48.

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Harry

Ich beobachtete genau Annels Reaktion auf diese Frage, doch sie reagierte gar nicht. Sie sah einfach nur ausdruckslos auf ihre Beine.

Ich schaute mich unauffällig um, damit ich sicher sein konnte, dass uns niemand zuhörte. Die anderen Männer tranken, aßen oder ruhten sich aus. Die Panzer wurden aufgetankt. Also beugte ich mich tiefer zu dem kleinen Mädchen. „Verstehst du, was ich sage?", fragte ich so leise wie möglich. „Sprichst du englisch?"

Für ein paar Momente, war sie noch wie eingefroren. Doch dann drehte sie ihren Kopf etwas zu mir.

„Kannst du mich verstehen?", wiederholte ich meine Frage.

Und schließlich nickte sie ganz leicht, es wahr kaum zu sehen.

„Also hast du meine Frage verstanden."

Wieder ein vages Nicken, woraufhin ihr Blick erneut zu ihren Beinen glitt. Sie wirkte verdammt erschöpft. Für solch ein junges Mädchen, sah sie zu abgekämpft aus. Man bemerkte auch, dass sie viel Gewicht verloren hatte. Ihre Wangen, die vorher noch etwas speckig waren, zeigten mittlerweile stärker ihre Wangenknochen.

„Ich möchte ganz normal mit dir sprechen", versuchte ich, auf sie einzusprechen. „Ich möchte dir nicht wehtun oder dich festbinden. Du kannst mir vertrauen."

Nachdem ich dies aussprach, nahm sie zum ersten Mal Augenkontakt auf und ich kassierte direkt einen ungläubigen Blick.

„Was?", musste ich deswegen fragen. „Du glaubst mir nicht?"

Sie schluckte und öffnete leicht ihre Lippen. „Sergeant", sagte sie ganz leise und mit deutlich deutschem Akzent. „Ist dein Freund."

Ich verstand sofort, was sie mir sagen wollte. Woraufhin ich mir seufzend durch die Haare fuhr. „Ich weiß, du denkst, ich bin wie er. Aber ich ... Scheiße, wie soll ich dich vom Gegenteil überzeugen?" Diese Situation frustrierte mich. Ich wollte, dass Annel mir vertraute, das wollte ich wirklich. Immerhin war sie Annemariess kleine Schwester. „Ich kann dir nicht sagen, weswegen ich anders sein soll", meinte ich irgendwann. „Du musst es mir einfach glauben. Du musst mir glauben, dass deine Schwester mir sehr wichtig ist und ..." Ich ließ frustriert den Kopf hängen. „Ich habe doch selbst keine Ahnung, wer ich bin." Den letzten Satz murmelte ich zu mir selbst.

Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt alles verstand, was ich von mir gab. Es war zum Verrücktwerden. Wie sollte ich ernsthaft mit ihr sprechen, wenn sie nicht meine Sprache kannte? Zumindest nicht halbwegs so gut wie Anne es tat.

Deswegen schwieg ich und Annel schwieg auch. Sie hatte zwar ihren Kopf gehoben, aber mehr nicht. Ich konnte nicht mit ihr sprechen, wie mit jedem anderen. Sie war ein Kind.

Irgendwann sah ich, wie sie ständig an der Wunde an ihrer Schläfe kratzte, die Liam erst frisch genäht hatte. Deshalb griff ich nach ihrem Arm, als sie zum fünften Mal kratzen wollte. „Du solltest das lieber lassen. Ich spreche aus Erfahrung." Ich griff in die Tasche meiner Jacke und holte ein Taschentuch hervor, weil die Wunde begann zu bluten. „Hier. Vorsichtig tupfen, nicht streichen."

Ohne Worte nahm sie mir das Taschentuch ab, aber betrachtete mich dabei, als würde sie schwer nachdenken. Noch immer schweigend tupfte sie vorsichtig das Blut von ihrer Schläfe und ich hatte meine Augen wieder auf das Platoon geworfen und meine Ellen auf meine Knie gestützt.

„Pete", sagte sie allerdings leise zu meiner Überraschung und ich wurde sofort hellhörig. Sie schluckte schwer, ihre Stimme war schwach. „Deine ... Frage."

Und dann drehte ich mich auf dem Hocker zu ihr, damit ich ihr genau zuhören konnte. Sie blickte mich kurz an und begann nervös das Taschentuch in ihrer Hand zu zerknüllen.

My Own LiberatorWhere stories live. Discover now