und seine Kinder lieben sollen. Er wäre ein toller Vater gewesen, auch wenn er nie Kinder haben wollte. Immerzu meinte er, seine Gene wären nicht die richtigen, um sie weiterzugeben. Aber auch wenn ich ihm lachend zustimmte, widersprach ich ihm gedanklich.

Niall war der einzige Mensch, der nicht wusste, wie gut er den Leuten um sich herum eigentlich tat.

Damals unterstützte ich ihm bei dem Vorschlag, in den Krieg zu ziehen. Gemeinsam packen wir das an, sagte ich ihm. Wir werden den Nazi-Wichsern zeigen, was Vergeltung ist.

Aber schon als Niall seine ersten Menschen erschoss, veränderte er sich. Anfangs weinte er viel, zwar heimlich, aber er tat es. Er sprach jeden Abend mit mir über das, was er dachte, wen er vermisste und dass er es bereute, seine Mutter mit seinem Vater alleine gelassen zu haben. Mit den Monaten kam mir Niall wie ein komplett anderer Mensch vor. Plötzlich war er der, der Anweisungen brauchte. Er war der, der keine Fehler machen wollte und plötzlich war da keine Freude mehr in seinem Gesicht.

Doch auch nach vielen Jahren im Krieg, verschwanden Nialls Tränen und er sprach nicht mehr über das, was er vermisste und bereute. Niall schoss auf Menschen wie auf Tiere und das Wort Reue nahm er schon Ewigkeiten nicht mehr in den Mund. Zwar war Niall niemand mehr, dem vieles nahe ging, aber ich war mir nie sicher, welche Seite von ihm mir lieber war.

Eigentlich mochte ich Niall, bevor wir in den Krieg gezogen sind.

Ich wusste, Niall hasste mich dafür, dass ich Sergeant Pepper sterben lassen habe, aber das brachte mich nicht dazu, das Gleiche über ihn zu denken. Ich hasste Niall nicht. Er war noch immer mein bester Freund.

My Own LiberatorWhere stories live. Discover now