Kapitel 16

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Mit den Schuhen in der Hand laufe ich schließlich doch auf den Wald zu. Wie immer ist meine Neugier größer als meine Vorsicht.

Da der Phoenix von seinem Geschirr befreit ist, konnte er davonfliegen und ich kam mir blöd vor, einfach weiter auf einer Stelle zu stehen. Außerdem mochte ich Wälder schon immer. Sie haben mir früher gegen meine Migräneattacken geholfen, indem ich mir vorgestellt habe, ich sei in einem von ihnen.

Der Wald war still, ähnlich wie die dunklen Nadelwälder, nur das dieser hier hell und luftig war. Statt Vogelgezwitscher hörte ich das leise Rascheln der Blätter unter meinen Füßen. Sie waren leuchtend rot. Die Blätter, die noch an den Bäumen hingen, sahen braun und leblos aus. Stirnrunzelnd blieb ich vor einem von ihnen stehen. Direkt unter dem Blätterdach schienen sich die Blätter direkt vor meinen Augen zu verfärben. Ein löchriges, fast schwarzes Blatt begann seine Löcher mit Gewebe zu schließen, heilte sich von selbst. Langsam bekam es Farbe und schien dann genug Energie zu haben, um sich fallen zu lassen. Anscheinend blieben sie nur so lange an ihrer Energiequelle, bis sie sich verselbstständigen konnten. Mir fiel auf, dass der Baum die trostlosen Blätter mit seinen Adern festzuhalten schien.

Staunend ging ich fast ehrfürchtig über die weiche Decke aus roten Blättern. Ich fühlte mich wie in einen von meinen Science-Fiction-Filmen und hätte am liebsten alles dokumentiert.

Die Dunkelheit hatte inzwischen auch den Wald erreicht und ließ lange Schatten entstehen. Mein Sonnenbrand war kaum mehr sichtbar und da sich meine Haare schon längst wieder aus dem Knoten befreit hatten, den ich heute Morgen gemacht hatte, strich ich sie lediglich hinter meine Ohren. Ein leichtes Prickeln durchfuhr meinen Körper und ich sah mich achtsam um. Die Bäume und die Gräser, die an ihren Stämmen säumten hatten sich nicht verändert. Der ganze Wald wandelte sich kein bisschen, egal wie tief ich hineinlief.

Ein blauer Lichtpunkt kam auf mein Gesicht zu geschossen. Panisch duckte ich mich unter ihm weg und verdeckte mit den Händen meine Augen und den Mund, damit ich das Vieh nicht versehentlich verschluckte. Doch es umschwirrte mich wie eine aufgebrachte Wespe und ich gab mir alle Mühe ihm auszuweichen.
Aber scheinbar hatte es seine Kumpels gerufen, denn auf einmal summte ein ganzer Schwarm blauer Lichtpunkte um meinen Körper.

Da ich nicht wusste, ob diese Tiere gefährlich waren, sprich ob sie mich pieksen konnten, traute ich mich nicht, sie einfach wegzuschlagen.
Doch dann durchbrach eines von ihnen seine Flugbahn und prallte auf meinen Arm.

Entsetzt kreischte ich auf und fing an wie verrückt auf und ab zu springen. Im Versuch es abzuschütteln, drehte ich mich wie wild im Kreis und schlug auf das winzige Ding ein. Zumindest dachte ich das, aber meine Hand traf nur meine eigene Haut. Ich quietschte geschockt und kratzte über den blauen Lichtpunkt, der sich an meinem Arm festgekrallt hatte. Und als hätte es nur einen Anfang benötigt, kamen nun alle Leuchtpunkte auf mich zu und setzten sich mehr oder weniger sanft auf meine Haut.

Nach ein paar Sekunden bestand ich nur noch aus blauem leuchtenden Licht. Die Wesen summten an meiner Haut, schienen aufgeregt miteinander zu tuscheln. Ziemlich unhöflich, wenn man bedachte, dass sie mich dabei ausschlossen.

Ich schüttelte mich kurz, um zu sehen, ob sie nun abfielen. Natürlich nicht. Ein Luftzug fuhr über meine Haut und ich erschauderte. Es war, als wären die Lichtpunkte zu einem einzigen Wesen verschmolzen, das mich nun wie eine zweite Haut umhüllte.

„Sie ist es", hauchten die winzigen blauen Wesen auf einmal. Und mit einem Schlag stoben sie alle auf und flogen in einer Reihe einmal um meinen Kopf, bevor sie über roten Blätterweg weiter in den Wald schwebten. Zögernd blieb ich wie versteinert stehen. Ich war mir sicher, dass sie mich soeben aufgefordert hatten ihnen zu folgen, aber sollte ich nicht langsam zurück zu Elias? Oder ihm wenigstens Bescheid geben?

Das letzte blaue Glühwürmchen verschwand hinter den hängenden Blättern einer Trauerweide, die den restlichen Weg versperrte. Ohne einen Blick zurückzuwerfen eilte ich hastig hinter ihnen her. Dabei wäre ich fast über die alten Wurzeln des Baumes gestolpert, aber nicht ich war es, die mich wieder fing. Sondern die langen Äste mit den Blättern des Baumes.

Eigentlich hätte ich in diesem Moment vor Angst erst recht hinfallen müssen, aber mir gelang es einigermaßen sicher weiterzulaufen. Nach wenigen Metern hatte ich die Leuchtpunkte wieder eingeholt und diese begrüßten mich indem sie um mich herum tanzten. Einige setzten sich in meine Haare und schienen es sich bequem darin zu machen.

Unsere Reise endete vor einer riesigen Felswand. Wasser rann an ihr hinunter und mündete in einem kleinen Teich, der von Seerosen und Schilf bedeckt war. Kletterpflanzen umschlossen den Fels und begrenzten die kleine Lichtung, sodass diese versteckt war.

Lauter kleine blaue Lichter durchschwirrten die Luft und erhellten das Dunkel. Auch die anderen Pflanzen schienen zu leuchten und die düstere Nacht kam nicht in den Wald.

Ich lächelte fasziniert über diesen sonderbaren Planeten. Langsam streckte ich die Arme aus und legte den Kopf in den Nacken. Ein runder, voller Planet war zwischen den Baumkronen zu sehen. Er wurde von vielen kleineren Sternen umringt, manche leuchteten ebenso hell wie er, aber nur einer war fast noch strahlender.

„Du musst gehen", wisperte die körperlose Stimme der glühenden Punkte in mein Ohr.
Ich öffnete die Augen, riss den Blick vom Nachthimmel fort und richtete hin auf die blauen Lichtpunkte. Sie umkreisten meine ausgestreckten Arme und meinen Oberkörper.
Ich schüttelte den Kopf und seufzte, warum sollte ich schon gehen? Ich war doch gerade erst angekomen.

Das Summen schwoll kurz an und der Schwarm kam mir kurz näher, bevor er sich von mir entfernte. „Du weißt warum."

Ja, ich wusste in der Tat warum ich gehen sollte. Aber nur weil mein zeitliches Unterbewusstsein vermutete, dass Elias schon längst auf mich wartete, hieß das noch lange nicht, dass ich jetzt auch zu ihm wollte.

Sehnsüchtig beobachtete ich meinen Ort einen kurzen Augenblick, um ihn mir einzuprägen und wandte mich dann zum Gehen.

Die Blätter leuchteten blutrot und brannten unter meinen bloßen Fußsohlen. Seltsam, auf dem Weg hierher waren sie noch harmlos. Ich hielt mich an der Trauerweide fest, um in meine Schuhe zu schlüpfen, doch dieses Mal peitschten mir ihre Blätter um die Ohren. Erschrocken ließ ich sie schnell los und rannte über die Blätter direkt auf eine dunkle Gestalt zu.

Daughter of ร๓๏гเℵ  ๏รฬ๏ภє Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt