59. Die Königsmörderin

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Finn begleitete Destina durch die dunklen unterirdischen Gänge der Burg. Sie hatte sich eine schwarze Kapuze tief ins Gesicht gezogen, um nicht erkannt zu werden. Die Beiden eilten ungesehen durch die Tunnel auf dem Weg zu Rouven, der sich bereit erklärt hatte, Destina einige Kampffertigkeiten zu lehren. Finn führte Destina bis zum Ausgang, um sicherzustellen, dass niemand bemerkte, dass sie die Burg verliess. Alvaro war Hals über Kopf vergraben in den Vorbereitungen für seine königliche Hochzeitsfeier. Die Ritter waren heute Morgen auf ihren Pferden aus der Burg getrabt und würden für die nächsten paar Tage nicht mehr zurückkehren. Der Moment war perfekt und dennoch drängte die Zeit. Denn Alvaro war natürlich nicht unvorbereitet. Er hatte alle Auftragsmörder und Leibwachen seiner befreundeten Kaufleute auf die Burg bestellt, um für seine Sicherheit zu gewähren. Die düsteren Gestalten liefen, arrogant und überbezahlt, durch die Gänge der Burg und stellten sicher, dass sich niemand der Burg näherte. Mit solchen Leuten war nicht zu spassen, denn sie waren skrupellos und unberechenbar. Söldner wie diese taten alles für die richtige Summe Geld und davon hatte Alvaro ihnen in Genüge bezahlt. Finn wollte es nicht riskieren, den Verdacht auf sich oder auf Destina zu lenken, weshalb er sie durch die Geheimgänge aus der Burg schleuste, die weder Alvaro noch seine Leibwachen kannten. Denn das Training mit Rouven war unerlässlich, wenn Destina Alvaro tatsächlich die Stirn bieten wollte. Finn hatte Rouven eingehend gebeten, nüchtern zu bleiben und seinen Schwanz in der Hose zu lassen. Er kannte seinen Freund nur zu gut und hoffte, er hielt sich auch tatsächlich an Finns Bitte. Doch er konnte Destina nicht bis zu Rouven begleiten, da es zu verdächtig wäre, wenn beide gleichzeitig auf der Burg fehlten. Destina knöpfte ihren dunklen Mantel zu, als sie die Ausgangstüre erreichten. «Ich danke dir Finn. Ich will nicht länger als einige Stunden weg sein. Du musst Alvaro im Auge behalten, ich will nicht, dass er irgendetwas plant, was uns entgehen könnte.» Destina nickte Finn entschlossen zu und öffnete die Holztüre. Als sie in den Schnee trat, riss sie staunend die Augen auf, als sie plötzlich den mächtigen Drachen über die Dächer der Stadt fliegen sah. In Sorge drehte sie sich zu Finn um. «Livs Drache ist zurückgekehrt», meinte sie leise. «Du musst mir versprechen, dass du auf die Kleine aufpasst, Alvaro wird unglaublich wütend sein, entdeckt er den Drachen. Bitte, bewahre sie vor Alvaros schändenden Händen. Sie könnte uns zum Sieg verhelfen», bat Destina besorgt. Sie mochte das Mädchen und nun, als sie den Drachen sah, wurde ihr zum ersten Mal bewusst, was für eine Macht in den Händen des Menschenmädchens lag. Finn nickte widerwillig, damit sich Destina endlich auf den Weg zu Rouven machen konnte. Das Mädchen mit dem lila Haar sollte er beschützen. Genau das Mädchen, das ihm seinen Vater genommen hatte. Finn erinnerte sich noch so klar an Leonardos Ball als wäre er gestern gewesen. Er erinnerte sich an das Mädchen mit lila Haar, mit dem sein Vater tanzte und das er auf sein Zimmer nahm, wo er kurz darauf kaltblütig ermordet wurde. Finn erinnerte sich auch noch, wie er das Mädchen sah, als sie rennend von der Burg floh. Der Königssohn sollte nun die Königsmörderin beschützen. Finn stampfte wütend zurück in die Burg.
Liv stand lächelnd in ihrem Morgenmantel auf dem Balkon und beobachtete, wie Pandora elegant ihre Kreise über der Stadt zog. Sie wurde melancholisch und vermisste die Zeiten, als sie bei der Rebellion war und als sie jeden Tag mit Pandora sprechen konnte. Seitdem Ryan sie von der Insel entführt hatte, war Pandora verschwunden gewesen. Es wurde Liv warm ums Herz, da sie nun endlich wusste, dass es ihrem Drachen gut ging und dass sie zurückgekommen war, um Liv zu helfen. Könnte sie Pandora doch nur zurufen, dass sie hier oben in der Burg war. Doch der Drache verliess die Stadt Richtung Wald. Traurig, doch erfüllt mit neuer Hoffnung, wandte sie den Blick vom Himmel ab. Liv vermisste Jack und seine lächelnden Augen sehr. Sie konnte nur hoffen, dass er noch am Leben war und dass Alvaro ihn nicht bereits wie so viele andere hingerichtet hatte. Auch Ryan vermisste sie unglaublich. Sie war so traurig gewesen, als er nicht mehr auf die Burg zurückgekehrt war. Doch Pandoras Rückkehr hatte ihr unendlich viel Hoffnung und Kraft zurückgegeben. Schon nur zu wissen, dass sie noch da war, war eine grosse Stütze für Liv. Plötzlich griff ihr aus dem Nichts eine kalte Hand an die Kehle und drückte hart zu. Liv erschrak und drehte sich mit pochendem Herzen und um Luft ringend um. Alvaros hässliches Grinsen drückte sich in ihr Gesicht. Liv versuchte sich zu wehren und griff an die Hand, die schmerzhaft ihren Hals umklammert hielt. «Du hast es also auch schon bemerkt, dass dein kleiner Drache aufgekreuzt ist und droht meine Stadt anzugreifen», Alvaros Griff verengte sich und Liv schnappte hektisch nach Luft. «Dummes Menschenmädchen», fluchte Alvaro und drückte Liv über das Geländer des Balkons. Mit all ihrer Kraft versuchte sie Alvaros Hand wegzuschlagen, doch er liess nicht locker und drohte sie vom Balkon zu werfen. Liv blickte nach unten in den Garten. Einen Sturz aus solcher Höhe könnte sie niemals überleben. Panisch begann sie um sich zu schlagen, doch Alvaros Griff verengte sich nur. «Ich habe dich aus dem Kerker geholt, damit du meinen Sohn heiraten kannst und das war das Einzige, was dich am Leben gehalten hat, ist dir das klar?» Liv schnappte nach Luft, ihre Arme verloren langsam an Kraft. «Nun ist Aurion leider verstorben und ich habe noch keinen zweiten Sohn, der dich heiraten könnte. Doch es wird nicht lange dauern und du wirst die Hure meines neuen Sohnes werden.» Alvaro betrachtete ihren Körper gierig. «Ich habe dich damals aufgespart für Aurion, doch bis der nächste Sohn da ist, dauert es noch ein wenig. Und es wäre doch schade, eine solch unschuldige Jungfrau nicht anzufassen. Glaub mir, Kleine, bis mein nächster Sohn dich heiraten wird, habe ich noch andere Männer, die Interesse an dir haben», lachte Alvaro und liess von Liv ab. Kraftlos sackte sie zu Boden. Schmerzhaft griff sie sich an die Kehle und atmete heftig. «Lass dir das eine Lehre sein, Mädchen. Pfeif deinen Drachen zurück oder ich sperre dich wieder in die Verliesse, wo du meinen Männern jeden Wunsch von den Lippen ablesen wirst. Überleg dir gut, was dir lieber ist», meinte Alvaro und liess Liv auf dem schneebedeckten Balkon liegen. Einige Männerhände hievten sie grob vom Boden auf und schleppten sie in das Zimmer. Erst jetzt bemerkte Liv, dass Alvaro mehrere Männer in ihr Zimmer gebracht hatte. Noch etwas wacklig war sie wieder auf den Füssen und wich nervös einige Schritte zurück. Alvaro grinste. «Nun, ich hab' meinen Männern ein Mädchen versprochen, wie sie es noch nie zuvor hatten. Ich bin mir sicher, ein Menschenmädchen wird diesen Ansprüchen gerecht», lachend zog er die Tür hinter sich zu und liess Liv alleine mit den vier muskulösen Männern. Liv wich weiter zurück, als die Söldner sich ihr lüstern näherten. Einer packte sie an den Händen und zog sie grob an sich. Liv wehre sich mit allen Mitteln. Sie kickte den Männern in die Hoden und biss ihnen in die Ohren. Doch sie liessen nicht locker. Lachend packten sie Liv an den Handgelenken und Liv war ihnen ausgeliefert. Gierig berührten sie sie immer wieder an den Brüsten und zogen ihr Kleid hoch. Doch Liv riss sich mit aller Kraft aus den Händen der Männer los und knallte gegen eine Kommode. Doch bevor die Männer sie wieder packen konnten, gelang es ihr in einer Schublade nach einer Schere zu greifen, die sie nun in der Hand versteckt umklammerte. Die Männer warfen Liv auf das Bett und einer setzte sich auf sie drauf und hielt ihre Beine fest. Liv ergriff die Gelegenheit und rammte dem Mann, der auf ihren Bauch sass und ihre Brüste befummelte, entschlossen die spitze Schere tief in die Brust. Mit grossen Augen griff der Mann sich an die blutende Wunde und kippte wimmernd vom Bett. Die anderen Männer, erstaunt über die Attacke mit der Schere, griffen nach ihren Dolchen und hielten die Klingen drohend an Livs Hals. «Sie ist ein ziemliches Biest, das Menschenmädchen», lachten sie, als Liv sich nicht mehr wehrte und sie ungestört sich an ihrem Körper ergötzen
konnten. Doch Liv hatte keine Angst vor den Klingen, denn ihr Blick ruhte berechnend auf der Schere, die noch im Körper des toten Mannes steckte und sie versuchte langsam danach zu greifen. Aber sie war noch zu weit entfernt. Als jemand die Tür zu ihrem Zimmer aufstiess und die Männer für einen kurzen Moment abgelenkt waren, griff Liv schnell nach der Schere und rammte sie in den Oberschenkel eines Mannes. Fluchend griff der sich an die Wunde und schlug Liv mit der Faust zu Boden. Doch Finn, der das Geschrei aus Livs Zimmer angezogen hatte, nahm direkt den Kampf mit zwei der Männer auf. Die Söldner hatten selbst bewaffnet keine Chance gegen Finn. Schnell hatte er den Männern ihre Dolche aus den Händen geschlagen und rammte ihnen seine kräftigen Fäuste ins Gesicht, bis sie vor Schmerz jammernd am Boden lagen. Liv hatte sich mit allem, was ihr in die Hände kam gegen den bereits verletzten Leibwächter gewehrt. Finn hielt schliesslich auch ihm drohend sein Schwert vor die Brust. Der Mann, die Schere steckte ihm noch im Bein, hob die Hände und humpelte schliesslich wütend aus dem Zimmer. Finn versorgte seine Waffe und half Liv stumm auf die Beine. Sie kannte den Prinzen, doch hatte sie bis jetzt immer gedacht, er sei ein Tyrann wie Alvaro. Schüchtern zog sie ihre Hand wieder zurück und zog sich einen Mantel über das zerrissene Kleid. Verlegen bedankte sie sich für seine Hilfe. Finn schwieg und betrachtete die Leiche, die den Teppich mit Blut gefärbt hatte. «Du wärst auch alleine mit den Arschlöchern zurechtgekommen», meinte er kalt und bedeckte die Leiche mit einer weissen Decke. «Die Königin der Wölfe höchstpersönlich hat mir das Kämpfen beigebracht», erklärte Liv stolz und setzte sich auf das Bett. «Dann hat sie dir wohl auch gezeigt, wie man Könige tötet», sprach Finn bitter und drehte sich zu Liv um. Liv verstummte. Sie hatte gar nie daran gedacht, dass sie damals ihm seinen Vater genommen hatte. Ihr Blick wanderte zu Boden, schuldbewusst. Finn schüttelte den Kopf. «Ich bin nicht dein persönlicher Beschützer, auch wenn Destina das gern so hätte. Ich hab' besseres zu tun, als die Mörderin meines Vaters vor ihrem eigenen Schicksal zu bewahren», mit diesen Worten verliess Finn das Zimmer wieder und liess Liv nachdenklich zurück. Sie hatte noch nie darüber nachgedacht, dass Leonardo nicht nur Tyrann, sondern auch Vater gewesen war. Dennoch tat es gut zu wissen, dass sie nicht alleine war. Destina hatte ihr gezeigt, wie man die Hoffnung nicht aufgab und den Willen zu Kämpfen nicht verlor. Liv würde sich nicht weiter so behandeln lassen von Alvaro und seinen Männern. Sie blickte auf die Leiche am Boden. Alvaro würde genauso enden, das wusste sie.
Rouven hatte sich den ganzen Morgen zusammengerissen und die Weinflasche nicht einmal in die Hand genommen. Doch als er diesen Drachen über sein Dach fliegen sah, konnte er nicht länger widerstehen. Schliesslich war das Leben zu kurz, um nüchtern zu bleiben. Sein Haus fühlte sich immer noch an wie das Innere eines Ofens. Rouven hatte der Priesterin des Feuers erlaubt, sich bei ihm zu verstecken, bis es wieder sicher für sie war, durch die Strassen zu gehen. Doch langsam hielt er diese Hitze, die sie stets abstrahlte nicht mehr aus. Und auch Elnaras ständigen Versuche ihn zu verführen halfen nicht dabei, von der Weinflasche fern zu bleiben. Auch an diesem Morgen stolzierte sie halb nackt durch die Zimmer. Rouven beobachtete sie und liebäugelte mit ihren Rundungen. Ihr blieb das natürlich nicht unbemerkt. Sie lächelte ihn an. «Hast du wohl auch etwas Wein für mich», säuselte sie verführerisch. Rouven lachte und schenkte ihr einen Becher ein. Sie setzte sich direkt wieder auf seinen Schoss und legte die Arme auf seine Schultern. Rouven trank weiter genüsslich seinen Wein und bewunderte die schöne Frau. «Ich habe mir schon lange gedacht, ich sollte mich dringend aufrichtig bei dir bedanken für deine Obhut», lächelte sie und küsste seinen Hals zärtlich. Rouven umfasste ihre Hüfte und lachte sie an. «Du kannst mir gerne Miete zahlen», meinte er und hob sie auf die Tischplatte, um seinen Becher aufzufüllen. Elnara liess sich jedoch nicht so leicht abschütteln und umklammerte Rouven mit ihren Beinen, als der sich wegdrehen wollte. Mit warmen Händen befühlte sie seinen nackten, muskulösen Oberkörper und biss sich auf die Lippe. Rouven genoss weiter seinen geliebten Wein mit einem Lächeln. «Ich will euch ja nicht stören, aber ich habe nur wenig Zeit», räusperte sich eine Stimme. Destina lugte um die Ecke und wunderte sich keineswegs über die Szene, die sie bei Rouven vorfand. Rouven war nun mal von seinen Instinkten getrieben. Und diese Instinkte kannten nur Wein, Frauen und das Kämpfen. «Du störst uns keineswegs, komm nur her», meinte Elnara und hielt Destina eine Hand hin. Destina verdrehte genervt die Augen. «Rouven ich bin nicht hier um deinen Nutten Gesellschaft zu leisten, Finn hat dich gebeten, mir das Kämpfen beizubringen.» Rouven nickte beschwichtigend und trank seinen Becher Wein aus. «Natürlich, wir können sofort beginnen», meinte er, zwinkerte Elnara zu und griff nach seinem Waffengurt. Er warf Destina ein Schwert zu, das sie kaum halten konnte, da es viel zu schwer war für ihre dünnen Arme. Rouven griff sich die Flasche Wein und begleitete Destina in seinen kleinen Garten, der von hohen Mauern umgeben war. «Lektion Nummer 1: wie hält man eine Waffe», sprach Rouven, legte die Flasche beiseite und griff sich seine zwei Schwerter, um es ihr vorzumachen. Doch Destina konnte nur mit viel Mühe das eine Schwert in beiden Händen tragen. Rouven seufzte nachdenklich und blickte auf die Schwerter in seinen Händen. «Nun, für genügend Krafttraining haben wir leider nicht genug Zeit. Ich empfehle dir eine leichtere Waffe. Etwas wie...», suchend blickte er sich im Garten herum. In jeder Ecke lagen jenste Waffen und andere Utensilien. Es war das reinste Chaos. Dennoch wurde er fündig und griff nach einem Dolch mit langer Klinge. «Versuchs mit dem», meinte er und drückte ihr die Waffe in die Hand. Destina blickte zufrieden auf das kleine Messer in ihren Fingern, das sich definitiv geeigneter für sie anfühlte als das grosse Schwert. «Gut. Lektion Nummer 2: was tue ich mit meiner Waffe.» Dazu holte Rouven aus seiner Küche ein totes Schwein in den Garten und legte es in den Schnee. «Nun stell dir vor dieses Schwein sei Alvaro», meinte er und nickte Destina auffordernd zu. Destina blickte auf das Schwein und versuchte sich Alvaros Grinsen vorzustellen. Sie hielt die Klinge fest in der Hand und rammte dem Schwein den Dolch ins tote Fleisch. Rouven lachte amüsiert. «Nun hast du das Schwein leicht verwundet, doch hätte es selbst auch eine Waffe wärst du jetzt tot. Versuch es noch einmal.» Destina zerrte mit aller Kraft den Dolch wieder aus dem Fleisch und stach erneut darauf ein. Rouven nickte anerkennend.
«Schon besser, wenn du jetzt noch die richtige Stelle triffst, kannst du das Schwein vielleicht sogar töten. Optimal wäre das Herz, das ist jedoch schwierig zu erreichen. Ich empfehle dir auf die Pulsadern zu zielen. Oberschenkel, Handgelenke und Hals sind die Schwachpunkte.» Destina pustete sich die Strähnen aus dem Gesicht. Ihr war schon jetzt ziemlich heiss. Sie hatte nicht gedacht, dass es so anstrengend sein würde. Doch das Bild an Alvaros blutüberströmte Leiche liess sie auf die Zähne beissen und weitermachen. Wiederum stach sie dem Schwein tief ins Fleisch. Diesmal hatte sie auf den Hals gezielt. Rouven klatschte lachend. «Gar nicht so schwer, was? Nun übst du diese Bewegung, bis es dir unmöglich scheint, irgendwo anders hinzustechen», meinte er und prostete ihr mit der Weinflasche zu, als er wieder in das Haus ging. Destina war leicht gereizt und stach wütend auf das Schwein am Boden ein. Sie konnte nur hoffen, dass Rouvens arrogante Art ihr auch tatsächlich etwas lehren würde. Sie krempelte sich die schwarzen Ärmel hoch und holte zu einem weiteren Stich aus. Sie tat es wieder und wieder, bis das Schwein schrecklich entstellt wirkte und ihre Muskeln brennten. Rouven kam schliesslich wieder zu ihr, immer noch nackter Oberkörper und Wein in der Hand. Er lächelte Destina an. «Ich glaube Alvaro ist in guten Händen bei dir. Du darfst aber nie vergessen, dass Kämpfen gefährlich ist. Wer Leben nimmt, lässt sich darauf ein, dass auch sein eigenes Leben genommen werden kann in jedem Augenblick. Sei stets wachsam und beobachte die Umgebung. Wo stehen Alvaros Männer, sehen sie dich, verdächtigen sie dich oder sind sie eventuell sogar auf deiner Seite. Das sind alles Fragen die du dir immer stellen musst», erklärte Rouven und setzte sich neben die erschöpfte Destina in den Schnee. Er hielt ihr seinen Wein hin, doch sie lehnte genervt ab. Rouven zuckte mit den Schultern und trank selbst einen Schluck. «Nun gut, dann kommen wir noch zur letzten Lektion. Lektion Nummer 3: lernen mit dem Mörder, zu dem jeder Kämpfer wird, zu leben.» Rouvens Stimme wurde leiser. Mit einem rauen Finger zeichnete er Kreise in den Schnee. Destinas Gesicht wurde weicher und sie schaute ihm in die Augen. Rouven schwieg. «Wie lebt man denn mit sich selbst, wenn man Leben genommen hat?», erkundigte sich Destina. Rouven zuckte mit den Schultern. «Jeder Krieger sucht bis heute nach genau dieser Antwort und noch niemand hat sie gefunden.» Destinas Blick senkte sich zu Boden, sie musterte den Dolch in ihren Händen, er war leicht blutbefleckt. Das Bild von Alvaros Leiche hinter ihrem Auge begann zu verschwimmen. Es verschwand hinter dichten Nebelschwaden. Urplötzlich war sie sich unsicher darüber, ob sie tatsächlich im Stande war, Leben zu nehmen. Nun konnte sie einen Dolch in Fleisch rammen, doch konnte sie auch wirklich ein Leben auslöschen? Sie liess die Klinge aus ihrer Hand gleiten. Musste Mord denn ausschliesslich mit Mord bestraft werden? Destina fühlte eine Erschütterung in ihrem Herzen. Verwirrung und Unsicherheit machte sich auf einen Schlag wieder in ihr breit. Sie konnte das Gefühl nicht beschreiben. Völlig durcheinander erhob sie sich und wollte gehen. Doch sie entschied sich dazu, den Dolch dennoch mitzunehmen. Schliesslich musste irgendetwas gegen Alvaro unternommen werden und falls nichts mehr half, wäre der Dolch der letzte Ausweg. Eilig stolperte sie schliesslich aus Rouvens Haus und verschwand.

Die Reise des DrachenmädchensWhere stories live. Discover now