Kapitel 23 - Der Sturz

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England, WestküsteDevonshire, DartmoorWälder von Dartmoor5

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England, Westküste
Devonshire, Dartmoor
Wälder von Dartmoor
5. November 1898, 02:56 Uhr


Kyle blinzelte. Große Augen schlossen und öffneten sich wieder und Wind streichelte sein Gefieder. Unter ihm wirkten die Spitzen der zahllosen Tannen wie Speerspitzen aus Obsidian, die sich dem Himmel entgegenstreckten. Als wollten sie einen Kampf gegen den Nachthimmel führen, standen sie dicht an dicht wie treue Soldaten Königin Victorias und verbargen zu seinem Ärger den Blick auf den Waldboden. Der Himmel war relativ klar, die Luftströmung nur mäßig, aber in größerer Höhe schneidend kalt. Er widerstand dem Drang, sich zu schütteln, stattdessen streckte er die langen Schwungfedern ein wenig mehr und fühlte dem Windfluss nach, um sich in einer Schleife etwas tiefer zu schrauben. Wenige Sekunden zuvor hatte er Bewegung im Unterholz wahrgenommen.

Enttäuscht hatte er feststellen müssen, dass es Dorfbewohner waren, die sich mit Laternen ihren Weg durch den Wald bahnten. Den Doktor konnte er zwar nicht ausmachen; verschwanden die Männer zu schnell wieder in der Dunkelheit des Waldes, doch das war fürs Erste auch nicht wichtig. So nahm er mit kräftigen Flügelschlägen erneut an Höhe auf und spähte konzentriert mit den scharfen Augen auf die Wipfel.

Wer auch immer den Blick an diesem Abend in den Himmel richten mochte, würde dort jedoch nicht mehr als die unscheinbare Gestalt einer Schleiereule erkennen. Kyle besaß viele Talente, sein Repertoire an Zaubersprüchen war für einen Rekruten der Sucher beachtlich und er war stolz darauf. Doch wenig beherrschte er so gut wie das Gestaltwandeln. So mühselig diese Zauberkunst auch war, sie verschaffte ihm doch immer wieder Vorteile und außergewöhnliche Blickwinkel. So auch in dieser Nacht.

In seinen Augen leuchtete die Welt, sie glühte beinahe schon. Weit heller traten die Farben von Blau und Grün hervor und ließen sonst unscheinbare Kontraste für ihn hervorstechen. Er konnte zwar nicht so viel auf einmal sehen, dafür jedoch weitaus klarer. Das scharfe Gehör nahm zahlreiches Stapfen durch Unterholz wahr, welches sich zu seinem Ärger über subtilere Geräusche erhob.

Doch dann... stach etwas hervor. Ein Geräusch, das unter den anderen heller, eindringlicher wirkte. Konnte es erneut ein Schrei oder ein Rufen gewesen sein? Er drehte ab, zog über die flackernden kleinen Punkte unter den gestreckten Fingern nadliger Zweige hinweg. Fort von den einsamen Pfaden und Straßen, die sich wie erdige Flüsse zwischen Bäumen hervorhoben, ein Stück Richtung Westen, wo der Wald tiefer wurde. Dann fiel es ihm erneut auf: Stille. War er in der Nähe der Stelle, an der sie die Tiere gefunden hatten?

Der Gedanke war ihm kaum in den Kopf getaumelt, da griff mit einem Mal etwas fest um seine Brust. Kyle spürte sein Herz einen Moment stocken und von dem unerwarteten Gefühl erfasst, wankte er in der Luft scharf zur Seite. Er verlor ein gutes Stück an Höhe, dann fasste er sich wieder und seine Schwingen griffen erneut in den Wind. Aufgeregt klopfte es in seiner Brust, gleichzeitig fühlte es sich an, als legte sich eine Faust unnachgiebig um den vergleichsweise kleinen Körper. Kyle wankte, weil die Sicht vor seinen Augen verschwamm. Das Flügelschlagen fiel ihm plötzlich schwerer und verwirrt versuchte er den Ursprung auszumachen. Holpernd trommelte sein Herz schneller. Der Takt zog an, dann fiel es ihm schwerer zu atmen.

Die Akte GrimmWhere stories live. Discover now