Kapitel 30 - Der Teich

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England, Westküste
Devonshire, Dartmoor
St. George, Äußere Felder
5. November 1898, 11:57 Uhr


Da weder Dr. Archer noch Kyle wussten, wo die Familie Jäger wohnte, mussten sie sich bei den wenigen Dorfbewohnern weiterhelfen lassen. Ihnen fiel durchaus auf, welcher Argwohn sich in der Haltung und Mimik der angesprochenen Dame zeigte, bei der sie sich nach dem Weg erkundigt hatten. Scheinbar genoss die Familie Jäger wirklich keinen sonderlich guten Ruf. Ein schmaler Pfad, nicht mehr als platt getretenes Gras und Erde, führte vom Dorf fort und in Richtung des Waldes.


Das Gras stand hier ungemäht sehr hoch und reichte bis an die Waden der Sucher. Lange wildgewachsene Halme streuten dadurch feuchte Tropfen Tau oder Regenwasser auf ihre Hosen und Schuhe, sofort nachdem sie die ersten Schritte auf dem Weg getan hatten. Nur wenige spätblühende Blumen setzten ein paar farbige Flecken in das Meer aus grün und braun.


»Der Wolf gestern, war auf keinen Fall ein normales Tier.« Meinte Kyle zu Dr. Archer, »Es gibt Zauberformeln, welche die Physis eines Körpers verstärken können. Aber das Vieh hat taktisch angegriffen und die Opfer speziell ausgewählt. Es gibt ohne jeden Zweifel jemanden, der das Monster kontrolliert hat.« Da war Kyle sich absolut sicher. Just in diesem Moment streckte Dr. Archer plötzlich den Arm aus und Kyle lief im Schritt dagegen, ehe er fragend zu ihm sah. Der Arzt hatte den Hals gereckt, sein Blick streifte auf der Suche nach etwas über die sich im Wind wiegenden Halme. 


»Hast du das gehört?" fragte er und drehte die Ohren fort vom raunenden Wind.


»Nein? Was?«


Als wäre er ein Hund, der eine Fährte aufgenommen hatte, bog Dr. Archer auf einmal vom Pfad ab ohne ihm zu antworten und schlug sich in das Gras der Wiese. Zunächst noch zögerlich, dann immer schneller begann er sich durch das Meer aus Grün zu schlagen. Sein Körper hinterließ eine Schneise im Gras, in die Kyle treten konnte, um leichter voran zu kommen. Zunächst verstand er nicht, was den Arzt so plötzlich losrennen ließ, als hätte ihn etwas gestochen. Doch dann hörte er es auch. Plätschern wie von Wasser, Gurgeln und erstickte Laute.


Dann wurde es still und das Geräusch erstarb, noch während sie sich den Weg durch die Wiese bahnten.


»Ich habe ein Rufen gehört!« meinte der Doktor und wischte einen Ast beiseite, der Kyle gegen die Brust klatschte. Dr. Archer musste gute Ohren haben, denn er hätte es aus der Entfernung nicht wahrgenommen. Vielleicht auch, weil er selbst zu sehr beschäftigt gewesen war, an den verfluchten Wolf zu denken. So durchquerten sie eine dünne Reihe an Buschwerk und Dickicht, durchsetzt mit ein paar dünnen Stämmen karger Buchen und standen unerwartet vor einem mittelgroßen Teich.


Irgendwo sprang erschrocken ein Frosch hinfort, sein empörtes Quaken verlor sich zwischen ihren rauschenden Schritten über den raschelnden Waldboden. Das Wasser des Teiches war bräunlich, vor allem am Rand wirkte er schmutzig und aufgewühlt. Wellen sorgten für Unruhe auf der sonst glatten oder gar spiegelnden Fläche. 


Dicke Flechten, Reihen von Farngewächsen und Laub umrahmten das bräunliche Gewässer. Größere Steine lagen um den sonst steil abfallenden Rand des Weihers verteilt, umschlossen von Blättern und Laub die auch einen Teil der Wasseroberfläche bedeckten und wie kleine Boote darauf schwammen. Eine alte Linde reckte ihre Zweige über die ovale Form hinfort und hüllte die Szene in einen dämmrigen Schatten. Einige Steine ragten aus dem Wasser hervor, verklebt mit Algen und dicht bewachsenem feuchten Moos. Ein paar große Blätter von Wasserpflanzen, vielleicht Seerosen, bedeckten die ganze Fläche mit kleinen Schirmen, an denen sich die dahingleitenden Schiffchen aus Blattwerk verfangen konnten. 

Die Akte GrimmWhere stories live. Discover now