Kapitel 20 Linderung

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Zitternd hielt ich mich am Gelände der Terrasse an. Das Metal fühlte sich schön kalt an und kühlte meine schwitzenden Hände, doch mein brennendes Innerstes konnte es nicht abkühlen.

Schwüle Abendluft ließ meine langen Haare hinter mir leicht flattern und ich sah zur untergehenden Sonne. Ich mochte eigentlich die Nacht, doch komischerweise wollte ich nicht, dass der Tag heute vorüber ging.

Ich schloss die Augen. Doch als ich das tat, sprangen mir meine zahlreichen Gedanken entgegen und ich musste meine Augen überfordert zu kneifen.

Wenn Cole schon die ganze Zeit gewusst hatte, dass er viel länger als meine Mutter leben wird, wieso hat er sich dann auf sie eingelassen? Wieso hat er ihr und später auch mir so viel Schmerz hinter lassen?

Als ich noch klein war, war mein Vater mein Held gewesen. Nachts, wenn wir über weite Landstraßen fuhren sah ich gar nichts, doch er hatte immer den Überblick. Er nahm mich auf seine Schultern, wenn die Welt für mich zu groß war und ich mich klein fühlte. Er erzählte mir Märchen und Sagen, wenn ich mich vor den Schreckensgestalten unter meinen Bett fürchtete, die er in tanzende Kobolde und flüsternde Feen verwandelte.

Was ist aus meinem Held geworden? Wo ist mein richtiger Vater hin?

Er hatte sich seit dem Flugzeugunfall verändert. Er sah nicht mehr aus wie mein Vater und er war es auch nicht mehr. Ich konnte mich daran erinnern wie lustig ich es immer fand ihm sein haselnuss braunes Haar zu verwuscheln, wenn ich auf seinen Schultern saß. Jetzt hatte er komisches nachtschwarzes Haar mit blonden Strähnen.

Früher hatte er weiche Gesichtszüge, strahlende türkise Augen und trug immer ein Lächeln auf seinem Gesicht. Jetzt scheint sein Gesicht verhärtet zu sein, seine einstigen funkelnden Augen haben sich in ein trübes grau verwandelt und seine Lippen sind immer zu einem schmalen Strich verzogen.

Ich riss meine Augen wieder auf. Ich wollte mich nicht von meinen Gedanken erschlagen lassen. Aber was sollte ich schon gegen sie tun?

"Gegen sie ankämpfen.", erklang Lolas Stimme hinter mir und erschrocken drehte ich mich um. Schwach lächelte sie mich entschuldigend an und stellte sich neben mich.

"Ich komme auch gerne hier her, wenn ich Zeit zum Nachdenken brauche.", sagte sie und sah in die Dunkelheit ihres großen Gartens.

Einige Zeit herrschte Stille zwischen uns und wir sahen uns den immer finster werdenden Garten an. Dieser war groß, doch auch nicht zu groß. Schwach erkannte ich noch die Blumen, die hier blüten und kleine Bäume, sowie eine große Tanne.

Plötzlich unterbrach sie das Schweigen:"Ich kenne das Gefühl von seinen eigenen Gedanken erdrückt zu werden. Es passiert mir jedes Mal, wenn ich an Nephaniel denken muss.". Ohne eine sichtbare Reaktion sah ich zu ihr und erkannte einen wehvollen Ausdruck auf ihrem Gesicht. "Bis heute bereue ich es, dass ich mich damals nicht so gut um ihn kümmern konnte. Ich war so beschäftigt in der Arbeit, dass ich gar nicht sah was mit ihm geschah. Doch ehe ich etwas dagegen tun konnte, war es schon zu spät."

Ich wusste, dass Noel von zu Hause weggelaufen war, doch es schien mir, als würde Lola etwas ganz anderes meinen. Als hätte er ein Vebrechen begangen. Doch hat er bei seiner Verbannung nicht gesagt, dass er ein Mörder ist? Hat er mich etwa zuvor belogen?

"Mir geht es dabei wie dir und deinem Vater. Ich möchte meinen Sohn wieder bei mir haben, doch gleichzeitig fürchte ich, dass er sich zu sehr verändert hat.", sagte sie und starrte fast apathisch in die Dunkelheit. "Und was tust du, wenn du gegen deine Gedanken nicht mehr ankämpfen kannst?", fragte ich mit leiser Stimme und sie antwortete mir schlicht und einfach in zwei Wörtern:" Sie Ignorieren."

Ich dachte über ihre Worte nach und mir wurde bewusst, wie egoistisch ich doch eigentlich war. Ich glaubte Noel als einzige schmerzhaft zu vermissen, doch dabei vergaß ich seine Familie und Freunde. Sie wollten ihn auch wieder zurück haben, nicht nur ich.

"Aber, wir wollen doch nicht die ganze Zeit trübsal blasen. Man muss das Leben weiter leben. Komm, gehen wir wieder hinein. Ich glaube, dass Thindrial gerade sein berühmtes Zanderfilet austeilt.", meinte sie und lächelte mich ermunternd an. Ich nickte und sie wollte schon gehen, doch zuvor umarmte ich sie.

"Danke Lola. Jetzt geht es mir wieder besser.", flüsterte ich und sie streichelte mir mütterlich den Rücken. "Wenn du wieder Probleme hast rede einfach mit mir. Ich war Ärztin, doch trotzdem bin ich besser als jeder Therapeut.", bot sie mir an und löste sich wieder von mir.

* * * *
* * *

Gemeinsam gingen wir hinein und trafen im Esszimmer wieder auf die anderen, die vergnügt lachten. Trotz des nicht ganz so guten Anfang des Abends, wurde es schließlich wundervoll. Das selbstgekochte Essen von Thindrial war einfach ein Traum gewesen und es wurde viel geredet und gelacht.

Besonders wegen Rafael. Er war das aufgeweckteste Baby, dass ich je gesehen hatte. Er kicherte herum, brabbelte auch schon ein bisschen und war beim Essen hochkonzentriert, doch trotzdem landete fast sein ganzes Gericht auf sein Lätzchen.

Ich war leicht traurig, als wir um 23 Uhr gingen, doch es war schon spät und ich war auch schon ein bisschen müde. Fast wäre ich sogar im Auto eingeschlafen, aber zuvor kamen wir schon bei der SAC an. Ich verabschiedete mich bei Cirilia und Nathaniel, die danach auch schon zu sich nach Hause fuhren.

Jede halbe Sekunde gähnend ging ich durch die unendlich langen Gänge und war mehr als erleichtert, als ich mein Zimmer fand. Ich hatte schon befürchtet es nicht zu finden.

Blitzschnell zog ich mich nur noch aus, dann warf ich mich schnell auf mein Bett. Und ehe ich mich versah war ich auch schon eingeschlafen.

Bright AngelsWhere stories live. Discover now