Kapitel 42

54 7 0
                                    

Er unterbrach sich um mir einen bedeutungsvollen Blick zuzuwerfen, doch ich erwiderte ihn nur stirnrunzelnd.

Verstehend rieb er sich über die Stirn und erklärte knapp: „Es gibt sieben Herrscherhäuser, wenn du es so nennen möchtest. Jedes Jahrtausend herrscht eines der Adelsgeschlechter. Zurzeit ist es die Familie Oswone, wie du unschwer erkennen dürftest. Die letzte Herrscherfamilie waren die Yenyre. Die nächsten werden also die Scremonts, da immer in der gleichen Reihenfolge und Regentschaftsperiode getauscht wird."

Ich nickte ihm auffordernd zu weiterzuerzählen, da ich bisher gut mitgekommen war.

„Jedenfalls bin ich seit 798 Venusumdrehungen ein Verstoßener und..."

„Wow, Stopp!", unterbrach ich ihn unsanft. „Warum bist du verstoßen worden?"

Gedankenverloren starrte er hinaus in den nicht enden wollenden Regen und ein leises Lächeln schlich sich auf seine Lippen, während sein gesamtes Gesicht weicher werden zu schien.

„Weil ich mich in einen Menschen verliebt habe."

Mir fiel die Kinnlade herunter und ich starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Niemals hätte ich ihm zugetraut mir so offen die ungeschminkte Wahrheit preis zu geben. Und dann auch noch so ein Grund. Langsam zweifelte ich wirklich an meiner Menschenkenntnis. Obwohl ich die auf Smorix Oswone wahrscheinlich sowieso vergessen konnte.

„Was ist dann passiert?", fragte ich nun möglichst behutsam.

Yabyrs Miene verdunkelte sich wie der Himmel draußen und mit düsterer Miene knurrte er, selbst nach all der Zeit noch aufgebracht: „Sie sollte hingerichtet werden. Aber ich konnte die Schuld auf mich nehmen und sie ungesehen zurück auf die Erde schleusen."

Nun betrachtete ich den Fireflyer vor mir noch einmal mit anderen Augen und ich musste zugeben, dass mir dieser Mann viel besser gefiel, als der Verschlossene, der er zuvor vorgegeben hatte zu sein.

Da er von sich aus nicht weitererzählte und das Thema in einer Wunde zu bohren schien, die ich nebenbei nur zu gut verstehen konnte, brachte ich ihn auf andere Gedanken, die mich nun schon eine Weile bedrückten.

„Wieso hat Moon dir sofort vertraut?"

Aus seinen Überlegungen gerissen lehnte er sich leicht an die Wand an und erwiderte: „Das hat er nicht. Als du im See beinahe ertrunken wärst, konnte ich ihn nur mit Mühe und Not davon überzeugen, mich dir zu nähern. Auch danach hat er mich kaum an sich rangelassen. Aber da du zwei Tage bewusstlos warst und wir neue Verpflegung brauchten, ließ er sich überzeugen, mich zu fliegen. Sonst hätte es Wochen gedauert, bis ich wieder zurück gekommen wäre."

Mit zerfurchter Miene fiel mir auf einmal siedendheiß Elias' besorgtes Gesicht ein. „Ich muss zurück!", brach es aufgeregt aus mir hervor, „sie müssen sich inzwischen schon totale Sorgen machen, ob ich überhaupt noch lebe."

Yabyr schüttelte bedrückt den Kopf und stützte eine Hand auf den Boden. „Sie hätten schon längst Suchtrupps nach dir geschickt, aber ein riesiges Stück des gläsernen Bodens ist eingebrochen. Somit haben sie alle Hände voll damit zu tun, die Bevölkerung zu beruhigen, alles neu aufzubauen und Notunterkünfte einzurichten."

Entsetzt über die Neuigkeiten schlug ich mir die Hand vor den Mund, doch mein einziger Gedanke galt Elias.

„Gibt es... gibt es Tote?", stellte ich zögerlich die schrecklichste aller Fragen und hatte einen metallenen Beigeschmack im Mund. Wie in Trance bemerkte ich, dass meine Lippe aufgerissen war und ich mein eigenes Blut schmeckte. Meine Augen fixierten Yabyrs Mund, beobachteten wie er die Wörter formte, die wenig später mein Gehirn erreichten.

„Nein, lediglich ein paar Verletzte. Der Oswone Junge wurde sofort aus dem Wasser gezogen", informierte er so sachlich wie ein Nachrichtensprecher.

Ohne mir die Mühe zu machen meine Erleichterung zu verbergen, seuftze ich laut auf und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Was Yabyr von mir denken musste, war mir herzlich egal.

Mir stellte sich nicht einmal die Frage, wie der Boden überhaupt einbrechen konnte, bis Yabyr mir unaufgefordert mehr berichtete.
„Obwohl der Boden nicht künstlich angelegt und schon fast so alt wie der Planet selbst ist, dachten sie wohl er würde deswegen auch alles aushalten. Wie wir sehen brauchte es jedoch lediglich den ersten Drachen um die ganze Konstruktion zum Einstürzen zu bringen."

Seine Worte liefen mir eiskalt den Rücken hinunter und ich starrte ihn entgeistert an. Nicht möglich.

Er redete weiter ohne meine Reaktion zu bemerken: „Natürlich müssen sie jetzt erstmal einen provisorischen Boden herstellen, bis das Glas nachwächst. Das kann an sich schon ein paar Jahrhundete dauern."

Mein Gehirn nahm nicht mal die kuriose Information auf, das Glas hier anscheinend nachwachsen konnte, da ich immer noch verarbeiten musste, dass ich für das ganze Chaos verantwortlich war.

Gab es hier eigentlich auch so eine Art Gericht?
Wenn ja, saß ich ziemlich tief in der Tinte, weil ich nun auch noch verschwunden war.

Yabyr musterte mich aus Adleraugen und schien nun endlich eins und eins zusammen zu zählen.

Mit finsterer Miene stierte er mich an: „Deswegen seid ihr hier unten gelandet. Du bist feige geflüchtet", beschuldigte er mich aufgebracht. „Und ich habe dich auch noch gerettet." Angewidert verzog er das Gesicht und wollte schon von mir abrücken.

„Halt, warte! So ist es nicht gewesen!", hielt ich ihn zurück, doch er ließ mich nicht ausreden.

„Erzähl mir keine Lügen! Niemand kann sich nach einem Bad in dem See an die letzten Wochen erinnern. Und ich muss es schließlich wissen, denn mein Bad war nicht zu kurz", knurrte er wütend und ich meinte eine Nuance von Verletztheit herauszuhören.

Umso dringender wollte ich ihm die Wahrheit erzählen, doch er stand auf und wandte sich von mir ab. Mit großen Schritten verschwand er im hintern Teil der Höhle und hinderte mich daran, ihm zu folgen.

„Wenn ich morgen aufstehe, bist du verschwunden. Kapiert, Mensch? Es ist mir egal wo du abbleibst, Hauptsache ich muss dich nicht mehr sehen!"

„Es war nicht absichtlich!", brüllte ich ihm hinterher und hämmerte hysterisch gegen den Felsblock, den er vor seinen Bereich geschoben hatte.

„Und ich bin nicht geflohen! Ich bin diesen beschissenen Wasserfall runtergestolpert und Moon ist mir gefolgt. Diese dämlichen Risse sind bei unserer Landung für diese Zeremonie entstanden und Elias...", ich unterbrach mich keuchend und stieß einen Schwall von Flüchen aus. Erst nach ein paar Minuten hörte ich auf zu schimpfen und alles und jeden zu beleidigen, jedoch lag das nur daran, weil ich in Tränen ausgebrochen war.

Keuchend lag ich auf dem kalten Gestein und Tränen flossen mit dem Regen draußen um die Wette, während ich ununterbrochen meine Wut und Verzweiflung in den Boden einhämmerte. Meine Musklen fingen an zu schmerzen, genauso wie meine Fäuste, doch ich hörte nicht auf, bis meine Augen zu geschwollen waren, um sie noch weiter offen zu halten.

Erschöpft streckte ich meine Arme unf Beine von mir, das Gesicht auf den Höhlenboden gepresst. Unermüdlich strömten die Tränen selbst unter meinen geschlossenen Lidern hervor und hinterließen dunkle Flecken auf dem hellen Sandstein.

Daughter of ร๓๏гเℵ  ๏รฬ๏ภє Where stories live. Discover now