Capitolo trenta

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Milan Arsen

Es zieht ein Sturm auf. Der Himmel wird düster, die Luft kühler und ab und zu ertönt alle zwei Minuten ein tiefer Donner.
Als Kind liebte ich dieses Wetter. Ich saß so gerne am Fensterbrett und habe einfach stundenlang rausgeschaut. Mein Vater war sowieso nie da, oder brauchte meine Anwesenheit, von daher konnte ich die Zeit so verbringen, wie ich lustig war. Somit wurde das stundenlange vor sich hin Stutzen mein Hobby.
Und nun? So viel hat sich geändert.
Obwohl... Nein! Es hat sich nichts geändert. Außer mein Aussehen und Alter ist alles gleich geblieben. Ich bin meinem Vater immernoch zu wider, verdiene den Posten nicht und werde wohl nie in seinem Ansehen steigen.
Aber nun existiert ja eine Lösung. Eine gruselige Lösung. Ich meine, wer kann von sich behaupten, seinen Vater getötet zu haben? Ist das etwas, womit man sich preisen kann? Wenn ja, wäre das wirklich krank. Ich meine, es kriecht bis in meine Knochen. Meine Beine werden bei dem Gedanken ganz weich und drohen einzuknicken. Allein der Gedanke- Pure Angst!

„Sie ist nur noch 16 Meter von uns entfernt, Milano", nuschelt Aiden und scrollt auf meinem Auto-Display herum.

„DA!", brüllt er und sofort trete ich geschockt auf die Bremse.

Wir werden nach vorne gedrückt und schon werde ich wieder sauer. Kann man das nicht sanfter sagen? Da. Ganz geschmeidig. Nicht DA. Wie oft durch sowas Unfälle entstanden sind! Aber an sowas denke ja nur ich. Ich bin zu lieb für diese Welt.

„Hier soll sie sein?"

Unglaubwürdig starre ich auf das Hotel, das wirklich heruntergekommen aussieht. Es sieht alt und fade von außen aus. Da will man sich die Inneneinrichtung nicht einmal vorstellen. Sofort holt mich die Gänsehaut ein, die sich selbst über meine Arschbacken ausbreitet.

„So sagt unser Gini", murmelt er leise und klopft auf das Navi.

„Wie gehen wir vor?", frage ich nun, da ich absolut nicht weiß, was jetzt überhaupt der Plan ist.

Bislang sind wir nur soweit gekommen, dass wir Filana aufsuchen und befragen wollen. Dass das so einfach war... nun damit hatten wir nicht gerechnet. Dementsprechend sitzen wir jetzt im Auto und starren verwundert das alte Hotel an und schweigen uns einfach an.

Aiden zieht seine Stirn kraus und macht die Denkerpose.
Ich hingegen... nun ja, ich sitze wie ein Sack herum und tippe nervös aufs Lenkrad. So ganz wach bin ich nämlich auch nicht mehr. Wann hatte ich zuletzt geschlafen? Während meinem Trip? Vermutlich. Danach kann ich mich an keine Schlafpause mehr erinnern.
Gott, wie ich aussehen muss!
Vorsichtig klappe ich den Spiegel herunter und bereue es sofort. Dunkle Augenringe und rote Augen blicken mich durch den Spiegel an. Bin ich das?
Da kann ich mir das Halloween Kostüm für demnächst sparen. Ganz ehrlich.

„So, Prince Charming. Wir gehen jetzt da rein."

Langsam schaue ich ihn an. Sehr langsam.

„Und dann?"

„Wir gehen jetzt einfach da rein. Danach schauen wir weiter", murmelt er knapp.

„Schritt für Schritt?", frage ich ihn ironisch und starre sein Seitenprofil an.

„Schritt für Schritt", bestätigt er auch noch.

Der macht doch Witze.

„Aiden, bei allem Respekt- schau uns erstmal an. Wie sehen wir aus? Denkst du, so werden wir ernst genommen? Nein, warte. Denkst du, so werden wir überhaupt reingelassen?"

Nun klappt auch er den Spiegel runter, schaut rein und klappt ihn sofort wieder nach oben.
Genervt seufzt er.

„Komm mit."

Gleichzeitig steigen wir aus und von da an folge ich ihm einfach. Was soll schon schief gehen?

„Guten Tag", werden wir begrüßt von der Empfangsdame, die uns nach einigen Sekunden etwas skeptisch anguckt.

Sag ich doch, aber keiner will hören.

„Ciao, ein Zimmer für zwei", flüstert Aiden.

Wieso flüstert er?

Selbst der Mann hinter der Theke schaut irritiert, nickt dann langsam und fragt: „Für wie lange, Sir?"

„Ach, soll nur eine Nacht für zwei Liebende werden", haucht er erotisch und streicht verführerisch über meinen nackten Arm.

Also- Moment. Ich muss mich sammeln.

„Vielen dank", zwinkert Aiden dem Mann zu, der genauso sprachlos wie ich, einfach die Schlüssel über die Theke schiebt.

Wir laufen, nein, rennen fast auf den Aufzug zu und verschwinden in ihm.

„War ich nicht gut?!", quietscht er wie ein kleines Kind und zeigt mir seine weißen Beißer.

„Du- Ich kann immer noch nicht sprechen. So sprachlos bin ich. Wirklich, Aiden. Ich bin entsetzt."

Er fängt laut an zu lachen und wirbelt mit dem Schlüssel herum.

„So stellen sie immerhin keine Fragen. Vergiss nicht, keiner soll erfahren, dass drei Mafia Mitglieder hier sind. Und dann noch ein Capo. Sie suchen nach ihr."

Naja, diese plausible Erklärung lockert den Schock in mir. Er ist gut.

„Ich hätte Schauspieler werden sollen", seufzt er und läuft gedankenverloren den Gang in der letzten Etage entlang, bis er an unserer Zimmertür ankommt.

Ich muss sagen, so schlecht sieht es hier gar nicht aus. Es ist alles in rot und Gold gehalten, weshalb das schon ziemlich edel aussieht. Man merkt allerdings einfach, dass es vom alten Schlag ist. Aber für eine Nacht soll es mir recht sein.

Wir öffnen die Türe, treten ein und schon fällt sie wieder ins Schloss.

„Jetzt erstmal eine heiße Dusche und ein Powernap machen. Das brauche ich jetzt", stöhnt Aiden, doch plötzlich schreit er schrill auf.

Er fällt bewusstlos um.

„Aiden!", schreie ich und will auf ihn zu rennen, doch irgendetwas packt mich am Kragen, drückt mich gegen die Wand und etwas spitzes dringt in meine Haut ein.

Nach einigen Sekunden schwindet meine Kraft immer und immer mehr, bis ich schwarze Punkte sehe und krachend zu Aiden auf den Boden falle.

Obsession- Die Zeit renntWhere stories live. Discover now