Kapitel 48 - Dyowl's Hollow

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England, Westküste
Devonshire, Dartmoor
Dyowl's Hollow - Wälder von Dartmoor
5. November 1898, 22:28 Uhr


Bens nächster Gedanke galt allein wieder einer vorteilhafteren Position für den Kampf und vor allem: Abstand zu gewinnen! Er wollte um jeden Preis fort von der Kreatur!


Mit harscher Gewalt versuchte er panisch an seinem Arm zu reißen und einen Schritt zurück zu machen, doch der Griff der dürren Finger lockerte sich nicht. Da bog dieser finstere Dämon sich plötzlich wieder fort. Er krümmte seinen Rücken in schallendem Lachen unnatürlich weit nach hinten, sodass Ben nur auf das widerliche Knacken wartete. Doch es blieb aus. Als besäße diese Kreatur überhaupt kein Rückgrat, dass brechen könnte. Stattdessen jedoch lockerte sich mit einem Mal der Griff, die Gestalt zerfaserte direkt vor seinen Augen und ein Blinzeln später, wallte schwarzer Nebel wieder viele Meter entfernt. Die Nebelfetzen legten sich über die braungelben Blätter am Boden und ließen es aussehen, als hauchte der Tod einen Atem der Pestilenz und Krankheit über sie hinweg. Dieser rollte von dem Mantel des finsteren Mannes wie Tautropfen. Der Mann in Schwarz stand dort, in einer schlichten Selbstverständlichkeit, als wäre er nie fortgegangen, während er neben dem Mädchen in die Hocke hinabsank.


Sich solchen Schrecken gegenüber zu sehen, ließ selbst die Beine des gestandenen Soldaten schwächer werden. Es war eine Sache, sich zitternd an einer Waffe fest zu klammern und zu fürchten, gleich von einer Kugel in den Tod gerissen zu werden. Doch niemals hatte er mit so etwas gerechnet! Ben empfand Überforderung und Unglaube. Etwas in ihm hoffte noch immer, einfach aufwachen zu können und festzustellen, dass es nichts als ein schrecklicher Alptraum gewesen war. Doch wie so oft blieben seine Gebete unerhört.


Mit steifen Fingern umklammerte er das bisschen Hoffnung, in Form des Revolvers, welches ihm geblieben war und starrte auf die Schreckensgestalt bei dem schlafenden Mädchen. Von dieser Entfernung sah es aus, als besäßen die Finger in ihrer abartigen Länge nicht zwei, sondern vier oder mehr Gelenke. Es erinnerte Ben an abscheuliche Angstträume und Bilder aus Büchern, in denen Künstler die finsteren Facetten ihres Geistes in Holzschnitte von dämonischen Kreaturen bannten.


Und das Mädchen lag dort im feuchten Laub wie auf einem Bett. Ihre kleine Brust hob und senkte sich immer wieder. Ihre Wimpern warfen kleine Schatten auf die geröteten Wangen und ihre Lippen waren ein klein wenig geöffnet. In aller Seelenruhe zupfte der Schwarze Mann mit der roten Feder ein Blatt aus den wilden Locken von braunrotem Haar und schnippte es hinfort.


»Sehen Sie nur, wie selig sie schläft.« säuselte die Stimme, unter deren schwarzem Samt sich scharfe Kanten verbargen.


»Kein Kind geht einfach einen Pakt ein.« knirschte der Doktor nun hervor, in dessen Geist sich langsam aber sicher die üble Gewissheit festigte, mit was er es hier zu tun hatte. All das Gerede von Verderbnis in den Herzen. Unschuld und Schuld.


Der finstere Mann lachte leise und dunkel, strich dem Kind eine kleine Strähne aus der Stirn und richtete sich wieder zu der vollen Größe dürren Gestalt auf. Der schwarze Qualm um seine Silhouette schlug andächtige Falten und waberte über den laubedeckten Boden. »Natürlich wusste der kleine Engel nicht, was sie da tat, als sie diesen kleinen Handel mit mir einging.« Etwas Begieriges aber hoch erfreutes, leuchtete in den Augen auf und er leckte sich abermals die Lippen, wie nach einem köstlichen Festmahl. Dann winkte er ab und lachte, als hätte er dem Menschlein einen amüsanten Witz erklärt, »Das ist zu meinem Glück für einen Pakt auch nicht notwendig.«

Die Akte GrimmWhere stories live. Discover now