Kapitel 20 - Das Kreuz

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England, WestküsteDevonshire, DartmoorSt

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England, Westküste
Devonshire, Dartmoor
St. George, Friedhof zum Heiligen St. Georg
5. November 1898, 02:27 Uhr


»Was?«, fragte Kyle, als hätte er den Doktor eben nicht richtig verstanden. Nun stand er so nah an dem Loch, dass er in den Schattenschlund des Grabes herunterblicken konnte. Die niedrigen rauen Wände aus Erde waren durchbrochen von einigen wenigen Wurzeln, die sichtlich schon vor einigen Tagen mit einem Beil abgeschlagen worden waren. Dennoch reckten sich ein paar in das Loch, an dessen Grund der Sarg lag. Dort deutete der Doktor auf ein paar Stellen, die er von der Erde frei gewischt hatte.

»Der Deckel liegt nicht richtig auf. Ein paar Nägel sind verbogen oder fehlen sogar«, meinte jener trocken und warf einen kurzen Blick zu seinem Kollegen, ehe seine Finger unter den Mantel glitten. Metall glänzte im Mondlicht, als der Doktor mit einem hörbaren Klicken den Hahn eines Revolvers zurückzog. Die Trommel drehte sich, präsentierte die geladenen Kugeln darin, während die Finger des ehemaligen Soldaten sich fest und sicher um den Griff schlossen. Der Doktor atmete tief durch, als wollte auch er sich beruhigen, während Kyle angespannt die Schultern straffte. Nervös verlagerte Kyle seine Haltung, brachte sich ein wenig seitlich in Stellung, als wollte er eine Fechtposition einnehmen. Er umgriff seinen Stock wie einen Säbel, den er aus der Scheide ziehen wollte.

»Bist du bereit?«, raunte der Doktor.

'Bereit für was genau?', fragte sich Kyle, während er angespannt in das Grab starrte. Bereit, falls gleich eine unheilige Kreatur aus diesem Sarg herausspringen würde? Ein Untoter vielleicht, der schon versucht hatte, aus seiner Kiste zu gelangen? Bereit für den Anblick einer verwesten Leiche, stinkend, zerfressen und wusste Gott was noch? Nein, eigentlich war er absolut nicht bereit! Sein Herz überschlug sich im stolpernden Sprint.

»Ja. Natürlich bin ich bereit!«, log er stattdessen und bemühte sich, dabei selbstsicher und großspurig wie immer zu klingen. Doch seine Stimme war leiser, rauer als normalerweise und Kyle verfluchte sich dafür. Er war ein großartiger Magier! Er konnte es mit dem Abschaum auf Londons Straßen aufnehmen und blickte den Alpträumen der menschlichen Seele jeden Tag ins Gesicht. Kyle wusste, wie sich Abgründe anfühlten. Er trotzte diesem ganzen Wahnsinn, schuf daraus eine Klinge und er würde daran stärker werden. Gefahr und der Mut, den es abverlangte, war der verfluchte Preis dafür! Kyle wusste das, er sagte es sich immer wieder, wie ein Mantra. Und doch konnte es die Furcht nicht so leicht verdrängen, die trotzdem wie ein Gift durch seine Adern strömte.

Der Doktor hingegen schien bemerkenswert ruhig. Wie ein Fels in der Brandung, der sich vor den Wellen nicht fürchten musste. War das alles echt? Oder war dies schlicht seine Selbstbeherrschung? Wollte er vor ihm genauso wenig als furchtsamer Narr dastehen, wie Kyle umgekehrt? Womöglich aber war Dr. Archer schlicht mutiger als er. Jener war im Krieg gewesen. Was wusste Kyle, was dieser Mann dort für Dinge erlebt oder gesehen hatte. Vielleicht suchte er einfach nur ein Abenteuer. Warum sonst, beschäftigte sich ein Lord als Sucher, wenn nicht aus Langeweile?

Die Akte GrimmWhere stories live. Discover now