Kapitel 55 - Das Gebet

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England, Westküste
Devonshire, Dartmoor
Dyowl's Hollow – Wälder von Dartmoor
5. November 1898, 23:14 Uhr


Das Blut rauschte in Bens Ohren und übertönte seine eigenen Gedanken. Er atmete heftig und schnell. Sein Brusthorb hob sich im Rhythmus seiner wilden Herzschläge wie ein Laken, unter dem panische Vögel gegen die Barriere stießen und doch nicht zu entkommen vermochten. Mit beiden Händen umklammerte er den Revolver in seinen Händen so fest, dass ihm die Finger weh taten.


Das Ungeheuer stapfte dem fortgeschleuderten Zauberer hinterher und Bens Gedanken überschlugen sich. Er wollte losrennen, doch dann blieb er stehen wie vom Blitz gerührt.


„Wenn es einen Zeitpunkt für deine Gebete gibt dann JETZT!" dröhnte Kyles Stimme in seinen Ohren.


Wenn er jetzt kopflos losrannte, dann würden sie beide sterben. Kyle hatte ihm nicht grundlos Zeit verschafft. Er glaubte an ihn. Dieser arrogante Magier mit all seinem Können, hatte IHN hoffnungsvoll angesehen! Crowford musste also wirklich überzeugt davon sein, dass das, was in ihm steckte, ihnen helfen würde! Seine Gebete und Bitten. Er durfte das nicht einfach wegwerfen. Auch wenn alles in ihm danach schrie, dem Kameraden zu folgen, weil der Drang ihn zu beschützen und vielleicht hilflos zusehen zu müssen, wie dieses Monster Crowford erledigte, ihn beinahe wahnsinnig machte. Aber er MUSSTE diese Hoffnung nutzen, so klein sie auch erscheinen mochte. Denn es war ihre einzige.


Bens Blick fiel herunter auf seine Finger, in denen das Metall seines Revolvers glänzte. Der Griff mit dem hölzernen Einsatz und dem Emblem seiner Familie starrte ihm entgegen.


Hinter der Senke, donnerten die Schritte der Kreatur und Pranken drückten einen Baum grob zur Seite, dessen Stamm unter dem Druck barst. Die Baumkrone der Tanne knickte zur Seite und gesellte sich rauschend zu dem Gehölz auf dem Waldboden. Durch die Gewalt der Kreatur knickten und brachen immer mehr Bäume zur Seite und legten diesen von der Natur überwachsenen Ort nun zu einer Lichtung brach. Der Himmel über ihnen war von Wolkenschwaden überzogen, die sich immer wieder vor den Mond schoben und dann vom Wind weitergetrieben wurden. Jetzt sorgte das matte Mondlicht für ein wenig mehr Sicht, wo sich das schummrige Licht nicht in Nebel oder schwarzem Rauch verhedderte.


Die geschlitzten Pupillen zahlreicher glühender Augen glitten über den Waldboden, suchten nach dem verfluchten Zauberer, um ihm diesmal ein für allemal den Gar aus zu machen. Doch zum Ärger und Zorn des Dämons, konnte er ihn nicht entdecken. Eine große Eiche war zusammengebrochen, bog sich über einem schwarzen Riss im Boden der in die Tiefe führte. Als er sich näherte ächzte die Erde unter seinem Gewicht und die Bestie knurrte, sodass die Dunkelheit der Nacht unter seinem Groll zu vibrieren begann. Doch dann sickerte leises Gemurmel in die Luft und tränkte sie mit etwas Anderem.
Der lange Hals der Kreatur schwang um, drehte sich und die brennenden Augen in dem großen Schädel hafteten sich an den Ursprung dieses widerlichen Geräusches, dass ihm mit feinen Nadeln in den Kopf stieß: der Doktor.


Ben stand noch immer genau dort, wo Crowford ihn zurückgelassen hatte. Zwischen umgestürzten Bäumen, entwurzeltem Gestrüpp und Felsbrocken inmitten der blattüberfluteten Walderde und umgeben von wabernden Nebelschwaden. Er umklammerte die Waffe, deren Lauf an seiner Stirn lag. Die Augen hatte er zusammengepresst und er... betete. Zu Gott, welchem auch immer. Demjenigen oder der Entität dieser Welt, die ihm beigestanden hatte und deren Ursprung, Namen noch Intension er kannte. Dennoch flehte und betete er um Beistand. Er flehte mit allem was ihm einfiel, aus dem tiefsten Grunde seiner Seele.

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