Kapitel 37 - Der Schuss

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England, Westküste
Devonshire, Dartmoor
St. George, Skirrid Inn
5. November 1898, 18:34 Uhr


Donnergrollen und Blitzgewitter. Prasselnder Regen, das Summen der Fliegen, Geschrei und bebende Herzschläge. All das hätte laut genug sein können, das leise Klicken zu übertönen, dass sich jedoch just in dem Augenblick in die Höhe schwang, als die Welt beschloss für eine winzige Sekunde den Atem anzuhalten. Als hätte sich alles gegen die Sucher verschworen, selbst Wetter und Schicksal.


Verräterisch laut hallte das Klicken so in den Raum und in diesem Moment drehte sich Ellys Kopf plötzlich zur Seite. Ihre Augen erfassten den Doktor, dessen Finger die Waffe an seiner Seite umfasst und den Hahn zurückgezogen hatten.


Crowford war nicht schnell genug rechtzeitig zu interferieren, als Elly Ben mit einem gewaltigen Schlag zur Seite schleuderte. Er prallte gegen den Kleiderschrank der Andrews und durch die unmenschliche Kraft hinter der Wucht brach das Holz geräuschvoll unter ihm zusammen, als wäre er aus Papier. Ben spürte das Bersten der Schrankplatten. Wie seine Knochen knackten und ein schmerzhafter Schrei entrang sich seiner Kehle. Ein Bild fiel klirrend von der Wand zu Boden, während er in den Trümmern liegen blieb. Ächzend versuchte er, sich aufzurappeln. Der Schrank verlor seine restliche Stabilität, fiel in sich zusammen und gebrochenes Holz streute sich in das Chaos um den Leib des Soldaten.


Stöhnend lag er dort und kniff die Augen zusammen. Seine Schulter schmerzte entsetzlich, sobald er versuchte sie zu berühren wurde ihm schwindlig. Punkte flackerten vor seinen Augen, als er sich keuchend den Arm hielt und sich in dem Chaos aus gebrochenen Brettern und Kleidern zur Seite rollte. Gott, sie hätte ihm beinahe alle Knochen im Körper gebrochen! Elly war übermenschlich stark und ihnen körperlich überlegen. »Kyle... bleib weg von ihr!« presste er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Sie durften nicht in ihre Reichweite kommen!


Bens Ohren klingelten und summten. Ihm war schwindlig. Seine Sinne und Gedanken waren wirr und wollten ihm nicht gehorchen. Liebeszauber... wie konnte er sich davon einspinnen lassen?! Wie konnte er sich wehren? »Schluss damit!« knirschte der Soldat zwischen zusammengedrückten Zähnen hervor. Holz fiel klappernd zu Boden, Splitter rutschten von seiner Schulter. Noch immer wollte er nicht, dass ihr Schaden zugefügt wurde. In seiner Brust war unendlich viel Mitleid für das Mädchen. Obwohl dort der tote Körper baumelte, ein Leichnam im Ehebett lag. Obwohl sie Unaussprechliches getan hatte. Er wollte das sie glücklich war. Er fühlte sich, als wäre sein Verstand entzweigerissen. Lag es an ihrem Zauber?


»Hören Sie auf! Ergeben Sie sich Mrs. Oldren! Wenn Sie niemanden umgebracht haben, dann haben sie auch nichts zu befürchten! Aber Sie müssen mit uns zusammenarbeiten und sich beruhigen!« stieß er aus und stützte sich mit dem unversehrten Arm auf seinem eigenen Knie ab. Es kostete ihn zu viel Kraft, sich aufzurichten. Schmerz pochte wie ein eigener Herzschlag in seinen Muskeln.


»Ihr Lügner!« brüllte Elly indes und ihre Augen erschienen in der matten Dunkelheit beinahe schwarz. Sie schrie so laut und außer sich, dass Speichel von ihren Lippen sprang. »Sie wollen mich nur fortbringen! Sie wollen mich einsperren, so wie SIE!« alles an ihrer Haltung veränderte sich, dann sprach sie plötzlich eine andere Sprache. Das fließende Englisch verlor sich in fremden Wörtern, ähnlich an manchen Stellen und Kyle erinnerte es an die deutschen Worte der Mrs. Jäger. Da zeigten Ellys Finger plötzlich auf Ben. »Aber ich lasse mich nicht einsperren! Ich gehe hier nicht weg!«

Die Akte GrimmWhere stories live. Discover now