Kapitel 110

5.2K 266 69
                                    

"Unsere Flugzeit ist mit knapp 6 Stunden und 30 Minuten vorausberechnet, und ich darf Sie nun bitten, Ihren Sitzgurt zu schließen und fest zu ziehen", dröhnte die übliche Flugansage aus den Lautsprechern durch den gesamten Flieger, ging bei den durcheinander redenden Passagierstimmen unter und ich lehnte mich erschöpft seufzend im Sitz zurück. Diese ewig erscheinenden Flüge quer über den Ozean konnte ich kein bisschen ausstehen, erst recht nicht, wenn ich ein gebrochenes Herz und turbulent fliegenden Gefühle mit im Gepäck hatte. Nachdem Damien und ich uns gestern offiziell getrennt haben, war Damien ein wahrer Gentleman und besorgte mir das Flugticket, organisierte einen Umzug und brachte mich auch noch zum John F. Kennedy International Airport. Der Abschied schmerzte, höllisch und langwierig, ich konnte Damiens gebrochenen Blick nicht aus den Gedanken verbannen und noch weniger sein Gesichtsausdruck, als ich immer mehr Distanz zwischen uns gezogen habe.

Plötzlich setzte sich die Maschine in ruckartige Bewegung und ich schreckte zurück in die Realität, krallte die Finger in meinen Teddybären, Sir Friendly und atmete tief durch. Lebewohl New York... Meine wundervolle Zeit in dieser aufregenden Großstadt war nun vorbei, doch ich bereute keine einzige Sekunde meines recht kurzen Aufenthalts, nichts, was mir in der Stadt der Träume und Möglichkeiten widerfahren war. Es viel mir wirklich schwer, diese traumhafte Stadt und den amerikanischen Boden generell zu verlassen, obwohl ich meine Heimat mit ihren altvertrauten Gegenden, Menschen und besonders das Wetter dort in England. Alles vermisste ich aus reinster Seele, es war nun mal die Heimat meines Blutes und Herzens, außerdem lebte der Großteil meiner Familie in diesem Land. Deshalb hatte ich Sehnsucht danach, zurückzukehren, weil meine Familie sich in Cheshire bestimmt schon nach mir sehnte. Nach all dem Desaster verblieb nur sie als Stütze vor der nächsten Katastrophe. Hör einfach auf, dermaßen kompliziert über jede kleinste Sache nachzudenken..., herrschte ich mir zornig ein und drückte Sir Friendly fest an meine Brust. Die Rückkehr nach Hause sollte ich als Urlaub ansehen und dementsprechend auch genießen, entspannen und wer weiß, vielleicht liefe das nächste Wunder direkt von meine Füße?

Während das Flugzeug es endlich schaffte, geschmeidig über den Wolken zu gleiten, betrachtete ich für eine gewisse Weile gedankenverloren die vorbei fliegenden weißen Wolken und bemühte mich, über rein gar nichts groß nachzudenken. Das einzig wichtige in dem Moment galt, heil und unversehrt in England zu Landen und den vertrauten, regnerischen Duft auf englischem Boden zu inhalieren. Holmes Chapel im Herzen endlich wieder innig zu spüren, die Erinnerungen meiner Kindheit aufzufrischen und am allerwichtigsten, die wohl bedeutendsten Menschen in meinem Leben wieder in die Arme zu schließen. Trotz des recht selten stattgefundenen Kontaktierungen haben wir uns nie gegenseitig vernachlässigt, Mum hatte mich die letzten Monate jedes Wochenende angerufen, um sich zu vergewissern, dass ich in solch einer gigantischen Stadt nicht gekidnappt wurde und wohlauf war.

Bei dieser Erinnerung schlich sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen und blickte hinab zu Sir Friendly, dessen einziges Knopfauge funkelte. Ich brachte es schlicht nicht übers Herz diesen putzigen Teddybären weg zu werfen und war auch glücklich darüber, denn ursprünglich war er nicht mein Eigenbesitz, sondern Louis'... An diesen Tag konnte ich mich noch genauesten erinnern, der kalte Streit zwischen uns, nachdem Louis zugegeben hatte, dass der erste Heiratsantrag unbeabsichtigt und aus Panik entstanden war. Zur Entschuldigung habe ich einen rührenden Brief und Sir Friendly geschenkt bekommen, den Louis schon seit der Kindheit besaß. Erneut durchquerte Louis meine Gedanken und dagegen konnte ich nun nichts unternehmen, wenn dieser Mann sich einmal in meinen Kopf fest gebohrt hat, gelang es mir nie wirklich, ihn rechtzeitig zu verbannen. Bevor er wieder eine Unordnung veranstalten würde...

Wenn ich schon an Louis dachte, erschien auch wieder Damiens tief trauriges Gesichts vor meinem inneren Augen, seine bernsteinfarbenen Augen wirkten blass und haben komplett ihren Glanz verloren. Natürlich gab ich mir einzig und allein die Schuld daran, dass Damien unter diesen Verhältnissen, die ich in die Beziehung versehentlich eingebracht hatte, Schmerzen ertragen und an ihnen für eine Weile nun leiden musste. Meine Güte, Damien liebte mich ganz ehrlich und aus vollstem Herzen, dies habe ich ganz deutlich gespürt und deswegen schmerzte es umso mehr, ihn abgewiesen und verlassen zu haben. Aber dieser Schritt war zu seinem eigenen Besten, auch wenn er völlig anderer Meinung war. Leider fiel es mir wirklich schwer, weiterhin den Kontakt mit ihm aufrecht zu erhalten, das würde uns beiden immer weiter schaden und deshalb habe ich entschieden, den Kontakt zueinander besser abzubrechen. Damien sprach in unserer letzten Nacht stundenlang dagegen, aber den selben Liebeskummer, den ich durch Louis gezwungen war, durchzustehen, wollte ich ihm auf keinen Fall ebenfalls antun. Nicht zu beschreiben, welche Scham ich empfand, keinen Mut zu fassen, Damien weiter unter die Augen zu kommen. Einer der paar Gründe, weshalb ich mich sehnte, zurück nach Holmes Chapel, Cheshire zu fliegen. Lebewohl, Damien... hab noch ein schönes Leben, ganz ohne mich.

c'mon c'mon » l.t. ✓Where stories live. Discover now