Kapitel 101

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"Was möchtest du noch von mir, Louis?"

In dieser trüben Dunkelheit erblickte ich recht schwer meinen Ex-Verlobten, der unmittelbar direkt vor mir auf meiner Bettkante saß und sich ein halbwegs normales Lächeln aufzwang. Danach zog Louis eine Augenbraue in die Höhe, deutet mit der Hand auf meinen verdeckten, halb nackten Körper und meinte frech: "Keine Sorge, ich habe dich selbst komplett nackt gesehen und jeden einzelnen Zentimeter davon persönlich markiert, dies nicht bloß einige Male."

An meiner unveränderten und steinharten Miene verstand er, dass ihm sein Charme dieses Mal nicht aus der Patsche helfen konnte und er stieß ein tiefes Seufzen aus. Glücklicherweise versteckte die Dunkelheit die aufsteigende Feuerröte in meinem Gesicht, diese ganze Situation war mir unendlich peinlich und erniedrigend, nach dieser... Diesem harten Streit zwischen uns. Noch nie haben wir uns dermaßen gezankt und angeschrien wie an diesem katastrophalen Abend, das bereitete mir schreckliche Krämpfe im ausgebluteten Herzen. Unbehaglich kratzte ich am Bettbezug und zupfte wahllos einige Fussel heraus, in der Hoffnung, Louis verstände meinen Wunsch nach vollkommener Einsamkeit.

Leider wagte er keinerlei Anstalten, zu verschwinden oder sich gar von mir zu entfernen, rückte stattdessen noch näher heran. Ruckartig zog ich meine nackten Füßen aus seiner Nähe und umschlang töricht wie ein Kleinkind meinen verdeckten Körper, bemühte mich einen strengen und eiskalten Blick aufzusetzen. In Louis' Nähe gelang es mir nie - wirklich nie und nimmer - einen klaren Verstand zu wahren und dies wusste er auszunutzen, denn er begann seufzend von Neuem: "Love, ich flehe dich an-"

"Nein", unterbrach ich ihn kalt, räusperte mich, um etwas verzweifelten Mut aufzubauen. "Lass mich in Ruhe, Louis."

Hastig krabbelte ich unter die Decke, breitete diese komplett über meinen zusammengekugelten Körper aus und hoffte stark, dass Louis nun endlich aus meinem Zimmer verschwinden würde. Doch hätte ich es nicht besser gewusst, schnappte Louis sich die Decke und warf sie achtlos auf den Boden. Während ich mich aufrichtete und beschämt nach einem Kissen zum Schutz tastete, verharrte er sturköpfig auf meinem Bett und legte den Kopf leicht schief, durchbohrte mich mit seinen traurigen Augen.

"Helen, bitte", seufzte Louis und fuhr sich durch die zerzausten, braunblassen Haare, knipste einfach die Nachttischlampe an. In dem nun dezent mattem Licht erkannte ich richtig Louis' erschöpftes Gesicht vor mir. Seine wundervollen türkisen Augen schienen ihren üblichen Glanz verloren zu haben, ebenso wie die rauen und verblassten Lippen und ihm wuchsen wieder die Bartstoppel nach. Einerseits empfand ich unendlich viel Mitleid mit Louis und bekam Gewissensbisse, doch andererseits fragte ich mich, ob ich während dieser harten Zeit nicht umso schlimmer ausgesehen habe.

"Was möchtest du noch von mir, Louis?", erneut stellte ich diese Frage und meditierte innerlich, um bloß nicht die Fassung zu verlieren - jedenfalls nicht jetzt. "Anscheinend hast du nicht genug verletzender Aussagen gegen mich geäußert und willst mir noch einen Nachschlag geben?"

Wieso gelang es mir schlicht nicht, stark zu sein? Gegen meine tobenden Gefühle zu kämpfen und ein normales Leben zu führen?

"Nein... Nein, auf keinen Fall, love", sprach Louis mit rauer Stimme und räusperte sich. "Es tut mir unendlich leid. Ich-ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich dir solch brutale und schreckliche Worte an den Kopf werfen konnte."

Danach herrschte vollkommene Stille im Zimmer, keiner von uns wagte es, sich auch nur zu rühren oder gar zu atmen. Jeder kleinste, auch unbedeutendste Zug könnte unsere nachfolgenden Handlungen und Worte beeinflussen, davor hatte ich schreckliche Angst. Was wäre, wenn Louis und ich am Ende dieser Nacht endgültig abschlossen und eigene Wege gingen? Nein, das hielte weder er noch ich in irgendeiner Weise aus, komischerweise brauchten wir beide uns gegenseitig, auch wenn es unfassbar schmerzte - als wäre unsere Liebe toxisch und raube unsere die Kraft, bis wir eines Tages entweder geheilt oder völlig ausgelaugt sind.

c'mon c'mon » l.t. ✓Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon