Capitolo sedici

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Milan Arsen

Cara Liana,

Ich habe es getan. Ich habe meine Chance auf meinen Posten aufgegeben. Ich hätte sie mitnehmen können, Massimos Leiche ebenfalls als Beweis, dass er tot ist. Ich hätte sie gegen ihren Willen zur Frau nehmen können- ich konnte es nicht. Zum ersten Mal empfinde ich Gefühle. Sie sind bedrückend und machen mir Angst, aber ich spüre sie laut und deutlich. Sie schreien und schlagen gegen meine innere Seele. Ich muss etwas ändern, aber ich habe Angst vor dieser Änderung.
Seit dem du weg bist, fehlt so vieles. Ich wollte dich beschützen, dich auf Händen tragen, aber du wurdest mir genommen, Liana. Es ist 4 Jahre her und doch reißt es mich noch immer in den Abgrund. Dich zu verlieren war meine größte Angst und sie ist wahr geworden. Ich weiß, du schaust von oben auf mich herab und sagst mir, dass ich mich nicht entschuldigen brauche und mich nicht schlecht zu fühlen habe, aber ich tu es dennoch.
Es tut mir so leid, cara Liana (liebe Liana).
Ich hätte an dem Tag da sein müssen. Du warst mein ein und alles und ich habe es versaut!
Nun sitze ich oft, wenn ich nicht weiter weiß, an deinem Grab und schreibe diese Briefe. Du wirst sie nie lesen können, doch ich hoffe, dass du dennoch weißt, was ich dir sagen möchte.
Ich werde dich stolz machen. Ich werde meinen Ängsten in die Augen schauen und versuchen das zu machen, was du immer von mir wolltest.
Filana Monti wird mir eine Hilfe sein. Für dich werde ich ein liebenswerter Mann werden.
Es wird Zeit in Anspruch nehmen, aber ich habe vollstes Vertrauen.
Gib mich nicht auf, meine Liebe.

Darauf, dass wir uns bald im Jenseits wiedersehen.

Milano Arsen

Ich falte das Blatt zusammen und lege es zu den anderen geschriebenen Blättern unter die Erde. Sie sind durchnässt, teilweise schon aufgeweicht und verschwommen, doch die Geste reicht mir.
Schweren Herzens stemme ich mich hoch und blicke noch ein letztes Mal, bevor ich wieder gehe, auf ihr Grab hinab.

Bis bald, Liana.

Ich laufe zurück zum Auto, lasse mir dabei jedoch reichlich Zeit. Ich genieße es, wie der Regen mich durchnässt. Der Matsch haftet an meinen teuren Lackschuhen und gibt klebende Geräusche von sich bei jedem weiteren Schritt.
Ich fühle mich in solchen Momenten frei. Frei von den Ketten, die mir mein Vater um den Hals legt.
Sie sind schwer und machen mir das Gehen fast unmöglich. Mein Gang fühlt sich schleppend und lahm an. Es macht mich müde.
Wieso kämpfe ich noch immer um die Gunst von Vater?
Diese Traditionen und Gesetze machen mich kaputt.
Wie gern wäre ich in einer normalen und sicheren Gegend aufgewachsen, wo man keine Waffen kennt, keine Rituale und keine Mordgesetze. In einer Gegend, wo nur das Gesetz des Staates gilt.

„Beeil dich!", schreit Jack durch den laut plätschernden Regen zu mir zu und winkt demonstrativ.

Nicht mal durch den Regen kann ich in Ruhe spazieren. Genervt nicke ich und sprinte zum Auto.
Nach einigen Sekunden komme ich an und schmeiße mich sofort ins Auto.

„Und?", fragt Jack wie immer.

Ich ignoriere ihn auf diese Frage hin- wie immer.

„Irgendwann musst du damit abschließen, Milan", sagt er leise und schaut auf die überflutete Straße.

„Ich kann nicht."

Ich brauche Zeit.

„Okay. Ich verstehe. Themenwechsel?"

Ich nicke.

„Dein Vater kommt gleich", nuschelt er und schaut schnell weg.

„Danke für so tolle Neuigkeiten, Jackyboy. Das muntert mich richtig auf."

Ich lächele ihn ironisch an und winke ihm romantisch zu.

„Danke", wiederhole ich und lasse sofort meine Mundwinkel sinken, als ich ein geparktes Auto hinter uns sehe.

„Seit wann steht das da?", frage ich sofort ernst und schnalle mich ab.

Ich entsichere meine Waffe und bin bereit die Tür zu öffnen. Jack hat es wohl nicht mitbekommen und geht selbst in Position. Bevor ich reagieren konnte, tritt eine kleine Person vor unsere Windschutzscheibe und klopft an.

„Was?!", ruft Jack entsetzt und schmeißt seine Pistole weg.

Seine Hand ruht auf seinem Herzen.
So eine Lusche.

„Hey! Was hast du vor?", ruft er mir zu, doch ich habe die Tür bereits geöffnet und laufe auf sie zu.

Ihre langen Haare werden sofort durchnässt vom Regen, doch es scheint ihr egal zu sein.

„Was tust du hier? Verfolgst du mich?", frage ich sie ruhig und versuche nicht frech herüber zu kommen.

Sie schaut mit großen Augen zu mir auf und nickt. Wenigstens ist sie ehrlich.

„Wen warst du besuchen?", fragt sie mich leise und unsicher.

„Wieso bist du hier?"

Zeig keine Gefühle. Sei desinteressiert.

„Ich- ich wollte mich bedanken", murmelt sie und fummelt an ihrem schwarzen Strickkleid herum.

„Kein Problem."

Ich drehe mich um und greife nach der Autotür, doch kleine zarte Finger Klammern sich um meinen strammen Unterarm.
Als sie merkt, dass sie mich berührt hat, zieht sie blitzschnell ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Enttäuscht schaue ich ihr in ihr Puppengesicht und erkenne, wieso sie hier ist.
Sie treiben Schuldgefühle hier her.

„Massimo war keiner von den guten. Du hast der Welt einen Gefallen getan", sage ich monoton, ziehe die Tür auf und setze mich ins Auto.

„Fahr los", befehle ich Jack mit bebender Stimme.

Ich sinke förmlich in den Sitz, als ich ihr tot trauriges Gesicht sehe. Völlig durchnässt läuft sie zitternd zurück zu ihrem Auto und steigt ebenfalls auf die Beifahrersitze ein.
Erleichternd atme ich aus. Sie war nicht alleine. Immerhin.

„Du bist ein Idiot", brummt Jack nebenan und fährt los.

„Du hättest sie einfach mitnehmen können. Dein Vater ist gleich da und du hast nichts erreicht!", fügt er verzweifelt hinzu.

„Ich weiß", hauche ich mit rauer Stimme und fahre mir durch meine dichten Locken.

Ich schaue hoffnungsvoll in den Rückspiegel, doch ihr Auto ist bereits weg.
Enttäuschung macht sich in mir breit.
Es tut mir leid, Liana.

Obsession- Die Zeit renntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt