57. Hass und Abscheu brodeln

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Hazel sass in einer Abstellkammer und starrte wie hypnotisiert auf die Wand vor ihr. Diese Frau, die am Morgen im Gasthaus gewesen war, Hazel war überzeugt, dass sie sie kannte. Irgendwoher kannte sie die Blondine, doch es wollte ihr einfach nicht in den Sinn kommen woher. Ein seltsames Gefühl im Magen, liess sie an ihre Mutter und an den Schlüssel denken. Hazel hatte den Schlüssel Draven gegeben, damit er herausfindet, was der Schlüssel womöglich aufschliessen konnte. Doch er war noch nicht zurückgekehrt. Es war bereits Nacht und das Gasthaus war überfüllt, es waren ungewöhnlich viele Leute hier. Doch Hazel fühlte sich nicht gut. Sie hatte nicht die Kraft, all diese gaffenden Männeraugen zu bedienen. Schon zu lange dachte sie darüber nach, wer diese Frau gewesen sein und was sie mit ihrer Mutter und dem Schlüssel zu tun haben könnte. Die Blondine wollte zu Jack, vielleicht konnte ja er Hazel weiterhelfen. Doch Jack sass draussen im Gasthaus an einem Tisch und genoss ein Bier, dabei wollte Hazel ihn eigentlich nicht stören. Zwiegespalten umklammerte sie ihre Knie.
Von Hazels Verzweiflung bekamen Jack und Midori an ihrem Tisch nichts mit. Sie hatten sich ein Bier genehmigt, um auf den Erfolg von heute Morgen anzustossen. Langsam begannen sich die Ideen einer Revolution tatsächlich unter dem Volk zu verbreiten. Sie hatten noch beobachten können, wie viele der Bürger sich ein Flugblatt heimlich eingesteckt hatten. Und auch hatte Cleo die ultimative Waffe erfunden, die ihnen zum Sieg verhelfen würde. Midori hatte schon zugesichert, sie würde ab morgen nur noch die stärksten Gifte mischen. Denn Jacks Plan war, mit einer explosiven Mischung aus Midoris Hand die dicken Mauern der Burg zu treffen und sie somit einstürzen zu lassen. So würde es viel einfacher gehen, die Burg schlussendlich zu stürmen, die silbernen Ritter aus dem Weg zu räumen und den König zu entthronen. Alles schien wieder nach einem Plan zu laufen und der Optimismus hatte wieder Einzug gehalten in das Leben der ehemaligen Rebellen. Alles schien schlussendlich doch noch gut zu werden, zumindest sah es momentan danach aus. Lachend hob Jack seinen Becher in die Höhe und rief: «Auf die kommende Revolution!» Midori schloss sich ihm an. Keiner der anderen Gäste liess sich jedoch von Jacks Optimismus anstecken. Das Wort Revolution löste noch keine Freude bei ihnen aus, doch Interesse weckte es dennoch. Die Stimmung im ganzen Gasthaus war ausgelassen, es wurde viel Alkohol getrunken und ungehemmt gelacht und geplaudert. Doch als eine mysteriöse, vermummte und schwarz gekleidete Gestalt das Gasthaus betrat, wurde es merkbar stiller. Die Angst es könnte ein königlicher Ritter sein, der jemanden festnehmen könnte, war noch spürbar vorhanden. Die Person setzte sich zu Midori und Jack an den Tisch, ohne die Kapuze aus dem Gesicht zu ziehen. Jack erkannte seinen Bruder. Es war lange her seitdem er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Finns Augen waren immer noch wütend, doch er hielt sich zurück, denn nun ging es um etwas weitaus Bedeutenderes als der Streit zwischen zwei Brüdern. «Ich habe wichtige Neuigkeiten für euch: Alvaros Ritter werden morgen in den Krieg ziehen, voraussichtlich sind sie mindestens fünf Tage weg, bevor sie wieder zurückkehren könnten. Alvaro will das Herrschaftsgebiet seiner Exfrau für sich erobern, was wohl nicht lange dauern wird, da dieses Gebiet kaum über militärische Verteidigung verfügt. Es wird ein Massaker werden. Tausende von Männern werden sterben, ihre Häuser niedergebrannt und ihre Frauen und Töchter geschändet werden. Doch für uns ist es eine, wenn nicht sogar die einzige Chance, Alvaro zu stürzen, da er keinen Schutz von seinen Rittern mehr erhält. Es ist der wohl beste Moment, um zuzuschlagen. Wir müssen in diesen Tagen schnell aber auch überlegt handeln. Aber wir müssen um jeden Preis handeln. Eine solche Gelegenheit bietet sich uns kein zweites Mal. Irgendwelche Vorschläge Jack?» Jack schwieg. Finns scheinbare Überstürzung schreckte ihn ab. Die Bilder an den Pfeil, der in Alice' Brust steckte, waren noch zu frisch. Midori stockte der Atem. «Die Ritter werden die Stadt niederbrennen und die Frauen und Töchter vergewaltigen! Du willst tausende von Männern einfach sterben lassen? Wissend, dass sie den Rittern des Königs völlig hilflos ausgeliefert sein werden, aber ihnen keine Hilfe schickend?! Was für ein Monster bist du? Ähnelst deinem Vater wohl doch mehr, als ich dachte», griff Midori Finn an, der ihr einen zornigen Blick zuwarf. «Verlier kein Wort mehr über meinen Vater. Hier geht es um Alvaro und nicht um Leonardo. Setzt deine Prioritäten! Kriege geschehen nun mal.» «Handeln wir zu überstürzt, könnte es womöglich der erste aber auch letzte Aufstand gegen Alvaro gewesen sein», bemerkte Jack zögerlich, den Streit der Beiden nicht beachtend. «Das ist mir auch bewusst Jack, aber es ist vielleicht auch unsere erste aber auch letzte solche Gelegenheit, einen Aufstand überhaupt durchzuführen.» «Doch was, wenn es schiefgeht?», fragte Jack nach. Er war noch nicht bereit, wieder ein solches Risiko einzugehen und das Leben seiner Freunde auf das Spiel zu setzten. Er könnte es nicht verkraften. «Es darf nicht schiefgehen», gab Finn eisern zur Antwort und suchte in Jacks Augen nach dessen Kampfgeist. «Ich bin mir nicht sicher», meinte Jack schliesslich nach einer langen Stille. «Ist das Volk denn bereit? Habt ihr es überzeugen können?» Jack nickte. «Wir sind auf einem guten Weg.» Finn dachte nach. Er war eigentlich nicht hier, um Entscheidungen zu treffen, er hatte auf ein wenig mehr Einsatz von Jacks Seite gehofft. Doch der schien völlig unsicher und zögerlich. Finn wusste aber, dass der Aufstand und Sturm der Burg in diesen fünf Tagen stattfinden musste, eine zweite Gelegenheit würde sich ihnen nicht bieten. Jemand musste die Entscheidung treffen und Finn war entschlossen genug, dies zu tun, um Alvaro endlich zu stürzen. «Also Jack hör zu, das ist mein Vorschlag: Zwei Tage hast du noch Zeit, das Volk dorthin zu bekommen, wo wir es brauchen. Am dritten Tag hat Alvaro seine Hochzeit geplant. Er wird sich an diesem Tag mit anderen Dingen, als mit dem Volk beschäftigen, also schlagen wir dann zu. Wir überraschen ihn. Und wenn am fünften Tag seine Ritter zurückkehren, haben sie keinen König mehr, sondern eine Königin. Wer ihr nicht folgen will, wird eingesperrt oder hingerichtet. Übermorgen könnte Destina bereits auf dem Thron sitzen, aber dafür brauchen wir deine Unterstützung und Hilfe Jack. Misch dich den ganzen Tag unters Volk und setzt jedem einzelnen, wenn's nötig ist, die Idee einer Revolution in den Kopf. Aber bedenke bitte, dass es extrem wichtig ist, dass wir...» «Ach scheiss auf deinen Plan! Ich nehme keine Befehle von dir entgegen, Prinz!», schrie Midori und erhob sich demonstrativ von ihrem Stuhl. Viele Gäste waren auf sie aufmerksam geworden. «Hat sie gerade Prinz gesagt?» «Etwa Leonardos Sohn? Noch so ein Verräter!» «Genau! Er ist dasselbe Arschloch wie sein Vater!» «Den Tod hat er verdient!», rief einer der Gäste und alle anderen stimmten ihm zu. Die angetrunkenen Männer griffen nach allem, was sich als Waffe benutzen liess und stürmten auf die vermummte Gestalt zu. «Am dritten Tag!», rief Finn laut zu Jack. Er warf Midori einen gehässigen Blick zu, bevor er sich umdrehte und auf eine Wand voller wütender Männer traf. Finn ballte die Fäuste, töten wollte er sie nicht, schliesslich brauchte Jack jeden Mann, den er kriegen konnte. Mit brachialer Gewalt kämpfte sich Finn zum Ausgang durch und flüchtete sich in das Dunkel der Nacht. Einige Männer wollten ihm nachstürmen, doch ein betrunken taumelnder Mann versperrte ihnen den Weg und fiel ihnen um die Hälse. «Na kommt Herrschaften», der Mann hielt inne und hickste kurz, «ihr seht aus, als ob ihr noch ein Bier oder zwei vertragen könntet», lallte der kräftige Mann und zog die wutentbrannten Gäste wieder ins Gasthaus zurück. Es war Rouven, der danach für alle eine Runde ausgab und gleichzeitig Finn bewahrt hatte vor einem weiteren Kampf. Stets taumelnd lief er an Jack und Midori mit einem vollen Becher in der Hand vorbei und prostete ihnen zu. Jack hob sein Bier in Rouvens Richtung um einen Toast auf seine souveräne Genialität anzudeuten. Rouven war der Mann für alles. Immer am rechten Zeitpunkt am rechten Ort, um eine helfende Hand darzubieten.
Einige Stunden später, war das Gasthaus immer noch randvoll und die Stimmung hatte sich wieder entspannt, nachdem Rouven den Männern noch einige Biere mehr bezahlt hatte. Draven betrat das Gasthaus und warf nur einen hastigen Blick in die Menge, die ihn kaum bemerkte, als er von der Kälte hineinkam. Er entdeckte Jack und Midori, doch er gesellte sich nicht zu ihnen. Er erkundigte sich beim Wirt, wo Hazel sei, und fand sie schliesslich in der Abstellkammer zusammengekauert vor. Ein wenig erschrocken kniete er sich zu ihr an den Boden und drückte sie fest an sich. «Was ist denn mit dir los?», fragte er besorgt. Doch Hazel brachte ein Lächeln über die Lippen, froh dass Draven nun endlich da war. Ihm konnte sie alles anvertrauen, das wusste sie. «Ich habe sogar gute Neuigkeiten für dich», erzählte Draven, um Hazel etwas aufzumuntern. «Ich habe etwas rumgefragt wegen deinem Schlüssel und jemand hat mir versichert, dass das Emblem, das den Schlüssel ziert, das Wappen eines Adelsgeschlechtes ist. Es soll einer Familie gehören, die nur in den obersten Kreisen der Gesellschaft verkehrt, also sogar Kontakte zum König hat. Mir wurde ebenfalls berichtet, dass diese Familie noch in der Stadt wohnt, also wenn du möchtest können wir morgen dorthin gehen und uns erkundigen, ob jemand dort dich oder dein Schlüssel erkennt.» Draven lächelte Hazel an, die in seinen Armen lag. «Das wäre toll», antwortete sie kraftlos, aber glücklich. «Aber nun lege ich dich erstmal schlafen», meinte Draven liebevoll und trug die mittlerweile bereits schlafende Hazel nach oben ins Bett.

Die Reise des DrachenmädchensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt