Kapitel 56 - Der Hort

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Zur gleichen Zeit...


England, Westküste
Devonshire, Dartmoor
Dyowl's Hollow – Höhlen
5. November 1898, 23:14 Uhr


Überall war schwarze Finsternis. Sie war feucht, klamm und modrig. Sein Körper schmerzte von seinem Scheitel bis zu den Zehen. Überall einfach nur dumpfer, garstiger Schmerz. Er konnte nicht atmen und in seinem Körper steckten scharfe, spitze Steine.


Kyle stöhnte. Dann hustete er, röchelte und würgte die Erde wieder heraus, die er eingeatmet hatte. Ruckartig fuhr er hoch und wollte sich gleich wieder zusammenrollen und krümmen vor Pein. Er stieß mit dem Rücken gegen einen harten, unnachgiebigen Wiederstand und fiel sofort wieder auf die Brust. Vor seinen Augen flackerten unzählige Lichter und Kyle versuchte gegen die Besinnungslosigkeit anzukämpfen. Nur langsam sickerten die Erinnerungen wieder in seinen Geist. Das Ungeheuer hatte ihn erwischt und dann war der Boden einfach unter ihm zusammengebrochen.


Kyle blinzelte gegen die Dunkelheit an. Über ihm spürte er das Gewicht von heruntergefallener Erde, ein dicker Ast lag über seinem Kreuz und nur die Tatsache, dass er sich in dem schmalen Riss verklemmt hatte, bewahrte sein Rückgrat davor, von der Last des Stammes gebrochen zu werden. Überall um ihn herum fühlte er feuchte Erde, Steine und scharfe Kanten von Felsen. Er konnte kaum atmen. Bei dem Aufprall am Baum hatte er sich die Rippen geprellt, vielleicht sogar gebrochen. Kyle wollte nicht daran denken, dass jede weitere Bewegung ihm vielleicht seinen Rippenbogen in die Lunge graben, und sein Leiden gurgelnd an seinem eigenen Blut beenden könnte.


Unter gepressten Atemzügen griff er in die schummrige Dunkelheit. Über ihm klaffte der Riss mehrere Meter in die Höhe. Unter ihm war eine dicke Schickt von Laub und aufgewühlter Erde, die seinen Sturz wohl abgefangen hatte. Kyle tastete nach vorn und zischend zog er die linke Hand zurück, als er den stechenden Schmerz in den offenen Wunden fühlte. Der Preis der Blutmagie würde ihn noch lange, vielleicht bis an sein Lebensende verfolgen. Die Wunden heilten schlecht, manchmal auch gar nicht mehr. Jetzt presste er die Zähne zusammen, winkelte die Arme leicht an und zog sich robbend unter dem Stamm heraus. Überall klagten seine Muskeln und Knochen von dem Sturz. Kyle spürte das dumpfe Pochen und Brennen an zu vielen Stellen, um ihnen nachzufühlen. Sein Bein schmerzte, sobald er auftrat, sodass er zischend erst einmal nur humpeln konnte. Aber all die Schrammen und Kratzer waren nebensächlich.


Kyle kniff die Augen zusammen und legte den Kopf in den Nacken. Zwischen dem umgestürzten Baum an der Oberfläche und der herabgefallenen Erde konnte er ein paar Lücken erkennen, die vermutlich von Baumkronen herrührten, die weit über ihm lagen. Die Steinwände waren bröckelig und Kyle konnte nicht riskieren, daran heraufzuklettern und alles einzureißen. Stöhnend presste er sich die Hand auf die Rippen und humpelte einen Schritt, dann fuhr sein Blick umher. Die Dunkelheit der Nacht und das von Schutt und dem Baum abgefangene Licht ließen ihn wie blind voran stolpern. Dann öffnete sich plötzlich ein unförmiges Loch, groß genug um geduckt in dem kalten Stein hinein zu schlüpfen. „Bitte, bitte sei ein Ausweg.", dachte Kyle flehend, als er in die Dunkelheit stolperte. Er musste so schnell wie möglich zurück zu Dr. Archer.


Humpelnd tastete er sich an der Höhlenwand entlang. Durch den Regen des Vorabends war die Luft feucht und dick. Hier unten sollte es nach Erde und nassem Stein riechen. Stattdessen lag der Geruch von Kohle und Schwefel in der Luft. Seine Finger tasteten immer wieder über raue Steine, bewachsen mit Moos und irgendwelchen glitschigen Stellen, bei denen er auf keinen Fall darüber nachdenken wollte, was es war. Plötzlich stolperte er über eine Wurzel, fiel nach vorn und rollte den abfallenden Höhlenboden ein Stück herunter. Ruckartig riss es ihn in die Tiefe, als die Schwerkraft ihr Recht einforderte und er erneut fiel. Doch diesmal endete sein Sturz unerwartet schnell. Und hart.

Die Akte GrimmWhere stories live. Discover now