Kapitel 1

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Mal wieder fiel ich in die Tiefe. Ich wusste nicht wie ich überhaupt so hoch in den Himmel gekommen war, da weit und breit keine Stadt mit irgendwelchen Wolkenkratzern war oder auch nur irgendeine Menschenseele zu sehen war. Was ich allerdings auch schlecht beurteilen konnte, weil ich mich im Sturz ständig drehte. Ich suchte mit den Augen den Himmel ab, um zu schauen ob ich vielleicht aus einem Flugzeug gefallen war. Allein bei der Vorstellung wurde mir übel, doch dann endete mein abrupter Fall plötzlich, was mich noch mehr erschreckte. Jetzt konnte ich die Gegend unter mir betrachten und musste mich korrigieren: unter mir lag keine Stadt, wie wir sie kannten, sondern ein riesiger, prunkvoller Versammlungsplatz. Dort standen    lauter seltsam aussehende Leute und  starrten mit Erstaunen nach oben. Davor lag ein riesiges Gebäude, dass einer Kathedrale oder einem Schloss ähnelte und überall waren hübsche, jedoch andersartige, kleinere Häuser. Ich stutzte, als eine wunderschöne, alterlos wirkende Frau aus dem Schloss kam. Kurzerhand hatte ich mich dazu entschlossen, dass es ein Schloss war. Sie lächelte zu mir hoch. Oder besser gesagt, sie schaute nicht mich an, sondern auf eine Stelle, knapp über mir. Auf einmal kam mir mein abrupter Stopp wieder in den Sinn und das Gefühl von Händen um meine Taille, gelangte endlich in mein Gehirn. Ruckartig drehte ich mich um, oder zumindest versuchte ich es. Plötzlich hörte ich ein leises Lachen über mir. Das spornte mich erst recht an zu gucken, wer mich da festhielt. Endlich erhaschte ich einen kurzen Blick auf ihn. Und verkniff es mir gerade noch rechtzeitig loszukreischen. Er hatte riesige schwarze Schwingen und dunkle Augen. Er sah aus wie der Teufel. Mein Teufel, hauchte eine Stimme.

Mit einem entsetzten Aufschrei wachte ich schweißgebadet in meinem Bett auf. Nicht schon wieder! Es war immer der gleiche nervtötende Albtraum.
Immer die gleiche Szene, die sich so real anfühlte, dass ich selbst jetzt noch Gänsehaut hatte.

Inzwischen verfolgten mich diese Augen auch tagsüber. Aber das Unheimlichste war, dass ich ihn zu kennen glaubte, und das nicht erst seit den Träumen.

Es war mitten in der Nacht und stockdunkel. Da wir erst vor ungefähr drei Woche in unserem neuen Haus in einem kleinen Örtchen namens »Muxerath« eingezogen waren, hatte ich mich noch nicht an die neuen Umrisse meines Zimmers gewöhnt. Außerdem standen mehrere Umzugskisten mitten im Raum, sodass ich immer aufpassen musste, nicht darüber zu stolpern oder mir die Zehen anzustoßen.

Ich versuchte wieder einzuschlafen doch es gelang mir nicht. Als dann noch ein Gewitter aufzog und mein Zimmer mit grellen Blitzen erhellt wurde, stand ich genervt auf. Wie eine Schlafwandlerin lief ich durch unser Haus. Meine Eltern und mein Bruder schienen tief und fest zu schlafen. Seitdem wir hier waren, hatten sich die anderen bereits gut eingelebt, mir fiel es jedoch schwer, da ich meine Freunde aus England vermisste.

Da mein Vater schon zuvor einen Job in seinem Heimatsland angeboten bekommen hatte, nahm er sofort an, schließlich war ich erfolgreich in die elfte Klasse versetzt worden und hier waren noch Feiern, während mein Bruder noch im Kindergarten war.

Meine Mutter würde ihm überall hin folgen und es war nun wirklich kein großer Unterschied, ob wir jetzt in England oder in Deutschland lebten. Denn sie war eine japanische Künstlerin und malte auf alles, was sich nicht bewegte und bei drei auf einen Baum gesprungen wäre. Deswegen waren auch die Wände in unserer alte Wohnung in London mit Kirschblüten und Kolibris von ihr verziert worden.

Meine Eltern hatten sich über eine Kunstausstellung in Frankreich kennengelernt und sofort ineinander verliebt. Ich staunte noch heute, wenn meine Mutter mir erzählte, wie sie alles stehen und liegen ließ, um meinem Vater zu folgen.

Ihre Großmutter eine echte Geisha, weswegen sie immer noch stolz versuchte die letzten Reste ihres Erbes zu bewahren, auch wenn sie dieses eher in Yoga auslebte. Regelmäßig versuchte sie mich zu überzeugen mit ihr zu turnen, doch ich war restlos meinem Laufband im Fitnessstudio verfallen.

Nicht selten erwischte ich mich dabei uns neidisch zu vergleichen. Denn trotz meiner sechzehn Jahre waren immer noch kaum Kurven in Sicht. Das bedeutete aber nicht, dass ich mich in meinem Körper unwohl fühlte, im Gegenteil: da ich regelmäßig lief, waren meine Beine muskulös und konnten mich locker im Sprint über mehrere Kilometer tragen.

Plötzlich wurde ich aus meinen Überlegungen gerissen. Jemand stand vor mir im Flur. Ich quietschte leise auf und machte schnell das Licht an.
"Xavina! Was machst du zu dieser Zeit auf dem Flur?"
"Gott, hast du mich erschreckt", ich hielt mir die Hand ans Herz, "Und was machst du hier?"
"Ich habe Geräusche aus dem Garten gehört." Meine Mutter zog besorgt die Augenbrauen zusammen.
"Vielleicht ist einer der kleinen Bäume in diesen Töpfen umgekippt? Wir können ja morgen nachgucken“, schlug ich achselzuckend vor. Die Pflanzen waren mir relativ egal. Außer, wenn ich mich mit ihnen beschäftigte, um sie zu skizzieren.

"Mir wäre lieber, wenn wir jetzt gucken gehen würden", erwiderte sie stur. Es war allerseits bekannt, dass sie ein Naturmensch war, vermutlich auch teilweise durch ihr Yoga, um dort Entspannung zu finden.

Ich schmunzelte und gähnte. "Okay, von mir aus geh' gucken. Ich werde mich jetzt wieder hinlegen."
Sie nickte abwesend und schlich, wie ein Ninja im pinken Pyjama, die restlichen Treppen zur Terrasse runter. Ich wandte mich um und verschwand in mein Zimmer. Das Gewitter war schwächer geworden, zumindest war das Donnern war nicht mehr so laut.
Meinen Traum hatte ich schon fast wieder vergessen, als ich einnickte.

Wen interessierten schon irgendwelche umwerfenden, dunklen Augen, die ich irgendwoher zu glauben kannte?

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Glossar: Muxerath ist eine echte Stadt irgendwo in Rheinland-Pfalz, (fragt mich nicht wo xD), die zum Landkreis Eifelkreis Bitburg-Prüm gehört und laut Wikipedia genau 51 Einwohner hat (Stand 2015).

Daughter of ร๓๏гเℵ  ๏รฬ๏ภє Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt