Kapitel 11 - Die Nacht

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England, WestküsteDevonshire, DartmoorSt

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England, Westküste
Devonshire, Dartmoor
St. George, Skirrid Inn
4. November 1898, 03:04 Uhr


Dr. Benjamin Archer schlief unruhig. Er drehte sich von einer auf die andere Seite, die Bettdecke schlug wilde Falten um seine Beine und war durch seine Unrast bereits bis zu seiner Hüfte heruntergerutscht. Seit er im Krieg gewesen und aus dem Sudan zurückgekehrt war, träumte er oft schlecht. Traumatische Folgen nach dem Krieg waren keine Seltenheit, wie er als Arzt zu gut wusste, dennoch nagte es an ihm. Und dabei war er im Vergleich zu anderen armen Seelen noch glimpflich davongekommen. Manchmal quälte ihn lediglich ein wenig erholsamer Schlaf und am nächsten Morgen wusste er nicht einmal mehr, was für Träume ihm diese unruhige Nacht beschert hatten.

In anderen Nächten war es schlimmer. Dann träumte er wieder von den endlosen Hügeln aus Sand. Staub und Trostlosigkeit, so weit das Auge reichte. Von den Dünen oder den Sandstürmen, die Menschen leicht verschlingen konnten und den Schüssen in der eisigen Nacht. In den schlimmsten Nächten träumte er von dem Tag, an dem er starb und dem Klang schlagender Schwingen. Der Krieg hatte seine Spuren auf ihm hinterlassen. Narbengeflechte, manche sichtbar, andere nicht. Heute jedoch waren es keine donnernden Schüsse oder das Gefühl von Vogelklauen auf seiner Brust, die ihm den Schlaf raubten. Auch nicht das Gefühl, inmitten von Sand zu ersticken. Heute hielten ihn die Ereignisse im Moor und beim Ritual wach.

Es stimmte: Er hatte Mr. Crowford für einen arroganten, selbstgefälligen Blender gehalten. Für einen jener Gentlemen, die viel auf sich hielten und glaubten, nur weil sie in den Taschen mehr Geld trugen als andere, wären sie etwas Besseres. Er kam ihm vor wie ein Hahn, der das bunte Gefieder aufplusterte und herumstolzierte, als gehörte ihm die Welt. Er erinnerte ihn an seinen Vater. Also alles in allem die Art Mann, mit denen er nicht zurechtkam und noch nie zurechtgekommen war.

Als der Gockel mit dreierlei Gepäckstücken am Bahnhof stand und die Nase kräuselte, weil sein hübsches Köfferchen vielleicht Dellen oder Schrammen bekommen könnte, wollte Ben mit den Augen rollen. Gleichzeitig wusste er jedoch insgeheim, dass er einst nicht anders gewesen war. Auch er war mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen, die Taschen gefüllt mit seines Vaters Geld und einem Titel, der ihm Tür und Tor öffnete. Überall erhielt er Sonderbehandlungen. Er bekam, was er wollte und wann er es wollte, ohne dass er sich Gedanken um etwas wie Kosten oder Wert gemacht hätte.

Doch dann hatte der Vater seines besten Freundes und Studienkollegen, Lord Richmond, seinen verwöhnten Sohn eine 'Lektion über Verantwortung und den Wert des Lebens' erteilen wollen. Deshalb schickte er ihn zu einem stationierten Regiment nach Ägypten. Aufgrund des Einflusses des Lords, an einen ruhigen, ungefährlichen Flecken fern der brodelnden Kriegsschauplätze. Doch Ben konnte natürlich nicht hinnehmen, dass Percy ohne ihn ging. Ben war töricht und weltfremd gewesen. Heute wusste er es besser. Heroische Gedanken und patriotische, leere Sprüche verloren ihren Wert zwischen Tod und schlaflosen Nächten. Sein Kriegsdienst hatte ihn verändert und einen neuen Menschen aus ihm gemacht. Percy hatte dieses Glück nicht, denn er kehrte nicht nach Hause zurück. Es war tatsächlich keine Kugel, die ihn aus dem Leben riss, dafür eine Krankheit. Keine noch so clevere Planung, kein sicheres Eck fern von Explosionen konnte den Tod betrügen. Doch der Verlust seines Kindheitsfreundes befeuerte Bens Wunsch, Arzt zu werden und andere vor solchen Verhängnissen zu bewahren.

Die Akte GrimmWhere stories live. Discover now