Der Fund

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Nachdem wir gegessen hatten, rutschte ich ganz nah an Jake heran. Lässig legte er seinen Arm um mich.

„Zeigst du mir was du noch gefunden hast?"

Nickend gab er mir einen sanften Kuss auf die Schläfe.


Er klappte sichtlich nervös den Bildschirm seines Laptops auf und der junge Richy sah uns mit breitem grinsen, aus einer Nahaufnahme heraus an. Im Hintergrund erkannte man einen See, vermutlich der Schwarzwassersee.


„Momentmal...das ist doch...", ich stand auf und ging zu der Fotocollage an meiner Wand und nahm eins der Fotos ab.

„Jake sieh mal, der See sieht genauso aus wie auf diesem Urlaubsfoto."

„Kann schonmal vorkommen, dass ein See dem anderen ähnelt."


Ich hatte das Gefühl, als wenn Jake mir etwas verschweigen wollte. Ich hielt das Foto direkt neben den Bildschirm des Laptops und verglich die Bilder miteinander.

„Das ist der selbe See, Jake, das musst du doch sehen. Ich erinnere mich leider nicht mehr an diesen Urlaub, da muss ich etwa neun oder zehn Jahre alt gewesen sein. Meine Eltern erzählten mir oft wie schön der Urlaub gewesen ist und wie viel Spaß ich dort gehabt habe. Den Namen des Ortes haben sie nie erwähnt. Denkst du wir waren zum Urlaub in Duskwood am Schwarzwassersee?", mich durchkam ein merkwürdiges Gefühl.

„Jake? Da fehlt jemand auf dem Bild. Richy hat da doch seinen Arm um jemanden gelegt."

Er klickte zweimal auf das Bild und es tauchte im Vollbild auf. Mir wurde flau im Magen und ich verstand weshalb Jake sich so komisch verhalten hatte, nachdem er meine Fotocollage das erste Mal betrachtete.


„Lea? Sag doch bitte etwas!"

„Das bin ich auf dem Foto! Jake, wie kann das sein? Denkst du Richy und ich haben uns im Urlaub kennengelernt? Warum haben wir uns nicht wiedererkannt?"


Auf dem Foto hatte Richy seinen Arm um die Schulter eines kleinen braunhaarigen Mädchen gelegt und beide zeigten ein breites, erfülltes Grinsen in die Kamera. Es war so paradox. Das Mädchen war eindeutig ich und doch war ich mir sicher, dass das nicht sein könnte, ich müsste mich doch an irgendetwas erinnern. Hatten wir uns als Kinder vielleicht im Urlaub kennengelernt? War es einfach nur zu lange her, zu unspektakulär, sodass wir uns beide nicht wieder erkannten? Es schien als wurde das Foto am selben Tag aufgenommen, wie das Bild das ich in meiner Hand hielt. Auf beiden Bildern trug ich mein grünes T-Shirt mit Blumenprint und die selben geflochtenen Zöpfe. Bestand also doch in irgendeiner Form eine Verbindung zwischen mir und der Gruppe?


In meinem Kopf drehte sich alles, ich bekam Gänsehaut und fing an zu zittern, ich lehnte mich zurück in die Sofakissen und schloss für eine Sekunde meine Augen. Mir wurde schlecht. Kotzübel. Ich sprang auf und stürzte ins Bad. Krallte mich ans Waschbecken. Dachte ich müsste mich übergeben. Ich drehte den Wasserhahn auf und nahm einen Schluck. Mir wurde kurz schwarz vor Augen. Nervös durchsuchte ich meinen Spiegelschrank. Irgendwo musste sie doch sein. Ich nahm hektisch meinen Zahnputzbecher, Shampoo- und Deoflaschen heraus und ließ alles was sich mir auf meiner Suche in den Weg stellte ins Waschbecken fallen. Vielleicht hatte ich sie unbemerkt nach hinten gestellt.


„Lea?"


Ichreagierte nicht.


„Lea! Suchst du die hier?"

Ich zuckte zusammen, hatte ihn gar nicht bemerkt.

Jake stand mit verschränkten Armen im Türrahmen gelehnt und deutete mit seinem Blick auf ein Tablettendöschen in seiner Hand. Als ich danach greifen wollte, nahm er es weg.

„Jake, ich brauche die Tabletten.", ich versuchte sie ihm zu entreißen.

„Nein Lea!", er sprach weiterhin im ruhigen Ton zu mir.

„Doch, das ist kein Spaß!", fuhr ich ihn an.

„Sehe ich aus, als würde ich Witze machen? Wie lange nimmst du diese Tabletten schon?", er redete noch immer in dem selben ruhigen Ton wie zuvor.

„Das geht dich gar nichts an! Gib sie sofort her!, schrie ich ihn an.

„Lea, vermutlich sind diese Tabletten der Grund dafür, dass du dich nicht erinnerst.", sagte er mit einfühlsamer Stimme.

„Ich neige zu Panikattacken, ohne sie kriege ich Albträume Jake, es war besser geworden...", ich stockte und begann das heulen.


Jake kam auf mich zu und wollte seine Arme um mich legen, ich trat zurück und schlug seinen Arm weg, ich war wütend und wurde panisch.

„Ich werde dir die Tabletten jetzt nicht geben, ich bin bei dir Lea! Lass mich dich bitte in den Arm nehmen."

Vorsichtig machte er einen Schritt auf mich zu und startete einen erneuten Versuch mich in seine Arme zu schließen. Wackeligen Schrittes versuchte ich weiter zurück zu treten, doch meine Kräfte verließen mich, ich sank auf dem Badezimmerteppich in die Knie und legte mir aussichtslos die Hände vors Gesicht.

Dieses Mal konnte ich mich nicht mehr gegen ihn wehren, Jake ließ sich zu mir auf den Boden nieder und schloss mich fest in seine Arme, er streichelte mir über den Rücken und ich weinte bittere Tränen in meine Hände.

„Lea, ich bin bei dir, du musst das nicht alleine durch machen!", er gab mir einen festen, liebevollen Kuss aufs Haar und drückte mich noch fester an sich.


Erst als mein weinen in ein leises schluchzen überging, nahm Jake eine Hand von meinem Rücken und führte mir sanft meine Hände aus dem Gesicht. Er schaute mir betrübt in die Augen. „Vertraust du mir, Lea?"

Ich wischte mir die letzten Tränen aus dem Gesicht.

„Natürlich vertraue ich dir, Jake."

„Sollen wir vielleicht wieder rüber gehen?"

Ich nickte.


Jake half mir vom Teppich auf und führte mich zum Bett. Ich zitterte noch immer am ganzen Körper.

„Leg dich erstmal etwas hin!"

„Legst du dich zu mir, Jake?"

„Na klar, gib mir eine Minute.", er verschwand kurz hinter der Trennwand, hinter der sich das Sofa befand und kam mit dem Laptop und seinem Hoodie von der Heizung zurück.


„Zieh den über, ich möchte nicht dass du frierst.", er reichte mir den Hoodie und stellte seinen Laptop auf dem Nachttisch auf. Ich sog Jakes Geruch in mir auf, als ich seinen Hoodie über den Kopf zog, er fühlte sich so gemütlich und weich an und trug noch die Heizungswärme in sich. Jake legte sich neben mich unter meine Decke, zog mich ganz nah an seine Brust, kraulte mir meinen Rücken und vergrub seine Nasenspitze in meinem Haar.


Vor Ermüdung schlief ich sofort ein.
















Duskwood - the truthWhere stories live. Discover now