Kapitel 13 - Die Gerechtigkeit I

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England, WestküsteDevonshire, DartmoorSt

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England, Westküste
Devonshire, Dartmoor
St. George, Rathaus
4. November 1898, 12:15 Uhr


Der Constable ließ nicht mehr lange auf sich warten. Mit einem freundlichen Nicken und einem höflichen Lächeln begrüßte er die beiden Gäste aus London und begleitete sie dann auf direktem Weg zum Amtsgebäude. Auf dem Marktplatz herrschte heute reges Treiben. Um den Brunnen spielten ein paar Kinder, jagten einander im Kreis und ein Hund rannte bellend an ihnen vorüber. In den Häusern des kreisrunden Marktplatzes hatten die wenigen Läden ihre Pforten geöffnet. Das Dorf war winzig und viel war hier nicht zu finden, doch das Nötigste schien vor Ort zu sein: Einen Schuster, einen Schneider, einen kleinen Krämerladen und einen Schmied konnten sie auf ihrem Weg zum Rathaus ausmachen.

Constable Baltimore sah heute ordentlicher aus als am Vortag. Heute trug er ordnungsgemäß seinen Helm, obwohl ihm das Fehlen desselben hier auf dem Land sicherlich keiner zum Vorwurf gemacht hätte. Seine Uniform war sauber und sorgsam gepflegt, obwohl sie bereits ein wenig abgetragen wirkte. Lediglich am unteren Saum des Mantels und seiner Hose fanden sich Dreckspritzer von seinem Weg zur Taverne. Anders als die Sucher, wirkte er ausgeruht und höchst motiviert, denn er verschränkte die Arme hinter dem Rücken, schlenderte neben den beiden Herrschaften her und befragte sie über Dies und Das. Er wollte wissen, ob sie gut geschlafen und Marys hervorragenden Eintopf probiert hatten, wie lange sie bleiben wollten und woher sie Lord Sunderbrandy kannten. Zur Beantwortung dieser Frage jedoch kamen sie gar nicht, denn nach nur wenigen Biegungen hatten sie bereits das kleine Rathaus erreicht.

Gegen eine Großstadt wie London war natürlich alles vergleichsweise klein. Das Bürgerhaus war ein alter Fachwerkbau, um dessen Fenster sich die hölzernen Balken abstützten. Baltimore ging voran und betrat vor Ihnen den Vorraum der Amtsstube, in dem sie ein junger Gehilfe an einem kleinen Schreibtisch empfing. Er sah nicht unbedingt schwer beschäftigt aus und verbarg unter ein paar Papieren mehr schlecht als recht die verräterische Wölbung eines Buches.

Der junge Bursche mit glatt-gekämmtem blondem Haar führte sie schließlich in ein Nebenzimmer, in dem sie der Bürgermeister schon erwartete. Der in die Jahre gekommene Holzboden knarzte unter dem Gewicht der Herren, als sie den Raum betraten, der in etwa an die Größe der Schankstube herankam. Ein ausladender Schreibtisch nahm einen großen Teil des Raumes ein, während sich hinter jenem ein wuchtiges Regal erhob. In den zahlreichen Fächern lagen bereits vergilbte, sowie helle weiße Papierrollen in allen Größen. Manche mit geflochtenen Bändern zusammengebunden, einige sogar in schützenden Hüllen aus festem Leder. Wieder andere waren weniger sorgsam beiseitegelegt. Bücher so groß, dass es fast zwei Personen brauchte, um sie zu heben, stapelten sich in einem Seitenregal übereinander. 

Bunte Lesezeichen und Siegel hingen wie kleine Schwänzchen zwischen den Seiten heraus, gefangen zwischen fingerdicken Lederdeckeln. Buchrücken mit silbernen Lettern, manche kunstvoll geschwungen, andere grob und hart reihten sich ein paar Regalbretter weiter oben aneinander. Es roch nach Tinte, nach altem Papier, Pergament und Staub. In einer Ecke am anderen Ende prasselte ein Feuer knisternd im Ofen, erwärmte die Stube und sperrte die Kühle des Herbstes vor dem Fenster aus. Doch neben dem Feuer fiel zu dieser Tageszeit nur Licht durch die kleinen Fenster in den Raum. Im ganzen Haus fände sich keine Kerze, denn zu groß war die Gefahr eines Feuers. So standen auf dem Schreibtisch, hinter gläsernen Schirmen gehaltene Kerzenstummel, in den unten runden und nach oben hin schmaleren Glaslampen.

Die Akte GrimmWhere stories live. Discover now