Kapitel 36

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Die nicht kam. Ich öffnete wütend meine geschwollenen Augen und hätte am liebsten das Meer angebrüllt, warum es mich so leiden ließ.

Doch meine Kehle brannte wie Feuer und ich bekam nicht mal ein heiseres Krächzen heraus.

Ich sank in mich zusammen und war bereit zu sterben. Mein Körper war vertrocknet und würde wie eine alte Schlangenhaut zerfallen.

Zudem besaß ich nicht mal mehr die Hälfte meiner Erinnerungen und hatte das Gefühl, dass mir ganz entscheidene geraubt worden waren. Natürlich konnte ich mich noch an meine Familie erinnern. Und an den Drachen der über mir seine Kreise zog, wie eigentlich schon immer.

Hätte ich jetzt die Kraft dazu gehabt, hätte ich die Stirn gerunzelt. Woher war ich mir darüber auf einmal so sicher?

Und woher wusste ich irgendwie instinktiv, dass ich mich nicht mehr auf der Erde befand? Kamen meine Erinnerungen vielleicht doch zurück? Hoffnungsvoll versuchte ich mich aufzurichten, doch ein grauenvoller Schmerz durchstieß meinen Körper, wie ein Speer.

Wie ein nasser Sack fiel ich zurück auf die Kiesel und krümmte mich zusammen. Mein Körper war zu ausgetrocknet, um jetzt noch Tränen produzieren zu können und ich war dankbar dafür. Denn so würden mich nicht noch zusätzlich Weinkrämpfe schütteln.

Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, meine Welt hatte sich auf Helligkeit und Schmerzen reduziert. Doch diese wurde von einem Schatten durchbrochen. Er hinterließ sofort ein kaltes Gefühl auf meiner Haut, da sie für den Moment nicht mehr den tödlichen Sonnenstrahlen ausgesetzt war.

Mühsam versuchte ich meine verklebten Augen zu öffnen, was mir erst nach ein paar Anläufen gelang.

War ich tot?

Die Frage durchzuckte mich plötzlich und hinterließ in mir eine merkwürdige Leere. Meine Familie... Bedauern machte sich in mir breit. Und doch hatte ich mir den Tod anders vorgestellt. Ohne Schmerzen und friedvoll. Vielleicht bist du ja ein böser Mensch gewesen. Ich biss die Zähne zusammen und unterbrach meine überschäumenden Gedanken, indem ich einfach zu dem Schatten aufschaute.

Obwohl der Schatten beinahe riesig gewesen war, war der Drache es keineswegs. Er sah aus wie eine Mini-Version von dem großen schwarzen Drachen.

Außerdem schien er aus flüssigem Glas zu bestehen. Staunend starrte ich das hübsche, kleine Wesen an.

Es watschelte behutsam auf mich zu und blieb vor meinem Kopf stehen. Neugierig beschnupperte es mich und schien zufrieden mit dem Ergebnis, denn es streckte mir sein winziges Schnäutzchen entgegen.

Ich bemerkte, dass ich lächelte, als meine spröden Lippen rissen und mir das Blut über das Kinn lief.

Das Wesen stieß einen leisen Laut aus und stupste mich mitfühlend an. Seine riesigen Augen musterten mich und das süße Wesen darin schien sich in ein berechnendes, erwachsenes zu verwandeln. Mit schief gelegenem Köpfchen horchte es, was ich nicht vernehmen konnte und ließ mich dabei nicht aus den Augen.

Nach einem Moment knabberte es unberührt an meiner Stirn und schien mich trösten zu wollen. Ich genoss die Anwesenheit des kleinen Geschöpfes und konzentrierte mich darauf meine Schmerzen auszublenden. Dankbar ließ ich mich von dem Drachen ablenken und staunte über die Natur.

„Xavina!"

Ich hatte mich nicht getäuscht. Der kleine Drache riss erschrocken seinen Kopf in die Höhe und flatterte unruhig mit den Flügelchen.

Hustend zwang ich mich in eine sitzende Position und wedelte mit den Händen. Doch weit und breit war niemand zu sehen. Erschöpft schloss ich die Augen und presste die Fingerspitzen an meine pochenden Schläfen.

Eine Berührung an meinem Bein ließ mich die Augen erneut blinzelnd öffnen.

Der Drache kletterte eifrig an meinem Knie empor und blickte mich stolz an, als er es geschafft hatte. Als ich nicht darauf reagierte beschnupperte er mich aufgeregt und breitete plötzlich seine Flügel aus.

Mit einem Satz hatte er sich auf meine Schulter katapultiert und leckte mein Ohr ab. Schwach grinsend versuchte ich ihn abzuwehren, doch er war viel zu schnell für meine trüben Augen.

Und dann verschwand sein Gewicht auf einmal von meiner Schulter.

Einsam zog ich meine Beine an und legte mich vollkommen erschöpft zurück auf die Steine.

Ein Tropfen fiel auf meine Stirn, doch ich schaffte es nicht mehr meine Augen zu öffnen.

Dunkelheit versuchte sich in mir breit zu machen und mich zu verschlingen.

Ein fieses Zwicken durchfuhr meinen Finger. Aber auch der Schmerz konnte mich nicht dazubewegen, die Augen zu öffnen.

Eine kühle Brise wehte über mich hinweg und von einiger Entfernung meinte ich eilige Schritte zu hören.

Etwas krachte mit plötzlicher Wucht auf meinen Bauch und ließ mich eher unfreiwillig aufkeuchen. Es krabbelte über mich drüber und verharrte schließlich auf meinem Schlüsselbein.

Es schien sein Gewicht zu verlagern und beugte sich über mein Gesicht.

Warmer Atem strich zart über mein Gesicht.

Meine Wimpern flatterten kaum merklich und das Pochen meines Kopfes machte sich wieder deutlich bemerkbar.

Ich zuckte zusammen, als mich etwas feuchtes, warmes auf der Stirn berührte und konnte mich gerade noch beherrschen nicht danach zu schlagen.

Woher kamen denn diese plötzlichen Kraftschübe her? Eben war ich noch kurz davor bereit gewesen abzukratzen und jetzt sprühte ich vor lauter Lebensenergie.

Meine Augen ließen sich problemlos öffnen, keine Spur mehr von geschwollenen Lidern. Ich blickte direkt in das Gesicht des kleinen Drachen.

Er schien mir liebevoll zuzuzwinkern und erhob sich in die Luft.

Lächelnd hob ich winkend die Hand und setzte mich schwungvoll auf. Mit einer fließenden Bewegung stand ich auf und klopfte mein völlig ruiniertes Kleid vom Staub ab.

Der Drache drehte eine kleine Ehrenrunde um meinen Kopf und ich flüsterte ihm ein «Danke» zu. Erfreut bemerkte ich, dass meine Stimme zurückgekehrt war, genauso wie mein Durst gestillt worden war.

Während der Drache schimmernd im Licht davonflog, kam mir ein vager Gedanke des Erkennens.

Wasserdrachenfall. Der Wasserfall von dem ich in die Tiefe gestürzt war. Von dem Moon mir gefolgt war und versucht hatte mich zu retten. Der Mann, der mich schließlich aus dem stillen Gewässer um den Wasserfall rausgefischt hatte. Mein Erwachen. Der quälende Durst. Mein Nahtod.
Der Wasserdrache.

Er hatte mir das Leben gerettet.

Immerhin konnte ich mich nun an mehr erinnern. Noch nicht an alles, aber wenigstes schon mal an meinen Moon und wie ich in diesen See gelangt war.

Und natürlich das dieses Mädchen, was ich von weiter oben betrachtet hatte, ich war. Eine unheimliche Vorstellung, wenn ich nun daran zurück dachte.

Und dann waren es genau genommen sogar zwei Fasttode.

Ich konnte mich glücklich schätzen, so viele Retter zu haben, die zur rechten Zeit, am rechten Ort waren.

Daughter of ร๓๏гเℵ  ๏รฬ๏ภє Where stories live. Discover now