Kapitel 47 - Der Teufel

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England, Westküste
Devonshire, Dartmoor
Unbekannter Ort - Irgendwo im Wald
5. November 1898, 22:26 Uhr


»Werter Doktor, über die Jahrhunderte wurden mir unzählige Namen gegeben, keinen davon betrachte ich als meinen eigenen. Die Israeliten in Ägypten nannten mich während ihrer Gefangenschaft Balam. Als die Nemesier gen Irland segelten und ich mich hier niederließ, wurde ich bekannt als Goemagot. Später nannte man mich die Hexe von Vixentor. Die Schlange von König Teudar, der Schwarze Reiter von Poundstock, der Teufel von Brantor Church, Cutty-Dyer und schließlich der Schwarze Hund von Richard Cabell. Doch mein liebster Name und der, der mein Wesen am besten beschreibt, ist der Drache von Manaton.« während er sprach schwoll seine Stimme an. Sie wurde immer volltönender und die Worte betonter. Er breitete sogar die Arme aus, als wollte er sich vor Benjamin in seiner vollen Erscheinung präsentieren. Der Ausdruck in seinen Zügen, voller Erwartung und blitzenden Augen, gehobenen Brauen und gerecktem Kinn ließ vermuten, dass er eine Verbeugung oder schlotternde Knie erwartete.


Benjamin nahm die Aura von Bedrohung wahr, die jedes kleinere Lebewesen mit weniger Selbstkontrolle wohl in die Flucht geschlagen hätte. Vorausgesetzt natürlich, sie erlitten nicht sofort einen Herzinfarkt vor bodenloser Furcht. Doch Ben verstand nicht. Und so runzelte er nur die Stirn.


»Was?«


Sowas wie Drachen gab es nicht. Was dieser Mann auch sein mochte, er war ohne jeden Zweifel vollkommen wahnsinnig. Zu des Doktors großer Besorgnis, war derjenige, der sich mit solchen Gestalten auskannte und die Wahrheit hinter all der Prahlerei hätte erahnen können, gerade nicht hier. Und das versetzte ihm einen neuen Anfall von Bangen, als stieße jemand mit einem Messer gegen Kristall.


Auf Bens ahnungslose Frage, sah jener die Veränderung in der Miene des arroganten Mannes. Die Züge entglitten ihm, verzerrten sich dann für den Bruchteil einer Sekunde zu einer fassungslosen und dann zu einer wutentbrannten Fratze. Das Mienenspiel das die Gestalt darbot, war reinstes Alptraummaterial. Er zog die Lippen zurück und legte die unmenschlich langen und geschliffenen Zahnreihen blank. Das geschwärzte Zahnfleisch schimmerte feucht im Glimmen der roten Feder und die spitzen Zähne glänzten gierig im Mondlicht. Ben war es, als starrte er erneut direkt in das Angesicht einer fletschenden Bestie.


Dann stieß die Kreatur ein grollendes Fauchen aus, machte einen Schritt auf den Sucher zu und Ben wich unweigerlich zurück. Er stolperte beinahe über einen größeren Ast, fing sich jedoch schnell wieder und die Kreatur blieb unvermittelt stehen. Sie betrachtete ihn eingehend, musterte Ben bemessend und schien die aufschäumende Mordlust wieder in den Griff zu bekommen.


Der ehemalige Soldat biss indes die Zähne zusammen und fühlte den Griff seines Revolvers unter dem festen Druck seiner Finger. Es war das Einzige, dass ihn beruhigte, ihm Standfestigkeit und Selbstsicherheit in dieser Situation gab. Jede raue Kante, wo das Holz in Metall überging. Jede Gravur, und die kleinsten Schrauben, die nun zweifellos ihre Zeichnung auf seiner Haut hinterließen. Nur mit der Waffe konnte er sein Leben zumindest verteidigen. Solange er eine Waffe hatte, besaß er eine Chance. Doch ihm war durchaus bewusst, dass er wohl mehr als einen Revolver brauchen würde. Verdammt, WO blieb Crowford nur?!


Die finsteren Augen mit den Abgründen von brennenden Kohlegruben betrachteten Benjamin wie ein ungezogenes Schaf, das aufgrund seines mangelnden Intellekts in die falsche Richtung gelaufen war. Als wäre es an ihm, diesen leidlichen Fehler wie ein Hirtenhund zu korrigieren, setzte er in einem nun durch und durch altklugen Tonfall an.

Die Akte GrimmOù les histoires vivent. Découvrez maintenant