Kapitel 22

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Meine Augen bewegten sich unter geschlossenen Lidern, doch ich war noch nicht bereit sie schon jetzt der erbarmungslosen Welt auszusetzten.
Stöhnend wälzte ich mich umher, um eine angenehmere Position zu finden. Doch vergeblich, der Schlaf stieß mich aus seiner warmen, geborgenen Umarmung.

Seufzend schlug ich die Augen auf und reckte mich gähnend. Bevor ich mich aufsetzte streckte ich mich, damit mein schmerzender Rücken endlich Ruhe gab.
Mein Zimmer war dunkel, die Morgendämmerung hatte noch nicht einmal eingesetzt und die Dunkekheit warf lange pechschwarze Schatten. In Zeitlupe setzte ich meine nackten Füße auf das kühle Laminat meines Fußbodens. Meine Zehnägel waren immer noch schwarz lackiert, da ich zu faul war, sie wieder von dem Lack zu befreien.
Als ich an dem Spiegel meines Kleiderschranks vorbeikam, musste ich schmunzeln. Meine Haare hatten sich komplett verknotet, sodass es aussah, als hätte ich ein Vogelnest auf dem Kopf. Zusätzlich trug ich den aussortierten Schlafanzug meiner Mutter, dieser war mit süße Bärchen bedruckt, die langsam verblichen. Meine blauen Augen blickten mir verschlafen entgegen und ich meinte, dass mein linkes Auge von meinem Spiegelbild mir unauffällig zugezwinkert hatte und das ohne mein Zutun!
Ich runzelte die Stirn und rieb mir den Sand aus den Augen. Kopfschüttelnd tapste ich nach unten in die Küche, wobei ich eine weitere seltsame Entdeckung machte, die aber wahrscheinlich nicht weiter bemerkenswert war. Die Stufen unserer Treppen knarrten immer, als wären sie aus einem Horrorfilm entsprungen, diesmal waren sie jedoch totenstill.
Da ich in der Küche nur Augen für den Kühlschrank, oder besser gesagt, seinen Inhalt hatte, wäre ich beinahe in meine Mutter reingerannt. Gerade noch so konnte ich meine Tasse mit Milch vor einem Sturz bewahren und bereitete mich innerlich bereits auf eine Rüge vor. Aber es kam keine.
Ich hob meinen Blick und musterte meine Mutter, die mit leerem Blick in die Luft starrte. Genau auf die Stelle, wo ich stand. Was war heute Nacht nur los?
Plötzlich ertönten von draußen, aus dem Garten, Schritte und der Blick meiner Mutter fokussierte sich wieder, jedoch sah sie immer noch durch mich hindurch. Ich starrte sie meinerseits perplex mit meiner Tasse in der Hand an und fragte mich, ob ich wohl nur einen schrägen Traum hatte. Doch dafür fühlte es sich verdammt real an.
Der Lieblingspenner meiner Mutter stand an der offenen Terrassentür, die meine Mutter wohl soeben geöffnet hatte, denn sie stand ihm gegenüber und schaute ihn mit besorgter Miene an. Sein Blick wurde bedauernd und für eine Millisekunde streifte er in meine Richtung.
Auf einmal schienen bei meiner Mutter alle Dämme zu brechen und sie schluchzte kurz auf, bevor sie die Hände vor ihr Gesicht schlug. Ich beobachtete sie entsetzt, noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich sie Weinen sehen. Und sie so hilflos und verzweifelt zu erblicken, bereitete mir ungeheuerliche Angst.
Ihre schmalen Schulter zuckten unkontrolliert, aber sie rang offensichtlich wieder um ihre kalte Selbstbeherrschung.
Nach ein paar Momenten, in denen der Penner nur mit hilflos nach unten hängenden Armen und Mundwinkeln dastand, hatte meine Mutter sich wieder beruhigt und räusperte sich leise.
„Gibt es etwas Neues? Geht es ihr gut?"
Ihre Stimme hatte sich verändert, sie klang rau und heiser, kein bisschen von der üblichen geschmeidigen Überheblichkeit war mehr zu hören. Ich wusste nicht, wie ich mich fühlen sollte, aber eines war mir klar: hier lief etwas gewaltig schief.
„Nein, tut mir leid, Silva. Mir wurden meine Informanten abgezogen, aber sobald ich Neuigkeiten höre, komme ich sofort zu dir."
Sie nickte kraftlos und als sich der Alte bereits wieder abwenden wollte, fragte sie zart: „Und wie geht es ihm ?"
Mit einem Ruck verspannte sich der gesamte Körper des Fremden und er antwortete, ohne sich umzudrehen mit verspannten Schultern: „Wie immer. Gute Nacht, Silva."
Die Gestalt meiner Mutter wirkte noch mehr in sich zusammengesunken, als der Alte sich endgültig abwandte und sie alleine in den Schatten zurückließ.

Mein Innerstes zog sich schmerzhaft zusammen und mir traten unwillkürlich Tränen in die Augen. Langsam stellte ich meine Tasse auf den Küchentresen und huschte zu meiner Mutter. Diese stand inzwischen von mir abgewandt und hatte ihre Arme um ihren Oberkörper geschlungen. Ich hatte mal gehört, dass Menschen dies als Zeichen des Selbstschutzes taten.
Dicht hinter ihr blieb ich stehen und konnte den schweren Duft ihres Parfüms wahrnehmen. Unsicher, ob ich sie nun in den Arm nehmen sollte, schloss ich die Augen und stieß einen leichten Seufzer aus.
Wir hatten uns nie sonderlich nahe gestanden, denn wir beide waren nicht wirklich der Typ Mensch, der offen seine Gefühle zeigte. Das hatte uns allerdings auch schon oft Schwierigkeiten bereitet und belastete unsere Beziehung zueinander.
Das unterdrückte Schluchzen meiner Mutter brach schlagartig ab und sie fuhr herum.
„Xavina?", flüsterte sie ängstlich. Ihre Augen waren weit aufgerissen und gaben ihre geweiteten Pupillen preis. Jedoch streifte ihr Blick die Stelle an der ich stand nicht mal ansatzweise und sie schien mich nicht richtig fokossieren zu können. „Bist du da?"

Ich schluckte und trat unruhig von einen Fuß auf den anderen. Mit einem Räuspern befreite ich meine Stimmbänder vom Schlaf und krächzte: „Ähm... ja. Ich stehe direkt vor dir."
Sie schien mich nicht gehört zu haben. Verzweifelt fuhr sie sich über die geröteten Augen und blinzelte wie verrückt, wohl um die weiteren Tränen, die sich in ihren Augen gesammt hatten, davon abzuhalten, ihre Wangen hinunterzurollen. „Wenn... wenn du mir nicht sagen willst, dass du hier bist, dann ist das okay. Aber bitte gib mir irgendein Zeichen. Zeig mir, dass ich nicht durchdrehe", ihre Stimme brach ab und sie schlug ihre Hand vor den Mund. Ihre Zähne schlugen klappernd aufeinander und sie zitterte wie Espenlaub.

Und endlich legte sich bei mir ein Schalter um und ich trat auf sie zu, um sie fest in den Arm zunehmen. Ich hörte wie sie leise aufkeuchte, sich aber langsam zu beruhigen schien.

„Xavina", hauchte sie beinahe erstaunt, „du musst zurück auf die Erde kommen, Schätzchen. Und wenn du Hilfe brauchen solltest, frage deinen Drachen nach... Fall."
Ich runzelte die Stirn und wollte mich erkundigen, ob das überhaupt eine Person sei, doch sie murmelte etwas, was mich davon abhielt.

Auf einmal wurde unsere Küche heller und verschwand, bis sie nur noch ein kleiner Punkt am Ende eines langen schwarzen Tunnels war.
Ich wurde durch Dimensionen gesogen und war wehrlos gegen diese Anziehungskraft.

Mit einem Keuchen riss ich die Augen auf und horchte auf meinen hämmernden Herzschlag. Hastig setzte ich mich auf, wobei mir die geflüsterten Worte meiner Mutter durch den Kopf schossen.

Sei vorsichtig, das ist kein Märchen. Ich liebe dich, mein Licht.

Daughter of ร๓๏гเℵ  ๏รฬ๏ภє Where stories live. Discover now